© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
CD: Pop
Zeitreise
Holger Stürenburg

Jedes Jahr vor Weihnachten finden sich die meist besonders intensiv beworbenen "Greatest Hits"- oder "Best of"-CDs im Laden – mit der Hoffnung, ein längst vergessener Künstler könne nochmals von früherem Ruhm zehren. Und damit sich der Kauf der CD auch für den beinharten Fan lohnt, der bereits alle Alben einer Band sein eigen nennt, existieren häufig "Bonus Tracks", die angeblich "brandneu" sind, jedoch zumeist entweder von den Aufnahmen zur letzten Studio-CD stammen, bei einem Konzert mitgeschnitten oder einfach nur neu abgemischt wurden. Dennoch sind solche Best-of-CDs eine runde Sache: Man hat endlich die wichtigsten Hits einer Band komprimiert auf einem Album zu Hause.

Eine der interessantesten "Greatest Hits"-Koppelungen diesen Jahres stammt von den Pretenders und ist soeben bei WEA/Warner Music erschienen. Die Pretenders bildeten sich 1977/78 um die etwas spröde wirkende Frontfrau, Gitarristin und Songschreiberin Chrissie Hynde und wurden zunächst zur damals mächtig blühenden New Wave-Szene gezählt. Bereits ihre erste Single "Brass in Pocket" wurde ein Hit und belegte in der Bandheimat Großbritannien den ersten Platz. 1980 folgte der legendäre Kinks-Song "Stop you Sobbing" und ein paar Jahre später "I go to sleep", das Ray Davies extra für seine Angebetete komponiert hatte. Klangen die ersten Pretenders-Hits noch sehr rauh, punk-orientiert und rockig, so kam die Band um Chrissie Hynde spätestens 1983 im gehobenen Popgeschäft an. Ihr Album "Learning to Crawl" wurde weltweit ein großer Erfolg und bereitete der Band auch hierzulande den Weg. Die vier besten Songs des 83er-Albums finden sich folglich auch auf "Greatest Hits": Das rockige "Middle of the Road", das einst von Jimi Hendrix gespielte "Thin Line between Love and Hate", das romantische Weihnachtslied "2000 Miles" und das unerreichte "Back on the Chain Gang". Mit diesen Liedern schufen die Pretenders Rockhymnen für die Ewigkeit.

1986 setzte sich der Erfolg der Band fort. Die Popsingle "Don’t get me wrong" gilt als der Durchbruch in Deutschland, und "Hymn to her" ist ein Liebeslied, das in 14 Jahren nichts an Charme und Romantik eingebüßt hat. Danach herrschte Ruhe an der Pretenders-Front. Musikalische Aktivitäten traten zugunsten umweltpolitischer zurück; Chrissie Hydne avancierte zur radikalen Vegetarierin und Tierschützerin, posierte halbnackt gegen das Tragen von Naturpelzmänteln. Erst 1990 gab es mit "Packed" eine neue CD, die teilweise die gewohnten Gitarrenrock-Pfade beschritt, andererseits auch balladesker und erwachsener daherkam, trotz allem aber nicht an frühere Erfolge anknüpfen konnte. "Greatest Hits" umgeht daher "Packed" und setzt die Hitkollektion fort mit Songs aus den Alben "The Last of the Independents" (1994) und "Viva el Amor" (1999). Chrissie Hynde – die Pretenders sind längst zur Begleitband der charismatischen Frontfrau degradiert – coverte Bob Dylan ("Forever Young") und schuf mit "I’ll stand by you" einen Ohrwurm in den an Classic Rock armen mittleren Neunziger. Ebenfalls auf der CD sind "I got you Babe" und "Breakfast in Bed", zwei Kooperationen mit der britischen Reggaeband UB 40 aus den Achtzigern, und der Song "State of Independence", bei dem Chrissie Hynde von den Moodswings begleitet wurde; alle drei Songs fanden sich bislang nicht auf regulären Pretenders-Alben.

Die "Greatest Hits" der Pretenders sind eine gelungene Zeitreise von wavelastigen, trotzigen Punkanfängen über rockige Gitarrenhymnen bis zu Popballaden und tanzbaren Sampling-Einspielungen. Ob Frau Hynde und ihren Mitmusikern noch einmal so etwas einfällt wie zu besten Zeiten der Band 1983/84 mit "Back on the Chain Gang" oder "Middle of the Road", steht freilich in den Sternen.


 
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