© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Ein moralischer Bankrott
Dieter Stein

Die gefälschten Hitler-Tagebücher waren für den Hamburger Stern eine epochale Blamage. Der Fall Sebnitz und seine Behandlung in zahlreichen deutschen Medien – an erster Stelle die Bild-Zeitung und die Fernsehsender – dokumentieren einen Bankrott maßgeblicher Teile des deutschen Journalismus. Es ist der Bankrott eines von besonderer Überheblichkeit und besonderem Größenwahn strotzenden Journalismus.

Im sächsischen Sebnitz ist vor drei Jahren ein kleiner Junge im örtlichen Schwimmbad ums Leben gekommen. Möglicherweise ist die Polizei nicht allen Zeugenaussagen ausreichend nachgegangen, die auf Fremdeinwirken beim Tod des Jungen hinweisen. So ist eine Neuaufnahme der Untersuchung berechtigt.

Was sich nun aber nach einer Woche seit Bekanntwerden des "Falles" herausstellt, ist ein politisch-publizistisches Schmierenstück erster Güte. Für zahlreiche Medien war der Fall sofort klar: "Nazis" ertränken Jungen im Schwimmbad, und Hunderte Leute schauen zu. Über Seiten werden haarsträubende Zeugenaussagen zitiert, wie sie nur einem Roman von Stephen King entsprungen sein könnten. Der Fall Sebnitz erzählt viel über die Phantasien mieser Journalisten. Sie glauben selbst an ihre Horrorgeschichten, sie haben sich besoffen geschrieben. Ihre Spielart einer schizophrenen Xenophobie richtet sich gegen das Eigene. Den Deutschen, vor allem den "Ossi" als Sonderspezies hält man in besonderer Weise zu allem fähig.

Wie schon beim bis heute völlig ungeklärten Bombenanschlag in Düsseldorf, bei dem die Bild-Zeitung sofort und bis heute ungestraft schreiben durfte, daß es natürlich eine "Nazi-Bombe" war, die russische Aussiedler tötete und verletzte, so war sofort klar, daß der kleine Joseph von einer Horde "Nazis" ertränkt worden ist.

Wieder und wieder schreit die Bild-Zeitung bereits "Haltet den Nazi", bevor überhaupt klar ist, was passiert ist. Was hier von einem Massenblatt veranstaltet wird, müßte als Volksverhetzung vor Gericht. Davon spricht auch der sächsische Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm angesichts der Bedrohungen, die gegen die sächsische Kleinstadt und ihre Bürger infolge der Bild-Berichte eingegangen sind. Kostprobe aus dem Internet-Gästebuch der Stadt: "Rechtsradikale muß man ausrotten, wie ihr Hitler die Juden hat versucht auszurotten. Aber das ginge viel zu schnell. Denen muß man bei lebendigem Leib die Haut abziehen!" Die Journalisten der Bild-Zeitung hatten die besten Möglichkeiten zur Recherche. Sie haben sie nicht genutzt. Blutrünstig tobte das Blatt seinen Haß gegen eigene Landsleute aus und erklärte eine Stadt für vogelfrei. Niemand hätte sich gewundert, wenn die Stadt im Affekt von aufständischen Anständigen dem Erdboden gleichgemacht worden wäre.

Mit dem Fall Sebnitz bricht die Kampagne "gegen Rechts", die im Kielwasser des Düsseldorfer "Nazi-Bomben"-Attentats (Bild) angezettelt worden ist, moralisch in sich zusammen. Es ist beschämend, wie skrupellos, ja, wie in verbrecherisch demagogischer Absicht aus dem Schicksal von Menschen politisches Kapital geschlagen wird.


 
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