© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Julian Nida-Rümelin
Philosoph auf Urlaub
von Angelika Willig

Wer heute Nietzsche angreift, beweist schon persönlichen Mut und philosophische Orginalität. Wo alles unverbindlich lobhudelt, spricht Julian Nida-Rümelin vom "großsprecherischen Kleingeist", "ängstlichen Machtmenschen" und "habituellen Wichtigtuer": "Nietzsche hatte keine philosophische Begabung". Der letzte Anti-Nietzscheaner steht uns also als Kulturstaatsminister und Nachfolger von Michael Naumann ins Haus. Als Philosoph ist Nida-Rümelin ganz geprägt von der Schule Wolfgang Stegmüllers, der die analytische Philosophie für Deutschland sozusagen erfunden hat. Der Sohn eines Bildhauers wurde 1954 geboren und steuerte zielstrebig die wissenschaftliche Karriere an. Er wird Professor am Zentrum für Ethik in Tübingen und dann Lehrstuhlinhaber für Philosophie an der Universität Göttingen. Gleichzeitig besteht seit dem 20. Lebensjahr eine Mitgliedschaft in der SPD und der leitende Wunsch, Politik und Philosophie zusammen- oder wenigstens in den Dialog miteinander zu bringen. Hier erweist sich die Distanzierung von Nietzsche als vorteilhaft, denn sonst müßte man bei einer solchen Zusammenstellung direkt Angst bekommen.

Im Jahr 1998 läßt Nida-Rümelin sich von seiner Professur beurlauben und tritt das Amt eines Münchner Kulturreferenten an. Diese direkte politische Tätigkeit des Philosophen bleibt nicht ganz so harmlos. Immerhin verärgert er den großmächtigen Intendanten der Münchner Kammerspiele Dieter Dorn und richtet dort in den Kammerspielen ein bis heute dauerndes Durcheinander an. Das ist vielleicht kein Zufall. Geht es doch dem künftigen Minister weniger um die ruhmsüchtige Prunk- und Protzkultur als um den ganz normalen Menschen, der nach seiner philosophischen Erkenntnis auch ein Kulturbedürfnis und einen Kulturanspruch hat. Denn: "Die Menschen erwarten von der Kultur auch eine Art Sinnstiftung und einen Beitrag zum guten Leben." Wobei unter "gutem Leben" natürlich nicht Fressen und Saufen zu verstehen ist, sondern das schwierige Aristotelische "eu zän". Um sozusagen etwas Kultur in den Alltag zu bringen, setzt sich Nida-Rümelin in München für das ein, was "Kunst am Bau" hieß und was erst jetzt bei seinem Abgang die ersten Früchte zu tragen beginnt. Die demokratischen Mühlen mahlen langsam.

Den Philosophen auf Urlaub kann das nicht verwundern, denn für die Demokratie ist er Spezialist. "Demokratie als Kooperation" heißt das letzte bei Suhrkamp erschienene Buch, und zentral ist dort die Vereinbarkeit von ethischem Universalismus und politischem Pluralismus. Daß diese Einigung eine Weile dauert, ist leicht einzusehen, und wir hoffen, daß Nida-Rümelin uns nicht so schnell verläßt wie sein Vorgänger und in die Philosophie zurückflüchtet, sondern so lange bleibt, bis sich das individuelle Leben tatsächlich "nach bestimmten höheren Werten" ausgerichtet hat. Wir versprechen auch, so lange keinen Nietzsche mehr zu lesen.


 
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