© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Eine Mehrheit gegen das Recht
Enteignungen: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe fällte ein politisch motiviertes Urteil
Heiko Peters

Am 22. November 2000 gab das Bundesverfassungsgericht nach sechsjähriger Denkpause auf 133 DIN A-4 Seiten sein Urteil zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz bekannt.

Auf einen kurzen Nenner gebracht lautete es: "Diejenigen, die insbesondere von dem kommunistischen Machthabern auf dem Boden der ehemaligen DDR ihres Eigentums beraubt wurden und ihr Vermögen nicht in natura zurückerhalten, müssen sich mit sogenannten Ausgleichsleistungen zufriedengeben, die in der Regel fünf Prozent des heutigen Verkehrswertes nicht überschreiten."

Die obersten deutschen Richter haben damit festgestellt, daß solche gesetzmäßigen Vorgaben nicht gegen Artikel 1 Grundgesetz ("Die Würde des Menschen ist unantastbar."), nicht gegen Artikel 3 Grundgesetz (Gleichheit vor dem Gesetz), nicht gegen Artikel 14 Grundgesetz (Schutz des Eigentums), nicht gegen Artikel 19 Grundgesetz ("In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.") und nicht gegen Artikel 25 Grundgesetz ("Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes.") verstoßen. Dabei verbietet immerhin Artikel 46 der Haager Landkriegsordnung jegliche Konfiskation privaten Eigentums.

Es war in diesem Fall nicht Aufgabe der Richter, zu überprüfen, ob die beiden vorhergehenden Urteile aus den Jahren 1991 und 1996 weiterhin Bestand haben können, obwohl inzwischen jedermann weiß, daß diese Urteile grob fehlerhaft sind. Einerseits hat sich inzwischen herausgestellt, daß es keine Bedingung der Sowjetunion für die Wiedervereinigung war, den Opfern ihr Vermögen nicht zurückzugeben, und daß es auch keine Bedingung der DDR sein konnte, dieses zu verlangen, sondern die DDR ganz im Gegenteil im Sommer 1990 bereits ihr Rehabilitationsgesetz vorbereitete, in dem ausdrücklich die Rückgabe enteigneten Vermögens aus Staatsbesitz vorgesehen war. Auch daß es keine Einschätzung der Bundesregierung in diese Richtung gegeben hat, ist unter anderem durch eidesstattliche Erklärungen des seinerzeitigen DDR-Unterhändlers Günther Krause und Äußerungen des ehemaligen Staatssekretärs unter Wolfgang Schäuble, Walter Prießnitz, belegt.

Die Richter haben also ein Folgeurteil zum vorher sanktionierten Unrecht des gleichen Gerichtes gesprochen und damit die Glaubwürdigkeit dieses Gerichtes nicht nur in Zweifel gezogen, sondern eindeutig im Fundament verletzt. Nach normalem Bürgersinn hat jeder Richter die Pflicht, Tatsachenaufklärung zu betreiben und darauf aufbauend gerechte Urteile zu sprechen und den Rechtsfrieden herzustellen. Das Gegenteil hat Karlsruhe nunmehr zum dritten Mal in Folge getan. Dennoch haben die durch das Gericht verhöhnten Opfer der Kommunisten keine endgültige Niederlage erlitten: Ganz im Gegenteil ist der Weg zum europäischen Gerichtshof nach Straßburg nun geöffnet, da der deutsche Instanzenweg ausgeschöpft ist. Und da über das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz bei korrekter Auslegung bei 97 Prozent der Restitutionsfälle eine Rückgabe in jedem Fall geboten ist, ist das Urteil keineswegs so vernichtend, wie in der Öffentlichkeit im Augenblick angenommen wird. Entsprechend hat auch die Verfassungsrichterin Jäger in Karlsruhe anwesenden Prozeßbeobachtern nach der Urteilsverkündung erklärt, daß die Opfer durchaus eine Chance haben, bei der durch das Verwaltungsgericht Dresden veranlaßten Klarstellung durch das Verfassungsgericht endlich Gerechtigkeit zu erhalten. Und ein Richter des europäischen Gerichtshofes hat bereits geäußert: Nachdem in Deutschland der Instanzenweg ausgeschöpft ist, haben wir nun endlich die Möglichkeit, den deutschen Rechtsstaat wieder auf die Füße zu stellen.

Immerhin liegen beim Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen 2.158.167 Restitutionsansprüche für Immobilien vor sowie 207.858 Anträge zur Rückgabe von Gewerbebetrieben. Aus der Zeit 1945-49 stammen dabei ca. 35 Prozent der Forderungen. Das wirklich Tragische bei der langen Verfahrensdauer ist, daß die überwiegende Anzahl der Opfer innerhalb der letzten zehn Jahre Investitionen in ihr Eigentum getätigt hätten und damit der Wirtschaftsaufschwung Ost völlig andere Dimensionen erreicht hätte, als heute möglich zu sein scheint. Der deutsche Steuerzahler wurde durch drei Fehlentscheidungen aus Karlsruhe in dreistelliger Milliardenhöhe belastet. Und der Rechtsfriede blieb auf der Strecke. Moralisch ist der Schaden für den Staat von unerhörter Dimension: Mitbetroffene sind auch deutsche Juden und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944.

 

Heiko Peters ist selbständiger Kaufmann in Hamburg. Im September trat er aus der CDU aus.

 

Bundesregierung spricht von "guter Entscheidung" Die rot-grüne Bundesregierung hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Enteignungen in Mitteldeutschland begrüßt. "Es ist eine gute Entscheidung, welche die Position der Bundesregierung bestätigt", sagte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium, Karl Diller (SPD). Jetzt könne man weiterarbeiten und ab 2004 mit Entschädigungszahlungen beginnen, sagte er nach der Urteilsverkündung vergangene Woche in Karlsruhe. Die Summe der Entschädigungen bezifferte Diller auf 2,5 Milliarden Mark im Jahr. (JF)


 
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