© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Pankraz,
Hörzu und die Schuld der glücklichen Generation

Ein grauenhafter Aufsatz in der Hörzu brachte Pankraz auf mitleidige Gedanken. Es wurde dort "die glückliche Generation" der heute Fünfunddreißig- bis Fünfundfünfzigjährigen gefeiert, eine Generation, die es geschafft habe, "sich in ihrem Beruf und in ihrem Privatleben voll zu verwirklichen ... Sie befreite sich aus Verhältnissen, in denen sie sich unterdrückt und betrogen fühlte. Sie ging eigene Wege und kam doch zum Ziel". Nun sei sie angekommen, habe geschmackvolle Möbel im Wohnzimmer und einen BMW in der Garage, werde von der Werbung umschmeichelt, und vor ihr liege noch, dank des Fortschritts in der Medizin, "eine ausgedehnte Hochstrecke" der Gesundheit und des ungetrübten Lebensgenusses bis ins hohe Alter.

Während Pankraz die vielen beigegebenen Bilder der glücklichen Generation betrachtete, all die fröhlich gebleckten Gebisse und zum Siegeszeichen hochgereckten Fäuste, mußte er an die Kinder dieser Leute denken, an den schwierigen Sozialisationsprozeß, der denen bevorsteht oder in den sie schon verstrickt sind. Auf so viel fröhliche Ankunft, sagte er sich, kann eigentlich nur unendliche Leere und zielloses, lebenslanges Herumsuchen folgen.

Schon jetzt steht fest: Die Kinder der glücklichen Generation können nicht mehr mit ihrem Jungsein auftrumpfen, wie es einst ihre Eltern taten. Denn sie sind nicht "geburtenstark", nicht mehr in der Mehrheit, und sie werden nie in der Mehrheit sein. Die Alten werden sie – beispielsweise bei politischen Wahlen – stets mühelos überstimmen, und wenn sie einst abtreten, werden die Jungen selber schon Alte geworden sein.

Die glücklichen Alten nehmen den Jungen also noch das einzige weg, was diese sicher in der Tasche zu haben schienen: ihre Jugend. Einer der in der Zeitschrift gepriesenen Glücklichen, ein fünfzigjähriger Hamburger Amtsrichter, "schlüpft in seiner Freizeit in hautenge Lederhosen und verwegen aufgeknöpftes Hemd" und produziert sich als Rockmusiker. In der Fischmarkthalle auf St. Pauli habe er mit seinen fetzigen Rhythmen "volles Haus" gehabt, da hätten die Jungen nur neidvoll staunen können.

Was sich zur Zeit so aufdringlich als "Jugendkult" spreizt, ist bei Lichte betrachtet gar kein Jugendkult, sondern es ist der Kult der junggebliebenen (ewig jung bleiben wollenden) glücklichen Alten. Den wirklichen Jungen bleibt nur das verzweifelte Herumgehampel und Arschzeigen in Viva und MTV, über das George Michael (37) kürzlich nicht zu Unrecht sagte, es sei die schlechteste U-Musik, die es je gegeben habe, und zu seiner, Michaels Zeit, habe man viel, viel besser gesungen und getanzt.

Genau im trostlosen Ge-hampel von Viva und MTV soll die Jugend aber möglichst lange verharren, um der glücklichen Generation nicht in die Quere zu kommen. Und nicht nur die Musik und den Tanz haben die Glücklichen der Jugend geraubt, sondern auch den Traum von der besseren Zukunft, der zu jedem wirklichen Jungsein dazugehört.

Während die Alten in früheren Zeiten sagten: "Meine Kinder sollen es einmal besser haben", sagen die heutigen Alten aus der glücklichen Generation: "Besser als jetzt kann es gar nicht mehr werden, und ihr, ihr Jungen, müßt froh sein, wenn ihr es jemals so weit bringt, wie wir es gebracht haben."

Zusätzlich kommen sie mit einer merkwürdig verheuchelten Melancholie. "Wir haben in unserer Jugend die absolute Utopie ausprobiert", seufzen sie weinerlich kokett, " es ist schiefgelaufen, und so hat sich herausgestellt, daß es ein überindividuelles Glück, ein Glück der Staaten und Völker, gar nicht geben kann." Damit meinen sie den kommunistischen Diktaturkram, den sie in ihrer Jugend so überaus wichtig genommen haben.

Weil die gottverlassenen Kommunisten den Bach hinuntergegangen sind, soll es nun, nach dem Willen der glücklichen Generation, gar kein "Besser" in der Welt mehr geben, nicht einmal ein Nachdenken über ein "Besser". Erlaubt ist nur noch das Streben nach quantitativer Ausdehnung, nach Gütervermehrung auf dem von der glücklichen Generation für absolut und unübersteigbar erklärten Niveau, wie sie Internet und Bio-Tech zu verheißen scheinen.

Hier, in Sachen Internet und Bio-Tech, liege, so säuselt die glückliche Generation, "die Chance der Jungen", hier könne sie sich neue Claims und Bonanzas erobern und abstecken. Bill Gates und einige andere bereits etwas angejahrte Erfolgs-Jünglinge werden immer und immer wieder als die neuen Helden an der open frontier vorgezeigt. An ihnen und an niemand anderem sollen sich die Jungen orientieren, an ihnen sich "ein Vorbild nehmen".

Pankraz wundert sich, daß so viele Junge den Trick nicht durchschauen. Der Verweis auf virtuelle Welten und Reichtümer ist doch ganz offensichtlich der Versuch, den Blick der tatendurstigen Jungen von der Realmaterie, von den wirklichen Verhältnissen abzulenken. Wer mit ein bißchen Start-up-Kapital hektisch im Internet herumsurft, fällt ja zunächst einmal für folgenreiche Zukunftsgestaltung im Realbereich aus.

Sollte er in der Virtualität einmal ein auswertbares Korn finden, stehen genügend Manager aus der glücklichen Generation bereit, um den Laden zu übernehmen und professionell auszuwerten, auch dafür ist inzwischen gesorgt. Für die Jungen scheint es, wie die Dinge liegen, tatsächlich nur noch vollständige Unterwerfung zu geben, allenfalls scheinfreie Herumräkelei auf niedrigstem Level, Abtauchen in die banalste Virtualität, wie sie im Container von "Big Brother" geboten wird.

Keine rosigen Aussichten für die junge Generation. Gottlob kommt es in der Welt meistens anders und aus gänzlich unerwarteten Ecken. Bis es soweit ist, kann die glückliche Generation schon mal darüber nachsinnen, was sie mit ihrem Glück angerichtet hat.


 
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