© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Verbrannte Erde
Im Gefolge der Boulevardpresse pflegen immer mehr Medien den Haß auf das Eigene
Michael Wiesberg

E s ist noch gar nicht so lange her, da war das "bürgerlich-reaktionäre" Boulevard-Blatt Bild-Zeitung ein Zielobjekt linker Verachtung und Geringschätzung. Diese Verachtung rührte von den Studentenunruhen des Jahres 1968 her. Die Bild als Speerspitze der Springer-Presse wurde damals als Zentralorgan der Reaktion gedeutet. Diese Sichtweise erhielt ihre "empirische" Untermauerung, als sich Günter Wallraff, der jetzt Stasi-Kontakten verdächtigt wird, im ersten Halbjahr des Jahres 1977 unter dem Pseudonym "Hans Esser" bei der Bild-Zeitungsredaktion in Hannover einschlich. Wallraff bestätigte in seinem Buch "Der Aufmacher" (1977) die Ressentiments der Linken gegen das Boulevardblatt. Wallraffs Botschaft: Die Bild-Zeitung ist ein unseriöses sensationsgeiles Massenblatt, das ohne Unterschied auf die "Linken" eindrischt und rechtspopulististischen Positionen Vorschub leistet.

An diesem Bild änderte sich bis zum 20. September 1991, jenem Tag, an dem im sächsischen Hoyerswerda ausländerfeindliche Unruhen ausbrachen, nichts wesentliches. Auf Hoyerswerda folgte eine ganze Reihe von Brandanschlägen auf Asylbewerberheime. Zur Erinnerung: 256.112 Asylbewerber kamen 1991 nach Deutschland, 438.191 sollten es im Jahre darauf sein. Die Bild-Zeitung hatte sich vor Hoyerswerda massiv an der Kritik an dem offensichtlichen Asylmißbrauch beteiligt. Dieses Engagement fiel so drastisch aus, daß linksextreme Autoren wie zum Beispiel Siegfried Jäger und Andreas Quinkert vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) in einer Untersuchung über die "rassistische Hetze" der Bild-Zeitung gegen "Flüchtlinge im Herbst 1991" schlußfolgerten, daß "Bild die Lunte" war, "mit der das schwelende Feuer der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus lichterloh entfacht wurde". Laut Jäger ("Der Groß-Regulator", 1993) soll die Bild-Zeitung "den Exponenten einer politischen Rechtsentwicklung" dargestellt haben, "der sie zu einer realen Gefahr für die Demokratie" gemacht habe.

Davon kann seit Hoyerswerda keine Rede mehr sein. Hoyerswerda ist, um es so zugespitzt zu sagen, im Rückblick zum "antifaschistischen Erweckungserlebnis" der Bild-Zeitung geraten. Quasi über Nacht mutierte das Blatt zum Zentralorgan neudeutscher Zivilcourage gegen Rechts. Seit Hoyerswerda kämpft Bild in der ersten Reihe gegen den "braunen Sumpf". Bereits am 4. Oktober 1991 bediente sich Lothar Loewe in einem Kommentar für das Massenblatt jener Sprache, wie sie in linken Gazetten seit jeher zum "guten Ton" gehört: "Der Tag des Flüchtlings gemahnt an Toleranz, Menschenwürde, Offenheit. Gestern war der Tag der deutschen Einheit. Es hätte ein Tag der Freude sein sollen, Es wurde ein Tag der Schande." Der Staat, so Loewe, müsse endlich rigoros und knallhart mit der rechtsradikalen Szene aufräumen. Bild hat seine Lektion gelernt und übernimmt seitdem die Rolle des antifaschistischen Trüffelschweins, immer auf der Suche nach "johlenden Nazis", die "Ausländer klatschen" und unschuldige Kinder mit großen dunklen Augen abfackeln.

In der ostsächsischen Kleinstadt Sebnitz glaubte man kürzlich wieder einmal wieder fündig geworden sein. Eine besonders abscheuliche Geschichte meinten die Bild-Redakteure an der Angel zu haben. Allemal ausreichend für neue Haßwochen im wiedervereinigten Deutschland. Am 23. November ließ das Blatt seine mediale Version von "Little Boy" für den flächendeckenden "Overkill" platzen: Gleich 50 Neonazis sollen im Jahre 1997 einen kleinen Jungen im Dr.-Petzold-Bad in Sebnitz, von Bild als "Spaßbad" bezeichnet, gequält und ertränkt haben, weil er fremdländisch aussah. O-Ton Bild: "Johlend zerrten sie (eine "Rotte Neonazis", d.V.) ihn zum Schwimmbecken, johlend ertränkten sie das Kind. Und die Augenzeugen, die drei Jahre lang geschwiegen hatten – ein Geräusch blieb ihnen die ganze Zeit im Ohr: das Kratzgeräusch von Josephs Zehennägeln auf dem Betonboden." Die Republik stand unter Schock. Aus Sebnitz wurde über Nacht ein "Zentrum dumpfbrauner Umtriebe". Am Tag darauf appelliert Josephs Mutter in der Bild: "Bitte, bitte! Schaut nicht mehr weg!" Die Springer-Zeitung kommentierte selbstzufrieden: "Endlich! Die drei ersten Neonazis verhaftet."

Daß Bild inzwischen auch zum Stichwortgeber für Kampagnenblätter mit notorisch guten Gewissen wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) oder die Frankfurter Rundschau (FR) geworden ist, dokumentiert den gelungenen Richtungswechsel des einst von den Linken als "rechtspopulistisch" verfemten Blattes. Ganz unter dem Eindruck des Bild-Fallouts kommentierte die SZ: "Gibt es ein brutaleres Beispiel für die tägliche rechte Gewalt, das tägliche Weggucken, die tägliche Unfähigkeit des Staates, angemessen auf die Bedrohung seiner Grundlagen zu reagieren?" Und wieder sollen es, so die SZ, die "ganz normalen braven" und "offenbar ganz durchschnittlichen Bürger" gewesen sein, die einer "kollektiven Amnesie" verfallen waren. Wieder soll es die "allgemeine Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit" gewesen sein, die es ermöglichte, daß "junge Leute einen kleinen Jungen ertränken wie eine Katze". Braune Schlagetots und stumpfes bürgerliches Vieh, wo man in Deutschland auch hinschaut.

Zeilen wie diese dokumentieren nur eines: den ungezügelten Haß auf das Eigene. Bild ist auch hier Meinungsführer geworden, legt doch deren Berichterstattung nahe, daß es überall in Deutschland "willige Vollstrecker", "Weggucker" oder "heimliche Sympathisanten" gibt. Diese "ganz normalen Deutschen" sind schon wieder soweit, in einem Schwimmbad fünfzig "johlende" Neonazis zu übersehen, die ein fremd aussehendes Kind ertränken.

Die Reaktionen auf diesen Hinrichtungsjournalismus ließ nicht lange auf sich warten: Sebnitz sei eine "Stadt der Schande", war im Internet-Gästebuch der Stadt zu lesen gewesen. Der FR-Autorin Astrid Hölscher ging dies noch nicht weit genug: Es sei alles "schlimmer und nicht so einfach geographisch einzugrenzen". Sebnitz sei "unsere Schande". Ungewollt haben diese Worte inzwischen einen völlig anderen Sinn erhalten. Die Pawlowschen Reflexe, die viele Journalisten im Sog der Hetze der Bild-Zeitung das Gebot der journalistischen Sorgfaltpflicht vergessen ließ, sind bezeichnend für das Klima der Hysterie und Denunziation, das einen ihm gemäßen Journalismus hervorgebracht hat: den Gesinnungsjournalismus. Dessen Kriterium ist nicht die seriöse Recherche, sondern, siehe Sebnitz, verbrannte Erde. Denn mehr bleibt nicht zurück, wenn die antifaschistisch erregte Journalistenmeute wieder abgezogen ist.


 
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