© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Die Schlinge wird enger gezogen
Nordrhein-Westfalen: Der "Spiegel" schießt sich auf den Düsseldorfer CDU-Oberbürgermeister Joachim Erwin ein
Volker Kempf

Der DDR-Antifaschismus bestand darin, alles, was nicht auf Parteilinie war, als "faschistisch" zu stigmatisieren. Zu diesem Zweck wurde gelogen und manipuliert. Im Westen übernahm diese Strategie die "Antifa". Die Blüten reichen allerdings bis in die Tages- und Wochenpresse hinein. Daran konnte auch das Mediendebakel Sebnitz nicht viel ändern. Weiterhin werden in Zeitungen und Magazinen in strafender Ungenauigkeit "Rechte", also Demokraten, welche für die Erhaltung des gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Status quo und gegen revolutionäre Veränderungen eintreten, mit "rechtsextrem" oder gar "braun", also nationalsozialistisch, gleichgesetzt.

Früher bekamen nur kleinere Gruppierungen, sogar so harmlose wie die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), ihr Fett ab. Am 20. November hat allerdings der Spiegel mit einem Bericht über den 1999 gewählten Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin auch einen Unionspolitiker ins Visier genommen. Kommunalpolitiker der oppositionellen SPD traten am 23. November nach. In den beiden darauffolgenden Ausgaben erlaubte sich das Hamburger Nachrichtenmagazin dann weitere Seitenhiebe.

Düsseldorfs CDU-Oberbürgermeister Joachim Erwin mußte sich im Spiegel vom 20. November ironisch als "ein bißchen konservativ" betitulieren lassen. Im Untertitel heißt es dann: "Die braune Szene Düsseldorfs feiert den CDU-Oberbürgermeister Joachim Erwin als Wegbereiter rechter Politik." Auch hier eine Gleichsetzung von "rechts" und "braun". Für den Spiegel ist es bereits eine Verwerfung, daß Erwin vor dem Bund der Vertriebenen auf Stimmenfang gegangen sei und dort erklärt habe, "wir sollten uns zu unseren Wurzeln im Osten bekennen". Wie die Vertriebenen aus dem Osten schizophrenerweise so tun sollten, als seien sie von sonstwoher gekommen, läßt das Magazin offen. Aufhänger solcher Art von Denunziation ist dem Spiegel der Fauxpas des Oberbürgermeisters, bei seiner Rede am 9. November vor dem Stadtrat nicht nur der jüdischen Opfer gedacht zu haben, sondern auch der Opfer, die sich gegen den Antisemitismus wandten und, so das Tabuwort, "Arier" gewesen seien. Erwins Kommentar in der Lokalpresse: "Ein infamer Artikel, miserabel recherchiert."

Die Töne, welche die Spiegel-Autoren anstimmen, stehen einer Jutta Ditfurth nicht nach. Polemisch heißt es über die knappe Stimmenmehrheit im Düsseldorfer Rat durch CDU, FDP und den OB: "Wenn die Liberalen aber nicht mitziehen, läßt er [Erwin] sich ohne Scheu von dem einzigen Republikaner im Parlament aushelfen, das reicht." In zahlreichen Städten Deutschlands gehört es zum Alltag, daß CDU oder auch Grüne in Sachfragen gelegentlich so abstimmen wie die Republikaner. Doch Joachim Erwin wird ein Strick daraus gedreht. In einer Pressemitteilung vom 23. November betont Erwin, daß die betreffende Abstimmung geheim gewesen sei und somit nicht feststehe, wer der CDU die fehlende Stimme zur Durchsetzung ihrer Drogenpolitik gegeben habe.

Der Vorwurf, Erwin und die CDU stimmten notfalls mit dem Republikaner-Stadtrat Jürgen Krüger, wurde schon lange vor Erscheinen des Spiegel-Artikels von der Opposition erhoben, wobei SPD und Grüne ihrerseits wie selbstverständlich gemeinsame Sache mit der PDS machen. Daß Erwin und die CDU die von den Grünen im Stadtrat gewünschte Anti-Wehrmachtsausstellung ablehnten, wurde ihnen im politischen Machtkampf ebenfalls als Nähe zur "äußersten Rechten" ausgelegt. Daß die Ausstellung aber zurückgezogen werden mußte, weil sie wissenschaftlich gravierende Mängel aufwies, war den Grünen und Sozialdemokraten später kein Gedanke mehr wert. Im Gegenteil, die SPD erneuerte ihren Vorwurf an die CDU mehrfach gegenüber der Presse.

Die Düsseldorfer SPD gibt sich mit ihrer Vorsitzenden Brigitte Speth offensiv. Sie sagte sinngemäß, daß ein Artikel, wie er im Spiegel erschienen ist, nicht vom Himmel falle. Der Oberbürgermeister zaudere im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Erwin wiederum plagt sich seit Monaten mit dem als rechtsradikal verrufenen Düsseldorfer Torsten Lemmer herum, den er schon oft, so bei dessen Anwesenheit auf einer Veranstaltung gegen Fremdenfeindlichkeit, als unerwünscht bezeichnet hat und gegen den er bereits seit einiger Zeit ein Hausverbot für das Rathaus erwirkt hätte, aber dazu keine Handhabe sah.

Dem Spiegel reichte dieser Sachverhalt für eine Geschichte aus, wonach Erwin eine Politik im Sinne von Neonazis betreibe. Wie am Mittwoch bekannt wurde, will Erwin gegen den "rechtsradikalen Politclown" einen Strafantrag wegen "übler Nachrede gegen Personen des politischen Lebens" stellen. Lemmer habe in Briefen den Eindruck erweckt, er und der OB stünden sich politisch nahe. CDU-Chef Wolfgang Schulhoff erklärte angesichts dieser Zwistigkeiten mit der SPD, er sei traurig, daß "ein rechter Lümmel die Demokraten auseinanderdividiert".

Nutznießer dieser Schlammschlacht ist Torsten Lemmer, von dem in Düsseldorf mittlerweile jeder gehört hat und der den Gedanken hegt, zur nächsten Stadtratswahl eine Freie Liste für Querdenker ins Leben zu rufen. Dafür will der ehemalige Manager der Skinhead-band "Störkraft" mehrere hunderttausend Mark auf der Kante haben – mehr als die örtliche CDU und SPD zusammen. Lemmer hatte in der Vergangenheit Skinhead-Musik vertrieben, legt allerdings Wert auf die Feststellung, daß keine CD indiziert wurde. Nur in einem Fall, so Lemmer, wurde er wegen Verbreitung volksverhetzender Texte verurteilt, nehme aber, weil das Milieu "zu asozial" sei, wie er gegenüber dieser Zeitung erklärte, mittlerweile Abstand von der Skinhead-Musikszene und wünsche sich seine soziale Rehabilitation. Vor einigen Wochen wurde von Unbekannten zum zweiten Mal die Scheibe eines von ihm betriebenen Solariums eingeschmissen.

Die 1999 im Düsseldorfer Rathaus in die Opposition geratenen Parteien SPD und Grüne fuhren von Anfang an die Strategie, mit einer unterstellten Nähe zur äußersten Rechten dem politischen Gegner eine Schlinge um den Hals zu legen. Daß sich nun der Spiegel dieser aus der DDR stammenden Antifa-Methode bedient, kommt dem Versuch gleich, die Schlinge um den Hals von Erwin und seiner Partei enger zu ziehen.

Der Medienfall Sebnitz ändert daran nichts. In der aktuellen Nummer gibt sich das Blatt nämlich – statt der von Erwin gewünschten sachlichen Richtigstellung über die seiner Ansicht nach verbreiteten Halb- und Viertelwahrheiten – abermals hämisch, weil der OB ein Schuldgeständnis abgeliefert habe. Erwin glaubt entgegen seiner früheren Erkenntnis nämlich plötzlich doch, gegen Lemmer ein Hausverbot erwirken zu können, der seinerseits aber Einspruch angemeldet hat. Erwin wirft Lemmer vor, im NRW-Verfassungsschutzbericht erwähnt zu sein. Mit dieser fragwürdigen Begründung für ein Hausverbot wird Erwin vom Spiegel auf der letzten Seite der aktuellen Nummer so dargestellt, als habe er damit nun seine Schuld erkannt, indem er es nun offenbar doch für nötig halte, sich von Rechtsextremisten abzugrenzen. Da sich SPD und Spiegel ohnehin gerne die Bälle zuzuwerfen scheinen, wird freudig mit SPD-Innenminister Fritz Behrens die "moralische" Schlacht für geschlagen erklärt: "Sollten Sie (Herr Erwin) sich jetzt (nach besserer Einsicht als OB über die Duldung oder gar Nähe zu Neonazis) für Angaben über Rechtsextremisten interessieren, empfehle ich Ihnen die Internet-Seite des Verfassungsschutzes NRW." Daß dort ebenfalls der Kampf gegen Extremismus zu einem "NRW gegen Rechts" wird, erübrigt sich beinahe schon zu erwähnen.


 
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