© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Milliarden für Billigfleisch
Europäische Union: Rinderwahn entlarvt den Wahnsinn der Landwirtschaftspolitik
Bernd-Thomas Ramb

Seit zehn Jahren sind die Probleme der Rinderkrankheit BSE bekannt. Ebenso lange währt die Hilflosigkeit der Politiker im Umgang mit der Gefahr, die für die von ihnen verwalteten Bürger ausgeht. Zunächst ging es um die Abschottung der europäischen Nationalmärkte vor Importen der zuerst betroffenen britischen Rinder.

Tatsächlich gelang nach langen Diskussionen und erheblichen Widerständen innerhalb der EU-Verwaltung wie der betroffenen Regierungen erst einmal die Blockade Großbritanniens und die Erlaubnis zur Herkunftsangabe des Rindfleischs, alles im Widerspruch zur Forderung nach freiem Warenaustausch ohne Bezeichnung des Herkunftslandes, die von der EU als diskriminierend angesehen wird. Die weiteren Gefahrenländer Frankreich und Schweiz konnten daher für deutsche Verbraucher erkennbar und als Rindfleischlieferanten ausgeschlossen werden. Nun sind in Deutschland die ersten BSE-Fälle aufgetreten, das eine Rind in Schleswig-Holstein geboren und dort auch erkannt, das andere in Sachsen-Anhalt gezüchtet und nach Portugal exportiert.

Die erste Reaktion heißt zunächst undifferenziertes Abschlachten aller 170 Rinder des schleswig-holsteinischen Züchters und BSE Schnelltests. Bei keinem weiteren Tier werden BSE-Erreger entdeckt. Sie starben also unnötig. Das Fleisch dieser gesunden Tiere wird aber nicht in den Verkauf gebracht, sondern vernichtet. Die Kadaver werden zu Tiermehl verarbeitet, das anschließend verbrannt wird. Die teuerste aller Entsorgungsmöglichkeiten soll dem Verbraucher das hohe Verantwortungsbewußtsein der Behörden bei der Bewältigung der Seuche demonstrieren, nach dem Motto, je aufwendiger und teuerer die Maßnahme, um so höher ist die Kompetenz und Entschlossenheit der staatlichen Stellen zu werten. Nach dem Sinn fragt kaum jemand.

Gleiches gilt für die Handhabung der als Ursache für den deutschen BSE-Fall deklarierten Füttermethode. Das an BSE erkrankte schleswig-holsteinische Rind war als Kalb mit einem sogenannten Milchaustauscher gefüttert worden, einer Mischung aus Magermilchpulver, Mineralstoffen, pflanzlichem und tierischem Eiweiß, Fett und Taminen. BSE-Erreger können nach heutigen Erkenntnisstand nur über den Futteranteil an tierischem Einweiß übertragen worden sein. Hinter dem tierischen Eiweiß verbirgt sich in der Regel das sogenannte Tiermehl, das aus der Verwertung von Tieren extrahiert wird. Folglich war es die zweite staatliche Hektik-Reaktion, die Verwendung von Tiermehl bei der Aufzucht von Tieren generell zu verbieten. In diesem Punkt konnte die Bundesregierung sogar spontanes Einverständnis der EU-Bürokratie erzielen. Allerdings stößt die pauschale Verdammung der Tiermehlverwendung auf erbitterten Widerstand, nicht nur bei den deutschen Bauern, sondern auch in den anderen europäischen Ländern.

Tiermehl wird unterschiedlich gewonnen und unterschiedlich verwendet. Zur Herstellung werden nicht nur Rinder, sondern fast alle Tierarten verwendet, insbesondere stehen dazu die Schlachtabfälle zur Verfügung, die bei der Verwertung von gesunden, zumindest in den Handel geratenen, Tieren anfallen. Einer der Hauptlieferanten für tierisches Eiweiß ist der Fisch. Fischmehl aber soll wie jedes andere Tiermehl behandelt werden, auch wenn bei ihm die Übertragung des BSE-Erregers ausgeschlossen ist. Unbeachtet bleibt auch der Futtereinsatz des Tiermehls. Nicht nur Kälber und Rinder, auch Schweine oder Geflügel werden mit Tiermehl gemästet. Wenn nun die Verwendung von Tiermehl generell verboten wird, wirkt sich dies auch auf den Preis und die Qualität von Schweinefleisch und Geflügel aus. Dabei ist bei diesen Tierarten die Übertragung des BSE-Erregers ausgeschlossen. BSE kann über Tiermehl nur auf Rinder übertragen werden, und nur dann, wenn das Tiermehl aus dem Fleisch BSE-befallener Rinder erzeugt wurde. Abgestraft werden aber alle Tiermehllieferanten und -verwerter.

Die Auswirkungen der momentanen Verunsicherung und Verwirrungen auf die Erzeugung und den Verbrauch von Schlachtvieh sind verheerend. In der ersten Panik vermeiden die Verbraucher generell die Abnahme von Rindfleisch, die Händler bleiben auf ihren Beständen sitzen, und die Erzeuger müssen mit Notschlachtungen rechnen. Selbst die verbindliche Einführung von BSE-Schnelltests kann den Zusammenbruch des Rindfleischmarktes kaum aufhalten. Radikale Preissenkungen bieten allenfalls Entsorgungshilfe, aber keine Produktperspektive. Die Aufzucht von Rindern wird sich schon aufgrund der steigenden Futterkosten kaum noch rentieren. Als Ersatz für die Zufuhr von tierischem Eiweiß muß verstärkt das pflanzliche Eiweiß herhalten. Das führt unweigerlich zu einem weltweiten Anstieg der Preise für Soja, die als Hauptlieferant der pflanzlichen Eiweißstoffe dient, tierisches Eiweiß aber nicht vollständig ersetzen kann. Von den ökologischen Auswirkungen eines weltweit verstärkten Soja-Anbaus in Monokulturen spricht derzeit noch kaum einer.

Versagt haben im BSE-Skandal vor allem die staatlichen Institutionen. Wie so häufig versucht die Bundesregierung, diesmal allerdings im Einklang mit den Länderregierungen und der EU-Kommission, Probleme durch spektakulären Aktivismus zu verwalten, anstatt zunächst sich selbst zu informieren und die Bevölkerung aufzuklären. Um so erschreckender wirken die populistischen Sprüche, die das eigene Verschuldung dreist in den Hintergrund drängen. Der Hinweis, daß die Verbraucher gefälligst bereit sein sollen, mehr Geld für gesunde Lebensmittel auszugeben, ist geradezu unverschämt. Nahezu die gleichen Politiker haben über Jahrzehnte den EU-Agrarmarkt mit Subventionsmilliarden verhätschelt, um eine inhumane Nahrungsmittelindustrie aufzubauen, die den Wähler mit niedrigen Preisen zu becircen versucht. Krokodilstränen sind jetzt wenig hilfreich, das Eingeständnis des eigenen Versagens angebrachter. Vor allem aber ist nun eine radikale Reform des Brüsseler Agrarwahnsinns notwendiger denn je.


 
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