© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
1,5 Millionen Einwanderer
Griechenland: Das einstige Auswanderungsland ist zum begehrten Ziel von Armutsflüchtlingen und Kriminellen geworden
Gregor M. Manousakis

Das heutige Griechenland ist nur noch rund 132.000 Quadratkilometer klein, seine Grenzen sind aber wegen der über 3.000 Inseln etwa 15.000 Kilometer lang – und damit länger als die Chiles. Nicht nur die Seegrenzen, auch die Landgrenzen zu Albanien, Bulgarien und zur Türkei sind – geographisch bedingt – schwer zu überwachen. Dies gilt um so mehr, als trotz aller Vereinbarungen keiner der Nachbarn seine Grenze zum EU-Staat Griechenland ernsthaft überwachen will. Von Albanien aus gesehen sind die Grenzen zu Griechenland (wie zu Italien) ein "soziales Ventil"; gäbe es sie nicht, so wäre nicht nur die dortige Ernährungslage noch schlimmer, als sie heute ist. Das trifft – trotz aller Fortschritte – ebenfalls für Bulgarien zu.

Auch die "Durchlässigkeit" der griechisch-türkischen Grenze ist politisch bedingt: Die "Einwanderer" aus der Türkei sind meistens muslimische Kurden, Araber, Iraner, Afghanen oder Pakistani und muslimische Inder. Die Türkei stoppt die professionellen Menschenhändler nicht, denn sie strebt ganz offen die Bildung muslimischer Minderheiten in ganz Europa an. Gerade ist eine engere Zusammenarbeit zwischen italienischer und griechischer Polizei vereinbart worden.

Dennoch kommen nicht nur verelendete Menschen, die Arbeit und Brot suchen. Es kommen Angehörige von Völkern, deren primäre soziale Bindungen, Religion, Familie oder Volkszugehörigkeit viel stärker sind als die der Europäer. So entsteht die Gefahr, daß sie ethnische Minderheiten bilden und die nach so vielen Opfern zustande gekommenen, befriedeten europäischen Gesellschaften wieder zu Konfliktgesellschaften machen.

Allein in Griechenland befinden sich heute vermutlich um die 1,5 Millionen Einwanderer, das sind etwa 13 Prozent der Bevölkerung. Vor vier Jahren erhielten sie erstmals die Möglichkeit, sich zu legalisieren. Etwa 600.000 bekamen die sogenannte "grüne Karte". Doch die wenigsten der Neubürger haben eine geregelte Arbeit, zahlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Der Rest, auch die nicht Legalisierten und die neu Angekommenen, verdingen sich illegal auf dem Bau oder in der Landwirtschaft.

Das Gesundheitssystem wird daher schwer belastet, denn die Krankenhäuser können niemanden abweisen. Nach offiziellen Angaben kostet dies das griechische Gesundheitssystem umgerechnet 3,5 Milliarden Mark jährlich.

Vergleichbar ist die Lage im Bildungssystem. Inzwischen gibt es mitten in Athen Schulen mit einem Ausländeranteil von über 62 Prozent – also Verhältnisse wie in Berlin-Kreuzberg. Dennoch steht auch während der Schulzeit bei vielen Verkehrsampeln eine Schar von bettelnden ausländischen Kindern. So wächst eine junge Generation heran, die ressentimentbeladen und ohne jegliche Bildung einen sozialen Sprengsatz bildet. Der griechische Staat kann nur wenig helfen, denn im EU-Vergleich gehört das Land zu den ärmsten, obwohl es den Zuwanderern als "Paradies" gilt.

Doch trotz der angesprochenen Probleme ist am "Touristik-Standort" Griechenland von "Ausländerfeindlichkeit" noch wenig zu spüren. Die Griechen waren selbst ein Auswanderungsvolk, sie haben daher für manches Verständnis. Doch die Kriminalität vieler Einwanderer vergiftet immer mehr die Atmosphäre. Dies gilt insbesondere für die Albaner. Die meisten von ihnen gehen zwar friedlich ihrer Arbeit nach, doch manche sind von dem brutalen Regime des Stalinisten Enver Hodscha oder den Verhältnissen danach in Albanien geprägt. Sie sind selbst brutal geworden. Aus Vernehmungen weiß die Polizei, daß diese Albaner allein deshalb über Grenze kommen, um zu rauben oder mit Rauschgift zu handeln. Diese Kriminellen kommen immer bewaffnet und sind äußerst schießwütig. Das schlimmste, was einem Hausbesitzer passieren kann, ist, einbrechende Albaner auf frischer Tat zu ertappen. Ehe sie die Flucht ergreifen, schießen sie sofort und gezielt; Vergewaltigungen, selbst von Greisinnen, kommen sehr oft vor und machen Schlagzeilen. In der Grenzregion zu Albanien wurden deshalb schon ganze Dörfer verlassen, oder die Einwohner haben – trotz des Widerstandes der Polizei – Bürgerwehren aufgestellt.

In den betroffenen Gebieten hat sich daher eine "Ausländerfeindlichkeit" entwickelt, die für Griechenland völlig neu ist. Gewaltakte gegen Ausländer kommen dennoch selten vor, jedenfalls kaum von Jugendlichen. Bei schweren Verbrechen kommt es hingegen in den Dörfern zu Mißhandlungen der ertappten Verbrecher, ehe die Polizei zur Stelle ist.

Auch Antisemitismus gibt es in Griechenland: So wurde in Saloniki im April das Holocaust-Gedenkmal geschändet und die Synagoge der Stadt mit Hakenkreuzen beschmiert. Am 24. Mai schmierten Unbekannte Hakenkreuze und Parolen wie "Tod den Juden" an die Häuserwände der griechischen Kultusministerin Melina Mercuri und des Film-Direktors Jules Dassin. Am Tag darauf wurden 50 Grabsteine des Athener jüdischen Friedhofes und die Beerdigungshalle geschändet. Zur gleichen Zeit wurde auch das Holocaust-Mahnmal in Athen mit Parolen wie "Juden raus" und SS-Symbolen verunstaltet. Die Übergriffe im Mai ereigneten sich allerdings vor dem Hintergrund einer öffentlichen Kontroverse, die durch den Beschluß der sozialistischen Regierung, die Religionsangabe in den Personalausweisen abzuschaffen, angefacht wurde (JF berichtete).

"Verschwörungstheoretischer" Antisemitismus, wie "die Weltpresse ist jüdisch infiziert" oder "der historische Anspruch der Juden auf Jerusalem ist schwächer als der der Griechen auf Alexandria oder Konstantinopel" ist hingegen nur in kleinen Kreisen verbreitet und findet keinen Niederschlag in der Politik.

Es gibt keine Gewaltakte gegen Juden. Vielmehr gelten die griechischen Hebräer als Patrioten und sind voll in der Gesellschaft integriert. Im Zweiten Weltkrieg hat der Erzbischof von Athen und Allgriechenland, Damaskenos, in Zusammenarbeit mit dem aus Bayern stammenden Polizeipräsidenten von Athen Tausende falscher Ausweise für Juden ausgestellt: Der eine stellte "originale" Taufscheine aus, der andere erledigte den Rest. Darauf sind selbst die griechischen "Verschwörungstheoretiker" stolz.

Wegen der aktuellen Situation im Nahen Osten sind allerdings die Aversionen gegen Israel gewachsen. Doch sowohl offiziell als auch im "Kaffeehaus" wird die Existenz Israels begrüßt. Die Griechen sehen, daß sie und die Israelis die einzigen Nicht-Muslime im Ostmittelmeer sind.


 
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