© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Unsere Milliarden im Euro-Grab
Europäische Union: Deutschland überträgt anläßlich der Währungsunion an Frankreich fast 60 Milliarden Mark
Bernd-Thomas Ramb

Mit der gemeinsamen europäischen Währung werden nationale Vermögensübertragungen in Milliardenhöhe eingeleitet, von deren Existenz die verantwortlichen Politiker offensichtlich wenig Ahnung haben. Obwohl bei der Konstruktion des Euro zahlreiche Geld- und Währungsspezialisten beteiligt waren, werden erst jetzt die Ausmaße erkennbar und einer ausgewählten Öffentlichkeit vorgetragen. Maßgebliche Aufklärungsarbeit leistet dazu das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung. Die beiden Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn und Holger Feist präsentieren in einer kürzlich erschienenen Studie nicht nur die Ursachen der Vermögensübertragung, sondern auch Schätzungen ihrer Höhe. Vollkommene Ahnungslosigkeit in dieser brisanten Angelegenheit kann der Europäischen Union nicht attestiert werden. Die Neuverteilung des jährlichen Gewinns der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde vorsichtshalber um drei Jahre verschoben. Bis zum 1. Januar 2002, dem Tag der Ausgabe des neuen Bargelds, soll eine Lösung des Problems gefunden werden, das den Urhebern zunehmend peinlich wird.

Der Sachverhalt ist geldtheoretisch kompliziert und für den normalen Bürger nicht leicht zu durchschauen. Dies kann jedoch keinesfalls als Entschuldigung für das politische Versagen verstanden werden. Immerhin können Europapolitiker, wenn sie dies wollen und zum Zuhören bereit sind, auf den bestehenden Sachverstand der Wirtschaftswissenschaftler nahezu unbeschränkt zurückgreifen. Gegenstand der Vermögensübertragung in Milliardenhöhe sind die Wertpapierbestände der nationalen Notenbanken, die seit der Einführung des Euro am 1. Januar 1999 der Europäischen Zentralbank als Rücklage ihrer Währungsgeschäfte zur Verfügung stehen. Grundlage der Vermögensverlagerung ist keine Übertragung im juristischen Sinne. Vergemeinschaftet und umverteilt werden lediglich die Rechte aus den nationalen Vermögen, die im formalen Besitz der nationalen Notenbanken verbleiben. Da die Verfügungsrechte aber nach Plänen der Politiker auf ewige Zeiten übertragen werden, kommt dies praktisch einer effektiven Vermögensübertragung gleich. Auch der Schritt zur Abschaffung der nationalen Währungen zugunsten des Euro soll ja nach dem Willen der Europolitiker unumkehrbar sein. Gleiches gilt dann auch für die Vermögensübertragung. Der Aufbewahrungsort der Wertpapiere in den Tresoren der Nationalbanken ist unerheblich und allenfalls von den Verwahrungskosten her interessant.

Der Effekt der Vermögensübertragung liegt in der Umverteilung der Vermögenserträge. Die Bundesbank konnte bis zur Abschaffung der D-Mark eigenständig Geldgeschäfte tätigen. Wer etwa zur Finanzierung seines Unternehmens größere Liquiditätsbeträge benötigte, konnte diese bei der Bundesbank unter entsprechender Verpflichtung zur Zinszahlung anfordern. Als Sicherheit mußten in der Regel Wertpapiere hinterlegt werden. Der ständig wiederkehrende Finanzierungsbedarf führte zu einem festen Bestand an Wertpapieren in den Bundesbanktresoren, denen entsprechende Barkredite gegenüberstanden. Die Zinseinnahmen kamen dem Staatshaushalt zugute. Für das Jahr 1998, das letzte Jahr der D-Mark, konnte die Bundesbank 16,2 Milliarden Mark an den Bund überweisen. Im ersten Jahr des Euro halbierte sich dieser Gewinn auf 7,61 Milliarden Mark. Der schlechte Euro-Wert wird auch in diesem Jahr den Zentralbankgewinn stark reduzieren.

Der generelle Verfall des Währungsgewinns ist jedoch eher ein Nebenthema. Der eigentliche Vermögensverlust liegt in der künftigen Neuverteilung der Zentralbankgewinne. So kann die deutsche Zentralbank, ehemals Bundesbank, zwar einen Gewinn von beispielsweise zehn Milliarden erwirtschaften, erhalten wird Deutschland davon nur etwa acht Milliarden. Während die Erträge der nationalen Zentralbanken ohne Berücksichtigung ihrer Herkunft und Höhe in den europäischen Ertragstopf geworfen werden, unterliegt die Verteilung des Gesamtgewinns auf die beteiligten Staaten einer festen Regelung. Maßstab ist die Bevölkerungsgröße und das Bruttosozialprodukt. Genaugenommen berechnet sich der Gewinnanteil eines Landes aus dem Mittelwert von Bevölkerungsanteil und Sozialproduktsanteil. Solange dieser Wert dem Ertragsanteil aus der gemeinsamen Geldwertschöpfung entspricht, besteht kein Umverteilungseffekt. Diese Situation ist bei einigen Ländern durchaus gegeben. So tragen nach den Berechnungen der Wirtschaftswissenschaftler die Belgier 3,6 Prozent der Einzahlungen und erhalten auch den gleichen Prozentbetrag zurück, ähnliches gilt für die Niederländer, die 5,3 Prozent beitragen und 5,4 Prozent zurückerhalten, oder die Italiener, die 18,3 Prozent einzahlen und 18,9 Prozent erhalten. Besondere Extreme bilden die Deutschen mit einem Beitrag von 39,4 Prozent, aber einem Rückfluß von nur 31 Prozent, und die Franzosen, die lediglich 12,4 Prozent am Gesamtgewinn beitragen, jedoch 21,3 Prozent einstreichen.

Noch aufschlußreicher als die relativen Zahlen sind die absoluten Beträge. Frankreich kassiert bei diesem Umverteilungssystem einen Vermögenswert von 61,3 Milliarden Mark. Die nächstgroßen Nutznießer, jedoch mit deutlichem Abstand, sind Portugal mit einem Vermögensgewinn von 7,8 Milliarden, Finnland mit 6,4 Milliarden und Italien mit 3,8 Milliarden Mark. Eher in "Peanuts"-Dimensionen liegen die Gewinne von Luxemburg mit 1,1 Milliarden, Niederlande mit 1,0 Milliarden, Irland mit 0,7 Milliarden und Belgien mit 0,5 Milliarden. Vermögensverlierer sind Österreich mit 3,5 Milliarden und Spanien mit 21,6 Milliarden. Der größte Vermögensverschenker aber ist Deutschland, dessen Verlust 57,4 Milliarden Mark beträgt. Das ist nahezu der gleiche Betrag, den Frankreich erhält.

Auf die Bevölkerungsgröße umgerechnet gibt jeder Deutsche 699 Mark an Vermögenswert ab. Auch für den Durchschnittsspanier wird die Sache nicht billig. Er reduziert sein Vermögen um 550 Mark, jeder Österreicher um 435 Mark. Der größte Nutznießer ist der Luxemburger, der um 2.580 Mark reicher wird. Etwa die Hälfte, 1.241 Mark, gewinnt jeder Finne. Und Frankreich, das die größte absolute Summer erhält, macht trotz seiner relativ hohen Bevölkerungszahl jeden Franzosen immerhin um 1.047 Mark reicher.

Die Studie der Münchner Wirtschaftsforscher ist nicht ohne Brisanz. Schon jetzt ist die Bereitschaft der Deutschen, das Euro-Währungsabenteuer weiterhin zu unterstützen, auf einem Tiefpunkt angelangt. Der kritische Zeitpunkt, zu dem die vertrauten D-Mark-Banknoten und -Münzen auch tatsächlich abgegeben werden und das neue Geld praktisch verwendet werden muß, deckt sich nun mit dem Zeitpunkt, zu dem diese horrenden Vermögensübertragungen insbesondere zu Lasten der Deutschen erfolgen. Es bleibt abzuwarten, ob den Eurofreundlichen Politikern bis dahin eine gerechte Lösung einfällt oder ob es weiterhin gelingt, diesen Skandal unter dem Teppich zu halten.


 
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