© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Die Suche nach Gott
Ausstellung: "Auf den Spuren Jack Kerouacs". Fotografien von John Suiter
Werner Olles

Jack Kerouac, der 1969 im Alter von knapp 47 Jahren verstorbene große Beat-Poet ("On the Road", 1957; "The Dharma Bums", 1958; "Mexico City Blues", 1959; "Lonesome Traveller", 1960; "Big Sur", "Tristessa", 1962) war Bindeglied und Motor des inneren Zirkels der "Beat-Generation". Diesen Begriff hatte er 1948 selbst geprägt und damit die zentralen Lebensgefühle einer literarisch, emotional und sexuell verflochtenen Gruppe beschrieben, der neben ihm William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Gary Snyder und Neal Cassady angehörten – "beat" heißt einerseits "niedergeschlagen", sollte aber zugleich als Kurzform von "beatific" ("glückselig") verstanden werden.

Aber während Kerouac in seinen Büchern Alltagsnotizen, Erinnerungen, Erlebnisse mit Freunden, Liebesgeschichten, Drogenexzesse, Sexorgien, ekstatische Visionen und spiriuelle Erweckungserlebnisse in starken, verbalen Bildern schilderte, hat man die andere Seite dieses Romanciers mit seiner tiefen Sehnsucht nach einem ursprünglichen, urwüchsigen, unverdorbenen Amerika viel zu lange übersehen. Der gläubige Katholik beschäftigte sich intensiv mit dem Zen-Buddhismus und setzte sich auf seiner Suche nach Gott und dem Zauber der Gegenständlichkeit extremen Erfahrungen aus, die ihn physisch und psychisch in den Ausnahmezustand eines Selbstreflexionsprozesses über die Grenzen von Literatur und spirituellem Bewußtsein versetzten.

Im Sommer 1956 bestieg er den "Desolation Peak", einen felsig-schroffen Berg im Cascades-Nationalpark im US-Bundesstaat Washington. Er hatte für 63 Tage einen Job als Aufseher einer kleinen Feuerwachstation angenommen. In 2.000 Meter Höhe konnte er hier von seiner zwanzig Quadratmeter großen Hütte aus jene Einsamkeit spüren, die er später in seinen Romanen so oft thematisierte hat. In "The Dharma Bums" ("Gammler, Zen und Hohe Berge") und "Desolation Angels" beschrieb Kerouac seine Eindrücke von der unberührten Natur um ihn herum, von den schneebedeckten Gletschern und der ewigen Freiheit, schilderte seine Alpträume und Halluzinationen vom Schneemenschen, der den Feuerwächter holt, und identifizierte und benannte mit Panoramakarte und Fernrohr "all die magischen Felsen und Schründe": "Das alles gehörte jetzt mir", schrieb er, "kein zweites menschliches Augenpaar schweifte durch das Rund dieser matieriellen Welt". Die Faszination der Berge – er taufte sie "Wutberg, Berg der Herausforderung, Berg der Verzweiflung" – lag für ihn in ihrer göttlichen Majestät, ihrer Reinheit und Unberührtheit und ihrer spirituellen Natur.

Fast vierzig Jahre später verbrachte der amerikanische Fotograf John Suiter, der zur Zeit an seinem Buch "Poets on the Peaks: Jack Kerouac, Gary Snyder & Philip Whalen in the North Cascades" arbeitet, ebenfalls zwei Wochen allein in der Berghütte "Desolation Lookout", jener legendären Feuerwachstation aus "The Dharma Bums". Suiter fand nicht nur das Panorama unverändert vor, auch die Hütte war noch genauso, wie Kerouac sie geschildert hatte: ohne Strom, Toilette und fließendes Wasser, mit einem Propangasherd, dem Feuerdetektor und dem alten Bett, in dem der Dichter seine oftmals schlaflosen Nächte verbrachte.

Während Kerouac zum Schreiben, Lesen und Meditieren auf den "Gipfel der Verlassenheit" gestiegen war, benutzte Suiter, der Kerouacs Spuren schon seit einigen Jahren bis nach Mexiko folgte, die Zeit als Feuerwächter, um zu fotografieren. Zum ersten Mal werden seine Farbfotografien, versehen mit Zitaten aus Kerouacs Werk, nun in Deutschland gezeigt. Neben Bildern von Kerouacs Heimatstadt Lowell in Massachusetts und der schäbigen Absteige in Mexiko-Stadt, in der "Tristessa" entstand, sind es vor allem die Fotos vom "Desolation Peak", die einen in ihren Bann ziehen. Es ist eine seltsam materielle und gleichzeitig spirituelle Welt – ein Phänomen, das schon Kerouac faszinierte –, die Suiter dem Betrachter präsentiert: Landschaftsaufnahmen von berückender Schönheit, der "Hozomeen Mountain", der den Dichter in nächtliche Halluzinationen trieb, einsame Schneefelder und die Feuerwächterhütte, umgeben von Felsen, schroffen Graten und nichts als Leere. Eine merkwürdige Magie geht von diesem Ort aus, und man beginnt zu verstehen, daß dieses Panorama Kerouac als Motiv für einige seiner Werke diente. Der Außenseiter, Lebenskünstler und Poet der Gescheiterten empfing hier seine wegweisende Inspiration: die Initiation des Dichters in seine Rolle als spirituelles Medium einer literarischen Epoche.

Dreizehn Jahre später hatte er sich, aufgedunsen vom Alkohol, von Krankheiten und Drogen geschwächt, ins Haus seiner Mutter zurückgezogen, das ihm – einem Kokon ähnlich – Schutz vor dem eigenen Mythos geben sollte. Es wurde zur letzten Station seiner lebenslangen Wanderung. Am Ende holten ihn die alten Dämonen, die er einst in den Alpträumen seiner einsamen Nächte auf dem "Desolation Peak" halluziniert hatte, für immer ein. Auf dem Edson-Friedhof in seinem Geburtsort South-Lowell liegt die letzte Ruhestätte des Dichters. Suiter hat auch den Grabstein fotografiert, der mit einer roten Rose, einem Päckchen Tabak, einem Zigarettenstummel, einer Flasche Portwein, einer zerdrückten Bierdose, einem Jack Daniels-Flachmann und den unvermeidlichen Benzedrin-Tabletten hübsch dekoriert mit jener Inschrift versehen ist, die mehr über Kerouac erzählt, als alle Hommagen und Vernissagen es vermögen: "He honored Life."

 

Die Ausstellung im Frankfurter Amerika-Haus, Staufenstr. 1, ist bis 16. Februar 2001 zu sehen.


 
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