© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/00-01/01 22. Dezember / 29. Dezember 2000

 
Zeitschriftenkritik: Gegenstandpunkt
Widerliche Köstlichkeiten
Werner Olles

Schon in den späten siebziger Jahren prophezeiten, ja konstatierten die in der in akademischen Gefilden einige Jahre recht erfolgreich agierenden "Marxistischen Gruppe" (MG) tätigen Intellektuellen um Karl Held, H.L. Fertl und Theo Ebel, wir – gemeint war damit "der Westen" – seien auf dem Weg der "Überwindung imperialistischer Defizite". Und während ein paar zu pessimistischen Prognosen neigende Soziologen und Philosophen grün-alternativer Couleur in ihrer Fürsorge für Schmetterlinge und Frieden noch die fortschreitende Undurchschau- und Unbeherrschbarkeit der Technik beklagten und sich ganz heftig für die Umwelt verantwortlich fühlten, um sich anschließend von den für deren Zerstörung Verantwortlichen politisch umarmen zu lassen, analysierten die MG-Ideologen in ihrer Mischung aus amüsantem Relativismus und rabiatem Fundamentalismus unverdrossen die Krisensymptome des modernen Kapitalismus.

Als "Politische Vierteljahreszeitschift" könnte man Gegenstandpunkt sozusagen als Nachlaß der MG betrachten, die sich Ende der achtziger Jahre selbst auflöste. Held, Fertl und Ebel geben auch hier den Ton an, womit zumindest gewährleistet wäre, daß der Umgang mit der restlichen Linken mit dem Begriff "respektlos" noch milde belegt ist. So wird hier der verkrampfte - und daher völig mißglückte – Bruch der deutschen Linken mit ihrer stalinistischen Vergangenheit auch mit Hohn und Spott übergossen. Man sieht sich selbst als "die allerletzten übriggebliebenen Kommunisten" und lehnt es ab, "sich für Berija und Pol Pot zu schämen", weil man auch "weder auf Bucharin noch auf Che Guevara stolz ist". Selbst "die Sache mit dem 100millionenfachen Verbrechen" ("Schwarzbuch des Kommunismus") beeindruckt die Gegenstandpunkt-Redaktion wenig, weil "Kommunisten sich noch nicht einmal viel aus einem weiteren gutgemeinten öffentlichen Rufmord machen". Und das hat seinen Grund, denn "sie haben weder einen guten Ruf zu verlieren, noch hätten sie mit einem besseren Ruf etwas zu gewinnen".

Das ist zwar im Endeffekt eine ziemlich widerliche Haltung, aber irgendwie imponiert einem die Standhaftigkeit dieser Leute dann doch. Womöglich hat sie aber auch ein wenig mit Alterstarrsinn oder beginnender Demenz zu tun, man weiß es ja nicht so genau. Jedenfalls ist das alles nicht fair gegenüber der Realität eines Systems, das auf der Heterogenesis der Ziele basiert und von den kommunistischen Verheißungen der irdischen Paradiese ideologisch gar nicht so weit entfernt ist. Richtig schön zynisch werden die Herren übrigens, wenn es um "Millionen halbwüchsiger Analphabeten" geht, "die jahrelang in den Hörsälen ehrwürdiger Universitäten sitzen bleiben, weil sie in der Schule trotz aller Defekte nicht sitzen bleiben mußten". Das geht einem runter wie Öl, und an solchen Bonmots darf man sich auch als Rechts-Konservativer genüßlich delektieren. Werner Olles

"Gegenstandpunkt". Türkenstr. 57, 80799 München. Einzelpreis: 25 Mark, Jahresabo: 100 Mark


 
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