© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/00-01/01 22. Dezember / 29. Dezember 2000

 
Alles Party
Theater: David Gieselmanns unterhaltsame Anti-Komödie
Konstantin Nörenburg

Es geht nicht ums Gewinnen, sondern daß das Spiel Spaß macht." Das kann man anders sehen, aber wie man sich auch stellt, es ändert jedenfalls nichts an der Existenz des Spiels. Genauso verhält es sich in "Herr Kolpert", dem Stück von David Gieselmann, das am 13. Dezember an der Berliner Schaubühne seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte.

Die Gastgeber Ralf und Sarah befürchten einen langweiligen Abend mit dem Ehepaar Bastian und Edith, erfinden daher kurzerhand die Geschichte von gemeinsamen Arbeitskollegen Herrn Kolpert, der stranguliert in der Wohnzimmertruhe liegen soll. Edith findet zunehmend Gefallen an dem makabren Gedankenspiel und gibt zu, mit dem biederen Kassengestellträger Kolpert regelmäßig erotische Abenteuer im Aufzug gehabt zu haben. Dieweil man über die schräge Bühne schlittert, gerät auch die Situation aus der Waage, als es plötzlich von innen gegen die Truhe klopft. Die reale Dimension wächst, die Ausgeburt der an Unterhaltungsarmut wie an einem Nährstoffmangel leidenden Ralf und Sarah scheint sich zu materialisieren. Das kümmert nur den cholerischen Ehemann Bastian, der sich nun ebenfalls anschickt, an den Toten in der Truhe zu glauben und mitzuspielen, was mit einem "Hast du’s endlich auch begriffen" belohnt wird. Als Spiel im Spiel stimmen sie ein heiteres Prominentenraten an, auf den an die Stirn geklebten Zetteln stehen Monroe, Goofy, Herr Kolpert und – "weitgehend in der Unterhaltungsbranche tätig" – Bill Clinton. Alle vier Synonyme für ein und denselben Typus.

Die Szenen werden begleitet vom fünfköpfigen Orchester, unterbrochen von arienhaften Einblendungen, der ersten ausgelassenen Party folgt eine zweite in artistischer Prügelei mit Headbanging auf der Truhe. Insgesamt werden die Witze bis zur letzten Witzlosigkeit und Leere ausgebreitet, daß es schal wird unter der Zunge, aber hartnäckige Lacher im Publikum beweisen, daß es immer noch nicht alle begriffen haben. Die alte Clownregel, alles dreimal zu machen, wird in Überlänge illustriert.

Gieselmann ließ sein Stück vom Generationsgenossen Marius von Mayenburg, mit dem er die Schulbank im Studiengang "Szenisches Schreiben" an der Berliner HdK drückte, und von Wulf Twiehaus inszenieren. Mit dem Hörspiel "Blauzeugen", in dem es um die Kunst als eine weitere Spielart des Spiels geht, ist er nicht erst durch die Auszeichnung des Deutschlandradios aufgefallen. Dort thematisiert Gieselmann die Selbstinszenierung eines "Gehirns auf der Leinwand, dessen Pinsel die Flinte war", hier wollen seine Figuren durch einen Mord spüren, "daß sie Menschen sind".

"Herr Kolpert" hat sich der Waffen der Hollywood-Unterhaltung bemächtigt, sie um 180 Grad gedreht und feuert nun auf deren eigene Linien. Die Geschichten, die die Figuren erfinden, wenden sich gegen sie, man ist nur in renzen der Autor seiner selbst. Der Kugelhagel aus Zerstreuung und Ablenkung, dem wir ausgesetzt sind, wird ad absurdum geführt, langsam, bis er schon wieder real wird. Gieselmann will eine "Komplettsurrealität", die "sich angeschlichen hat" und deshalb glaubwürdig ist. Das ist wie mit der Mona Lisa, die der Chaosforscher Ralf per Differentialrechnung "zerpixelt" und die sich irgendwann wieder in ihre alte Gestalt und Realität zurückentwickelt. Die Ordnung wird aus dem Chaos geboren und stürzt in es zurück. Den Zugängen zur reinen Natürlichkeit beraubt, versuchen die Gastgeber sich durch die Hintertür der eigenen Inszenierung wieder hineinzumogeln. Der Alltag voller Leere wuchs ihnen über den Kopf, daher erfinden sie Geschichten, spielen sie aus, denn es ist "alles Party", bis zum Mord. "Die Situation stagniert", so ungefährt lautet der GAU in der mediengeschädigten Reiztaubheit des homo ludens.

Nach der letzten Stecherei mit meterweiten Spritzern aus Kunstblut – nein, nichts wird erspart – ziehen sie sich aus und halten sich symbolisch an ihren Bierdosen fest. Überlebt haben nur die, die die Königsregel beachtet haben: das Spiel als Spiel anzusehen.

 

"Herr Kolpert" wird in der Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, gespielt. Karten gibt es unter Tel.: 030 / 89 00 23


 
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