© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/00-01/01 22. Dezember / 29. Dezember 2000

 
Erstmal die Öffentlichkeit aufhetzen
Jürgen Elsässer: Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt
Michael Wiesberg

Wenn ein Autor wie Jürgen Elsässer, Autor der linksextremen Zeitschrift Konkret, dem Zentralorgan des pathologischen Deutschenhasses, ein "Tribunal" abhält, ist in der Regel klar, wohin die Reise geht. Die Konkret-Skribenten lassen in der Regel nichts unversucht, um das politische System der Bundesrepublik als latent "faschistoid" zu denunzieren. Dies ist auch in Elsässers jüngstem Elaborat, über "Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt" nicht anders. Schon dieser Titel suggeriert, daß die (rot-grüne) Bundesregierung den Kosovo-Krieg mehr oder weniger alleine geführt und sich dabei, wie kann es bei Deutschen auch anders sein, diverser Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätte.

Im Gegensatz zum jüngst erschienenen Buch des Brigadegenerals a.D. und ehemaligen OSZE-Beobachters Heinz Loquai ("Der Kosovo-Konflikt –Wege in einen vermeidbaren Krieg", Baden-Baden 2000, siehe JF 22/00), der die Dominanz der USA vor und während des Krieges klar beim Namen nennt, spielt die einzig verbliebene Supermacht bei Elsässers Entlarvungen so gut wie keine Rolle. Daß sie aber den zentralen Part in diesem Konflikt übernommen hatte, räumte sogar die als regierungsnah geltende Zeitschrift Foreign Affairs ein. Dort schrieb der US-Politologe Michael Mandelbaum in der September/Oktober-Ausgabe 1999: "Geführt von der amerikanischen Außenministerin Madeleine K. Albright, lud die Nato die Serben und die UÇK in das französische Schloß Rambouillet vor, und als die Serben auf ihrer Weigerung (die amerikanischen Bedingungen zu akzeptieren, d.V.) beharrten, warteten die Amerikaner den Abzug der OSZE ab und begannen zu bombardieren."

Elsässer hingegen ist der Überzeugung, daß die angeblich "von Deutschland geführte EU Madeleine Albright und ihre Sherpas an Kompromißlosigkeit überbot". Die Rolle der US-Außenministerin unterzieht er kaum einer kritischen Würdigung. Statt dessen kolportiert der Autor Episoden wie die folgende: Albright hätte bei den Verhandlungen von Rambouillet einen sehr schlechten Start erwischt – "Sie wurde von der albanischen Delegation zunächst für eine Putzfrau gehalten und vor die Tür gesetzt".

Der österreichische EU-Vermittler Wolfgang Petritsch wird bei Elsässer zum "Frontmann der Deutschen". Ausgerechnet Bundesaußenminister Fischer soll Frankreich und England, die in Rambouillet mit am Verhandlungstisch saßen, die Konzession abgerungen haben, daß nur einer verhandelt: nämlich Petritsch, der, so legt es Elsässer nahe, deutsche Interessen in Rambouillet vertrat und – natürlich – durchsetzte. Warum die Deutschen, die zu diesem Zeitpunkt die EU-Ratspräsidentschaft innehatten, nicht gleich selbst einen Diplomaten nach Frankreich schickten, bleibt unklar. Ebenso auch die deutschen Motive für einen Krieg mit Serbien. Elsässer nennt einmal den angeblichen "ewigen Serbenhaß", dann fällt ihm der "deutsche Imperialismus" ein. Welche nachvollziehbaren Interessen Deutschland wirklich auf dem Balkan haben könnte, darüber findet sich bei Elsässer kein einziges Wort. Dies gilt im übrigen auch für die Beweggründe der USA. Auch hier findet keine erhellende Motivanalyse seitens des Autors statt. Wahrscheinlich trieb auch die USA der "ewige Serbenhaß".

Die Antwort auf die Frage nach Zweck und Ziel der ganzen Kosovo-Kampagne bleibt Elsässer schuldig. Damit bleibt aber die zentrale Frage unbeantwortet. Wie die Karten in Rambouillet wirklich verteilt waren, hat Heinz Loquai wie folgt beschrieben: "Wie die USA mit der EU umgingen, zeigte sich daran, daß Petritsch bei der Hill-Reise zu Milosevic am 16. Februar (1999, d.V.) zusammen mit seinem russischen Kollegen in Paris ’vergessen‘ wurde." (Gemeint ist in diesem Zusammenhang der amerikanische Vermittler Christopher Hill, US-Botschafter in Mazedonien.)

Man könnte dieses von Deutschenhaß verdunkelte Werk deshalb getrost beiseitelegen, enthielte es nicht eine Vielzahl von Argumenten und Fakten, die eine Lektüre trotz der aufdringlichen "antifaschistischen" Positionierung Elässers allemal lohnen, zumal jetzt Dieter S. Lutz, Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung, den Konkret-Autor ebenso wie Loquai eindrucksvoll bestätigt (FAZ vom 15.12.). Noch mehr als Loquai ist Elsässer bei bestimmten, für Genese und Verlauf des Krieges entscheidenden Wegmarken ins Detail gegangen und vermag so dessen Thesen zu stützen. Elsässer beginnt bei den Ereignissen in der UN-Schutzzone Srebenica. Mit guten Argumenten rückt dieser die in hiesigen Kreisen verbreitete Auffassung zurecht, dort habe nach dem Einmarsch der bosnisch-serbischen Armee ein Massaker an bosnisch-muslimischen Männern stattgefunden.

Ein zentrales Kapitel bilden die Recherchen zu einem anderen vermeintlichen Massaker: dem von Racak Anfang 1999. Der damalige Leiter der OSZE-Mission im Kosovo, William Walker, begleitet von 30 Journalisten, sprach damals ohne weitere Prüfung sofort von einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und machte die jugoslawischen Sicherheitskräfte für das Geschehene verantwortlich. Elsässer widerlegt diese Version mit Argumenten, die weit über Loquais Recherchen hinausgehen. Heute wissen wir, daß dieses "Massaker" so etwas wie den casus belli darstellte.

Aufschlußreich sind auch Elsässers Ausführungen zum "Hufeisenplan" Scharpings, der eine waschechte "Propagandalüge" sein dürfte. Als Manipulationen haben sich auch vom Westen behauptete Opferzahlen erwiesen. Mit welcher Infamie insbesondere Scharping die deutsche Öffentlichkeit aufhetzte, zeigen Ausführungen während einer Pressekonferenz: "Wenn beispielsweise erzählt wird, daß man einer getöteten Schwangeren den Fötus aus dem Leib schneidet, um ihn zu grillen (!) und dann wieder in den aufgeschnittenen Leib zu legen, (...) wenn man hört, daß mit den (abgeschnittenen Köpfen der Albaner, d.V.) Fußball gespielt wird, dann können Sie sich vorstellen, daß sich da einem der Magen umdreht."

Bedeutsam sind auch Elsässers Anmerkungen über den aktuellen Terror ehemaliger UÇK-Angehöriger gegenüber nichtalbanischen Minderheiten. Daß dies ganz offensichtlich unter den Augen der KFOR geschieht, verdichtet das Bild von der Fragwürdigkeit dieses Krieges. Hier liegen die Stärken des sonst so pamphletistischen Buches. Hätte sich Elsässer auf die Präsentation der Fakten beschränkt, wäre es insgesamt überzeugender ausgefallen. Dies ist aber wohl bei einem Opus, das primär ein "Tribunal" sein will, zuviel verlangt.

 

Jürgen Elsässer: Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt. Reihe "Tribunal". Konkret-Verlag, Hamburg 2000, brosch., 190 Seiten, 26,80 Mark


 
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