© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Staaten haben keine Freunde
Carl Gustaf Ströhm

Schon der alte Bismarck hat den Deutschen angekreidet, sie neigten dazu, sich mit anderen Nationen zu identifizieren und aus der Politik eine "Glaubensfrage" zu machen. Daran wird man erinnert, wenn man die Debatte verfolgt, die seit einiger Zeit um Rußland und seinen "neuen" Präsidenten Wladimir Putin geführt wird. Rußlandpolitik, so scheint es, ist bei den Deutschen immer noch eher eine Frage des Gefühls und Gemüts als des nüchternen Verstandes.

Das beginnt mit der Behauptung (oder Erwartung), daß Putin – ehemals Resident des sowjetischen Geheimdienstes KGB in Dresden – sehr gut Deutsch spreche und daher ein "Freund der Deutschen" sei, auf den man besondere Hoffnungen setzen könne. Schon hier wird erstens die Weisheit des britischen Viscounts Palmerston (1784 bis 1865, ein Gegner der Deutschen) außer acht gelassen, der schon im 19. Jahrhundert wußte, Staaten hätten keine Freunde, sondern nur Interessen. Dieses Wort hat übrigens Gorbatschow gerne zitiert, als er noch Partei- und Staatschef der einst mächtigen Sowjetunion war.

Zweitens – auch intensive Kenntnisse einer Sprache bedeuten nicht, daß man sich politisch oder menschlich mit den Trägern dieser Sprache identifiziert. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall: die Sprachkenntnis soll dazu dienen, besser an einen möglichen Gegner heranzukommen.

Drittens – das Gerede von der "Deutschfreundlichkeit" Putins (das im übrigen die gleichfalls irrationale Sehnsucht der Deutschen verrät, doch endlich einmal "geliebt" zu werden) unterstellt, daß sich Putin von sentimentalen Erwägungen und von überbordenden Gefühlen leiten läßt – und dazu noch gegenüber den Deutschen! Heißt das nicht, einen Mann zu unterschätzen, der seinen Weg nach oben im eiskalten und knallhart unsentimentalen sowjetischen Geheimdienst gemacht hat?

Gewiß sollte Deutschland zu dem immer noch großen Nachbarn im Osten möglichst gute Beziehungen haben – aber das setzt voraus, daß man auf dem Teppich der Politik bleibt und sich nicht Sentimentalitäten hingibt. Vor allem muß man die Absichten und Ziele des Partners – in diesem Falle des russischen – genau analysieren und darf sich nicht in die eigene Tasche lügen. Wenn nämlich Rußland unter Putin wieder eine Weltmacht werden will, muß es so oder anders den Amerikanern den Fehdehandschuh hinwerfen – da hilft alles Gerede über die "Strategische Partnerschaft" Moskaus mit dem Westen nichts. Und um die Amerikaner zu isolieren, muß die russische Führung den Hebel in Europa bei den Deutschen ansetzen. Die Deutschen aus ihrer Verbindung mit den Amerikanern herauszubrechen – das wäre für Putin eine Menge wert, und wenn sentimentale Verbrüderungen das herbeiführen können, um so besser.

Eine geschickte deutsche Außenpolitik könnte durchaus den russischen Bären ausspielen, um die eigene Position gegenüber den westlichen Mächten zu stärken. Aber sie sollte nicht von einem Extrem ins andere fallen und sich in diesen Bären blind verlieben. Es geht nicht um pravoslavisches Glockengeläut, nicht um die große russische Seele – es geht, siehe Palmerston oben, um deutsche Interessen. Und es darf nie wieder eine Situation entstehen, in der sich Rußland mit dem Westen gegen die Deutschen verbündet. Wie sagte es Bismarck im Jahr 1895: Die Slawen hätten die Schlauheit und die Geschicklichkeit – die Deutschen dagegen seien oft "plump und ungeschickt".


 
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