© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Endlich richtig Geld verdienen
Seit dem 1. Januar ist Ex-Staatsminister Michael Naumann Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit"
Jutta Winckler

Seit dem 1. Januar steht Michael Naumann, vormaliger Hans dampf in sämtlichen sozialdemokratischen Kulturgassen, neben Freizeitskipper Helmut Schmidt und der ostpreußischen Edel-Revisionistin Dönhoff auf der Brücke der Hamburger Zeit. Ein gewichtiges Wochenblatt, eine Art hanseatische Titanic der "rasant untergehenden europäischen Denkform der Aufklärung" (Baudrillard). Gerade mal zwei Jahre hatte es der weltläufige Schöngeist im Käfig der Schröderschen Kabinettsdisziplin ausgehalten. Nun will er wieder "richtiges Geld verdienen".

Naumann, der 1941 als Sohn eines in Stalingrad gefallenen Rechtsanwalts geborene Anhaltiner, wuchs in Köthen auf, kam mit seiner Mutter über Wuppertal nach Köln, machte in Missouri einen High-School-Abschluß, danach ein hiesiges Humanisten-Abitur, studierte in Marburg, betätigte sich als sozialistischer Studentenfunktionär, promovierte über den Wiener Weltspötter Karl Kraus und ging unter die Journalisten. 1970 gründete er das Zeit-Magazin, beschulte zugleich Bochumer Politologiestudenten. Es zog ihn auf die Insel, nach Oxford, trieb ihn zur Habilitation über "Strukturwandel des Heroismus" und zurück zur Zeit, deren "Dossier" er aus der Taufe heben half. Auf seinem Abstecher nach Washington landete er beim Spiegel, stach schließlich SPD-Duve beim Kampf um die Rowohltsche Verlagsleitung aus. In zehn Chefjahren verdoppelte er den Umsatz des Unternehmens, gründete 1996 Filialen in New York als eine Art literarischer "Atlantikbrücke". Nebenbei setzte er zwei Kinder in die Welt und ließ sich von deren Mutter scheiden.

Schröder und Naumann brachen auf, ein Defizit zu beseitigen, das bis dato keiner registriert hatte, und novellierten zu diesem Behufe sogar ein Gesetz. Um dem Prestige Genüge zu tun, war doch der rot-grüne Kulturkammerchef mit "Herr Staatsminister" anzusprechen. Noch Willi Brandt sprach in seinen Regierungserklärungen naiv von einer "unteilbaren deutschen Kulturnation" und meinte damit hundertprozentig mehr als das rudimentäre Pidgin-Teutsh der Migrantenmillionen. Daß es daneben keine zweite oder dritte Parallel-"Kultur" geben dürfe, war der damaligen Willi-SPD eine pure Selbstverständlichkeit, die keiner Thematisierung bedurfte. Sic tempora mutantur! Nicht so sehr "die Zeiten" sind es, die sich ändern – ökonomische Zwänge und Ziele sorgen dafür, daß in spätliberal-turbokapitalistischen Marktnationen "gesellschaftlich" kein Stein auf dem anderen bleibt.

Naumann war eine Fanfare der Schröder-SPD an ihre Neue Mitte: Wir "privatisieren" zwar alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wir sparen ein, wir transferieren, wir rationalisieren, wir entsolidarisieren – Eure Operneintrittspreise aber bleiben unter hundert Mark. (Eine Union auf Schröder-Eichel-Kurs hätte den Generalstreik riskiert.) Auch das allzeit "über Deutschland besorgte" Ausland wurde bedient, jene einschlägigen Kreise, von denen sich die hiesige Staats-/Wirtschaft periodisch – sagen wir mal – abschöpfen läßt. In Sachen Holocaust-Gedenken wich der vermeintlich "unkonventionelle Kopf" (Daniel Barenboim) kein Jota vom Canossapfad des hiesigen juste milieu ab. Der dialektisch gewandte, gegen Kollegen und Mitarbeiter äußerst unduldsame Alt-68er lieferte in Yad Vashem den obligaten Kranz ab, das Hohenzollernschloß wollen eh alle wiederherstellen – als leere Hülle, die den Geist seiner vormaligen Bewohner meidet wie der Teufel das Weihwasser. Naumann entspannte sich in seinem Ferienhaus in Massachusetts, in dem der Geiger Isaac Stern ihm öfter vorgeigte. An seinen Verlagsstandorten Manhattan bzw. Reinbek bestieg er ein Yamaha-Kraftrad, als Minister kutschiert man im Benz inklusive. Adorno-Lektüre im Handschuhfach. Berlin-Barenboim bekam einen Millionennachschlag, in Bamberg und Bayreuth wurde gekürzt, Naumanns Prioritäten.

Als Festredner der taz trat der Mann fürs Höhere in den Räumen der Deutschen Bank auf, Berührungsängsten gab er sich allenfalls beim Thema Rückführung der "Beutekunst" hin. Die Heimkehr jener riesigen Museumsbestände, die Deutschland 1945 von einer alliierten Soldateska geraubt worden waren, genoß unter Naumann keine Priorität. Unterm Strich bleibt Fassade und ein paar hundert Interviews. Die Feuilletons hatten sich einen Bundeskulturmacker nach der Pariser Facon eines André Malraux oder Jack Lang herbeigeschrieben und bekamen Naumann. Schröder aber war abermals einer seiner werbewirksamen Schachzüge gelungen.

September 1998. Schröder und Drittgattin Doris zeigen sich dem Volke nach gewonnener Bundestagswahl. Die erste Rede als Kanzler. Urplötzlich steht Naumann neben Frau Doris und strahlt wie eine Art verspäteter Trauzeuge: "In der Stunde des Triumphs hatte die neue Regierung den Geist im Rücken", tirillierte anderntags dieFAZ. Immerhin ist der Verlagsmann parkettsicher, polyglott und kennt sich im 19. Jahrhundert aus, damit ein weißer Rabe unterm politisch-parlamentarischen BRD-Personal.

Schröder und Naumann lernten sich 1988 kennen. Der derzeitige SPD-Kanzler vertrat vor dem Arbeitsgericht seinen Kumpel Freimut Duve, einen seit ewigen Zeiten bei Rowohlt herumwuselnden sozialdemokratischen Kulturelch. Gegen Prof. Dr. Michael Naumann. Danach wurden die beiden ebenfalls Kumpels. Und werden es wohl auch in Naumanns Zeit-Zeiten bleiben.


 
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