© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Klingeling
Karl Heinzen

Günter Nooke (CDU), Richard Schröder (SPD), Werner Schulz (Bündnis 90/ Grüne), Ernst-Ulrich von Weizsäcker (SPD) und Katharina Reiche (CDU) eint über die Parteigrenzen hinweg die Enttäuschung, daß das Ritual der Jugendweihe, mit dem man selbst in dem Vernunftstaat DDR atavistische Bedürfnisse der Bevölkerung bedienen zu müssen meinte, so weit verbreitet ist. Den christlichen Kirchen, deren ureigenstes Terrain dieses eigentlich sein müßte, ist es nicht gelungen, in den neuen Bundesländern in den Markt der Initiationsdienstleistungen einzudringen. Ihr Partyservice mag so gut sein, wie er will, von einer Population, die nicht einmal am Weihnachtsabend in der Kirche anzutreffen ist, wird das unvermeidliche weltanschauliche Begleitprogramm als zu weltfremd abgelehnt.

Wenn es nun schon kein Zurück zur Konfirmation mehr gibt, so die Vorstellung der fünf Politiker, sollte aber doch wenigstens die Jugendweihe überwunden werden, zumal es jenen sozialistischen Staat, dem man zu diesem Anlaß der DDR-Tradition gemäß eigentlich seine Verbundenheit bekunden sollte, sowieso längst nicht mehr gibt. Statt dessen wäre es doch viel hübscher, ein ganz neues Ritual zu praktizieren, das nebenbei auch noch einen stilvollen Rahmen bieten könnte, die Treue zur freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zu bekennen. Schon im Frühjahr dieses Jahres sollen unter dem Namen "Maiglockenfest" entsprechende erste Pilotprojekte aus der Taufe gehoben werden. Bereits im Jahr 2002 will man bundesweit Rahmenveranstaltungen anbieten, in die sich die Familien mit ihrem Mittagessen-und Kaffeetrinkenprogramm einklinken können. Das Ritual soll zwar jenem der Jugendweihe angenähert sein, aber eben auch auf bürgerliche, demokratische und sogar ein bißchen christliche Werte abheben. Im Zentrum der Feier werden die Jugendlichen eine "identitätsstiftende" Glocke erhalten. Ihr Klang wird die wenn auch nicht rechtlich, so doch symbolisch in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommenen Kinder ihr ganzes Leben lang an diesen schönen Tag erinnern und ihnen darüber hinaus ein Instrument an die Hand geben, mit dem sie Zivilcourage beweisen können, wo immer dies notwendig werden sollte – in der Schule natürlich, um dem kahl- und hohlköpfigen Bomberjackengerede Einhalt zu gebieten, aber vielleicht auch daheim, wenn die gewohnte Steuerkritik der Eltern wieder einmal in haltlose Staatsverdrossenheit abzugleiten droht.

Wie erfolgreich diese Initiative sein kann, wird davon abhängen, ob in der Ausgestaltung des Fests auch den tatsächlichen Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung getragen wird. Die Jugendlichen sind durchaus bereit, eine Zusammenkunft ihrer Familie sowie ein flottes und nicht allzu peinliches Ritual zu ertragen. Sie wollen dafür aber auch als Konsumenten mit ihren Wünschen ernst genommen werden. Ihrem Bekenntnis zur Gemeinschaft dürfen keine systemfremden Motive oktroyiert werden. Es muß käuflich bleiben.


 
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