© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Reif für die Insel
Kino: "Cast Away – Verschollen" von Robert Zemeckis
Werner Olles/Claus-M. Wolfschlag

Chuck Noland (Tom Hanks) verkörpert den modernen Typus des Workoholic. Als Controller einer global operierenden Transportfirma reist er um den ganzen Erdball, um die Konzernmitarbeiter zu mehr Arbeitsdisziplin und wirtschaftlicher Effizienz anzutreiben. Nur selten ist er zu Hause anzutreffen, aber seine Freundin Kelly (Helen Hunt) scheint trotz der knapp bemessenen gemeinsamen Zeit zu ihm zu halten. Doch ein Geschäftsflug ans andere Ende der Welt bringt eines Tages eine entscheidende Wende in Nolands geschäftigem Leben: Sein Flugzeug stürzt mitten über dem Ozean ab, als einziger Überlebender gelangt der Controller an den Strand einer unbewohnten Insel.

Die Einsamkeit in der Natur ist für den zivilisierten Menschen eine grausame Bewährungsprobe. Die Beschaffung von Trinkwasser, Nahrung und Unterschlupf wird zum täglichen Überlebenskampf. Sein einziger Ansprechpartner wird der Volleyball "Wilson", zu dem er eine enge, fast persönliche Beziehung aufbaut. Erst nach einer aufwendigen Flucht gelingt ihm vier Jahre später die Rückkehr in die Zivilisation. Doch die Situation in seiner Heimat und die Menschen haben sich in den wenigen Jahren verändert ...

Eine moderne Robinson Crusoe-Adaption, die Star-Regisseur Robert Zemeckis ("Zurück in die Zukunft", "Forrest Gump", "Der Tod steht ihr gut", "Schatten der Wahrheit") am Anfang des 21. Jahrhunderts zum besten gibt. Der moderne Mensch, abgelenkt durch den selbstverständlichen Alltag der technisierten Welt, wird auf seine archaischen Grundbedürfnisse zurückgeführt. Von einem Tag auf den anderen bestimmt nach der bewährten Marxschen Lehre vom Historischen und Dialektischen Materialismus plötzlich tatsächlich das Sein das Bewußtsein, und nach vier Jahren in der klaren Schönheit und Ruhe der Insel – nur selten lagen in einem modernen Hollywood-Film Himmel und Hölle so nahe beisammen wie an diesem Ort – wird aus dem amerikanischen Konzern-Controller wieder der frühe Homo sapiens auf der Stufe des Steinzeitmenschen. Der Körper hat den Zivilationsspeck abgestoßen und sich zu einer muskulösen Hochleistungswaffe entwickelt. Der "aufgeklärte" Geist hat zu einem religiösen Fetischismus, wie er von naturreligiösen Völkern praktiziert wird, zurückgefunden. Die Hoffnung wird vom menschlichen Grundbedürfnis nach Gemeinschaft, nach Freiheit von Angst und Hunger bestimmt.

"Cast Away – Verschollen" handelt ihm Grunde genommen von dem Weg, zu sich selbst zu finden, sei es körperlich oder geistig. Weit weg von den Dingen, die unser Leben bestimmen und denen wir manchmal eine zu große Bedeutung bemessen", kommentierte Drehbuchautor William Broyles Jr. das filmische Geschehen, das er sechs Jahre lang zusammen mit Hauptdarsteller Tom Hanks entwickelt hatte. Aus diesem Grund wird auch Nolands Rückkehr in die Zivilisation nicht zur Rückkehr in sein altes Leben, da er durch seine grausame Bewährung in der Wildnis auch über eine geistige Mauer gesprungen ist. Seine reflexive Selbsteinschätzung besiegt – ein sehr amerikanischer Zug – jeden Anflug von Mitleid und Larmoyanz.

So führen Zemeckis und Hanks den Zuschauer gekonnt in die spannenden Randbereiche des menschlichen Daseins – dorthin, wo der Instinkt, die Triebe und der schiere Kampf ums Überleben jegliche Normalität und jede Kontrolle besiegt haben. Ein Film ist daraus geworden, dessen dramaturgische Phantasie einen trotz seiner zuweilen etwas langatmigen Erzählweise und seiner Handlungsbrüche im letzten Teil bewegt und dessen Spannungsmomente einen nicht kaltlassen. Und dies alles, obwohl der Regisseur auf große handwerkliche Tricks wie wilde Kamerafahrten, Gegenschnitte und Zeitlupe verzichtet hat und statt dessen endlich einmal wieder Charaktere in den Vordergrund gestellt werden, die nicht beliebig austauschbar sind.


 
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