© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
Regieren macht Spaß
Berlin: Das dritte Kanzler-Jahr Schröders ist von einer Reihe kleinerer Krisen und Skandale geprägt / Testfall sind die Landtagswahlen im März
Paul Rosen

CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, der Oppositionspolitiker mit den kräftigsten Tönen, hat die Regierungsmitglieder von Kanzler Gerhard Schröder mit Schießbudenfiguren verglichen. Man ballert rein und ein paar fliegen raus – eigentlich ist egal, wer. In Berlin sprechen Spötter nach sieben Ministerwechseln in zwei Jahren bereits vom dritten Kabinett Schröder, aber das in der ersten Legislaturperiode. In der Tat sieht es für den Mann im Brioni-Anzug nicht besonders gut aus. Nach einem ersten krisenhaften Jahr und einem folgenden mit ernstzunehmenden politischen Erfolgen ist das laufende dritte Regierungsjahr des Niedersachsen von einer Reihe kleinerer Krisen und Skandale gekennzeichnet. Jeder Vorfall allein würde nicht ausreichen, um Schröder in Bedrängnis zu bringen. Aber die Menge machts. Die rot-grüne Koalition läuft Gefahr, die Landtagswahlen im März nicht mehr zu bestehen, die SPD könnte ihre Regierung in Rheinland-Pfalz verlieren.

Eigentlich hatte sich Schröder so gefreut. Der Regierungschef pflegt teure Hobbys: Er raucht nicht nur diese teuren kubanischen Zigarren, sondem hat offenbar die Absicht, die Speisekarte jedes Berliner Nobelrestaurants persönlich durchzuarbeiten. Beim letzten Treffen der Minister zum Essen hatte Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) keine Lust mehr: Sie sagte nicht nur das Essen ab, sondern trat in diesem Zusammenhang auch zurück – angeblich wegen Fehlern und Versäumnissen beim Kampf gegen die Rinderseuche BSE, in Wirklichkeit aber, weil sie die Probleme bei den Krankenkassen nicht in den Griff bekam. Den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), der Basisorganisation für den Krankheitskostenschutz der Bundesbürger, laufen die Mitglieder weg. Und bei allen Kassen explodieren die Ausgaben. Schon allein wegen der schlechten Verwaltung des Gesundheitsteils ihres Ressorts hatte Außenminister Joschka Fischer, der heimliche Vorsitzende der Grünen, seiner Namensvetterin bereits vor längerem das Vertrauen entzogen.

Die Grünen, die das Ressort neu zu besetzen gehabt hätten, konnten Schröder jedoch keinen geeigneten Nachfolger präsentieren, sondern verlangten ein anderes Ressort. Schröder stimmte zu und überredete seinen Landwirtschaftsminister Funke – ebenfalls wegen BSE – zum Aufgeben. Während die Grünen gerne nach dem Landwirtschaftsministerium griffen und die schon lange nach einem Regierungsamt schielende Parteisprecherin Renate Künast sofort zugriff, holte Schröder als neue Gesundheitsministerin die Aachener Abgeordnete Ulla Schmidt, bis dahin aus der Bundestagsfraktion.

Ein Mißgriff, wie sich schon vor der Vereidigung herausstellte. Denn Frau Schmidt ist eine Dame mit Vergangenheit. Die Bundestagsabgeordnete gilt als politisches Ziehkind des ehemaligen Aachener Europaabgeordneten Schinzel, den die Polizei vor mehreren Jahren mit Falschgeld im Nennwert von vier Millionen Schweizer Franken verhaftete. Ein Blick in Frau Schmidts Vergangenheit offenbarte noch mehr: Die neue Ministerin arbeitete vor über 20 Jahren als Kellnerin in der Nachtbar ihrer Schwester, hatte durch Bürgschaften Probleme mit Banken, mußte sogar einen Teil ihrer Diäten verpfänden. Und ihr Auto gehörte zeitweilig auch der Bank. War da noch mehr, fragen sich natürlich alle Berliner Beobachter und bringen damit die Sache auf den Punkt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß vielleicht noch mehr war, was viele wissen, und daß die Politikerin erpreßbar sein könnte. Einen Versuch hatte es gegeben. Der endete allerdings mit der Verurteilung des Erpressers.

Die Vergangenheit von Außenminister Fischer läßt auch nicht gerade Freude aufkommen. Natürlich wußte man in Berlin, daß der Vorzeige-Grüne aus der Frankurter Sponti-Szene der späten sechziger und frühen siebziger Jahre kommt und an Demonstrationen teilgenommen hatte, bei denen die Demonstranten mit der Polizei nicht gerade zimperlich umgingen (die Sicherheitskräfte mit den Demonstranten übrigens auch nicht). Neu sind aber die Fotos, die Fischer "beim Einsatz" damals in Frankfurt zeigen. Die Fragen stellen sich wie bei Frau Schmidt: Gibt es noch mehr Fotos, und was zeigen sie? Und was ist mit der in Gerüchten immer wieder verbreiteten Behauptung, Fischer habe doch etwas mit der Brandstiftung eines Polizeiautos zu tun gehabt, bei der ein Beamter beinahe ums Leben gekommen wäre? Warum verweigert das Außenministerium Antworten auf Fragen von Abgeordneten, die wissen wollen, wie die Pistole, mit der der damalige hessische Wirtschaftsminister Karry ermordet worden war, in Fischers damaliges Auto gekommen ist.

Angesichts des hohen moralischen Anspruchs der Schröder-Regierung sind eigentlich weder der Vizekanzler Fischer noch die neue Gesundheitsministerin Schmidt tragbare Erscheinungen. Wer wie Schröder den "Aufstand der Anständigen" gegen den Rechtsextremisms predigt, kann sich nicht mit ehemaligen Steinewerfern und Personen mit Kontakten ins Rotlichtmilieu umgeben.

Auch mit Frau Künast als neuer Ministerin für Verbraucherschutz wird Rot-Grün keinen Staat machen können. Mehr, als daß sie und die Bauern gleiche Interessen, nämlich den Verbraucherschutz hätten, fiel Frau Künast bisher nicht zum Thema Landwirtschaft ein. Die Koalition will den Bauernstand, den Träger der Nahrungsmittelversorgung und der deutschen Kulturlandschaft, völlig umkrempeln. Die in Ansätzen erkennbare Umstellung auf ökologische Landwirtschaft in großem Stil führt jedoch zu weiteren Einkommensverlusten, weil die Produktion pro Hektar sinkt und sich die Flächen nicht beliebig erweitern werden können. Für Rot-Grün kein Problem: Die Lebensmittel werden dann aus dem Ausland, etwa Großbritannien, importiert.

Schröder verbreitet Aktionismus, doch in Wirklichkeit wird er mit den Krisensymptomen nicht fertig. Der Rentenreform als wichtigstes Vorhaben der Legislaturperiode bescheinigen Experten ein Haltbarkeitsdatum von nur wenigen Jahren. Rentenminister Walter Riester gilt als weiterer Wackelkandidat. Auch die Gesundheitspolitik krankt daran, daß keine politische Autorität da ist, die staatliche Ordnungsprinzipien gegen das Interessengewirr von Verbanden, Ärzten, Kassen und Industrie durchsetzen könnte. Und zuletzt ist da noch ein Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der weniger an seine Soldaten denkt, sondern mit seiner neuen Lebensgefährtin turtelnd durch die Welt reist und von einer Talkshow zur nächsten zieht.

Regieren macht Spaß, hatte Schröder zu Beginn seiner Amtszeit gesagt. So etwas hat man von Kohl nie gehört, denn dieser Satz kann nur von einem politischen Abenteurer stammen, der sich mit Abenteurern umgeben hat.


 
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