© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
Jetzt weht bald ein anderer Wind
USA: Der neue US-Präsident Bush will mit Justizminister Ashcroft auf "Law & Order" setzen
Matthew Richer

Inzwischen ist es fast zehn Jahre her, daß die Polizei in einer ländlichen Gegend im südlichen US-Bundes-staat Missouri zum Einsatz gerufen wurde, weil der Vietnam-Veteran James Johnson seine Frau und seine Tochter mit einer Schußwaffe bedrohte. Als ein Polizist eingriff und die Situation zu entschärfen versuchte, feuerte Johnson Schüsse auf ihn ab, die ihn im Rücken und im Kopf trafen. Damit war seine Mordlust aber noch nicht befriedigt. Statt dessen stattete er einem weiteren Polizisten einen Hausbesuch ab. Dessen Frau veranstaltete gerade einen Gebetskreis. Johnson drang in das Haus ein und schoß fünfmal auf die Frau, die vor den Augen ihrer Freunde und Familie starb. Sein nächstes Opfer, ebenfalls ein Polizist, wurde viermal getroffen und überlebte nur knapp. Als nächstes fuhr Johnson zur Polizeiwache, wo er zwei weitere Polizisten ermordete, bevor er endlich festgenommen wurde. James Johnson tötete vier Menschen an einem einzigen Tag.

Bei seinem Mordprozeß plädierte James Johnson "nicht schuldig wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit". Seine Unzurechnungsfähigkeit beruhte angeblich auf post-traumatischem Streßsyndrom, das er sich bei seinem Einsatz im Vietnamkrieg zugezogen hatte. In den USA spricht man von "abuse excuse" – der jedes Verbrechen entschuldigenden Ausrede, selber mißbraucht worden zu sein. Manchmal funktioniert diese Taktik, manchmal auch nicht.

Diesmal nützte sie nichts. Die Jury befand Johnson des mehrfachen Mordes schuldig. Über seine Strafe hatte ein Gremium aus Richtern des Staates Missouri zu entscheiden. Bei einem von ihnen fand Johnsons "abuse excuse" dann doch noch Gehör. In seiner abweichenden Meinungserklärung bestand Ronnie White darauf, Johnsons Unzurechnungsfähigkeit sei glaubwürdig. White verlangte sogar eine Neuaufnahme des Gerichtsverfahrens. Seine Kollegen waren allerdings anderer Meinung und verurteilten James Johnson zum Tode.

Dieser Fall war eher die Regel als die Ausnahme, wenn man Ronnie Whites Karriere insgesamt betrachtet. Kein anderer Richter war bei Todesurteilen so oft abweichender Meinung wie White. Dennoch ernannte Präsident Clinton ihn 1999 zum Bundesrichter. Der republikanische Senator John Ashcroft jedoch hatte Whites Rolle im Johnson-Prozeß nicht vergessen und setzte sich mit aller Kraft gegen Whites Nominierung ein. Die Exekutive unterstützte ihn in hohem Maße, und letztendlich stimmte der Senat gegen Whites Ernennung ab.

Das einzige Problem an der Sache war, daß Ronnie White schwarz ist. Viele Demokraten gaben sich empört und bezichtigten John Ashcroft des Rassismus. Bill Clinton höchstpersönlich ließ sich zu der Aussage hinreißen, Whites Ablehnung bewiese einmal mehr, "daß der Senat Juristen, die weiblich oder Angehörige von Minderheiten sind, nicht gleichberechtigt behandelt. Heute ist ein trauriger Tag für die Doktrin des gleichen Rechts für alle."

Es ist fraglich, ob die Familien von Johnsons Opfern das so sehen würden. Und wenn John Ashcroft tatsächlich Rassist ist, dann ist er zumindest ein äußerst inkompetenter. Immerhin berief er als Gouverneur von Missouri acht schwarze Richter an das oberste Gericht des Bundesstates. In seinem Kabinett saßen ebenfalls drei Schwarze. Als Senator des Bundesstaates Missouri stimmte John Ashcroft der Ernennung von 26 der 28 schwarzen Bundesrichter zu, die Präsident Clinton vorschlug.

In Wirklichkeit machten die Demokraten lediglich von der effektivsten Waffe in ihrem politischen Arsenal Gebrauch: dem "Rassenjoker". Das Schöne an dieser Karte ist, daß man sie sozusagen in zwei Richtungen einsetzen kann. Wer etwas gegen einen schwarzen Demokraten sagt, ist ein Rassist. Jeder Schwarze, der die Republikaner unterstützt, begeht Rassenverrat. Es wird nicht lange dauern, bis Ronnie White in den Anhörungen zu John Ashcrofts Ernennung als Oberster Staatsanwalt zu Wort kommt. Und spätestens dann wird der "Rassenjoker" gegen John Ashcroft ausgespielt werden. Das Verfahren wird nicht angenehm sein. Aber am Ende wird John Ashcroft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Amt des Justizministers unter dem neuen Präsidenten George W. Bush bestätigt werden. Diese Anhörungen werden sich erst als Prolog zu einem viel größeren Drama erweisen.

Im Mittelpunkt dieses Dramas stehen zwei unterschiedliche Auslegungen der US-amerikanischen Verfassung. Auf der einen Seite gibt es die Anhänger der sogenannten "ursprünglichen Absicht". Ihnen gegenüber stehen diejenigen, die die Verfassung als "lebendiges Dokument" aufgefaßt wissen wollen. Erstere sind der Meinung, die Verfassung müßte stets nach dem ursprünglichen Willen der Gründerväter ausgelegt werden. Die Exponenten der zweiten Sichtweise halten dagegen, die Bedeutung der Verfassung entwickle und verändere sich über die Jahre. So hat eine "lebendige Verfassung" es Richtern ermöglicht, ein "fundamentales Recht auf Abtreibung" zu behaupten. Gegner dieser Lesart argumentieren dagegen, da Abtreibung in der Verfassung nicht erwähnt werde, gebe es keine Berechtigung für eine solche Interpretation.

In der Regel vertreten Republikaner die These der "ursprünglichen Absicht", während Demokraten die des "lebenden Dokuments" bevorzugen. Präsident Bush hat schon angekündigt, daß er Bundesrichter ernennen wird, die die Verfassung nach der "ursprünglichen Absicht" interpretieren. Im Gegenzug werden die Demokraten sich sicherlich bemühen, möglichst viele von Bushs Kandidaten zu "borken". Dieser Ausdruck für politische Verunglimpfungskampagnen hat sich in die amerikanische Umgangssprache eingeschlichen, seit der damalige Präsident Ronald Reagan 1987 Robert Bork in den Supreme Court berief. Bork genoß einen ausgezeichneten Ruf als Jurist der "ursprüngliche Absicht"-Fraktion. So mußten die Demokraten ihre sämtlichen Joker auf einmal aus dem Ärmel ziehen, um ihn loszuwerden. Sie droschen mit der Rassismus- und der Sexismuskeule zugleich auf ihn ein. "Robert Borks Amerika ist ein Land, in dem Frauen gezwungen wären, ihre Abtreibungen von Quacksalbern vornehmen zu lassen", donnerte der damalige Senator Ted Kennedy. "Schwarze müßten an segregierten Theken essen, durchgedrehte Polizisten könnten zu Mitternachtsrazzien in die Häuser unschuldiger Bürger eindringen ..." Und so weiter.

Vier Jahre danach berief George Bush Clarence Thomas in den Obersten Gerichtshof. Auch Thomas hatte erstklassige Qualifikationen vorzuweisen und galt als absolut unbestechlich. Seine einzige Sünde bestand darin, daß er – genau wie Bork – an die "ursprüngliche Absicht" der Verfassung glaubte. Die Anhörungen im Fall Thomas arteten in einen nationalen Skandal aus. Zunächst mußte Thomas sich als Schwarzer gegen den Vorwurf verteidigen, er habe seine Rasse verraten und verkauft. Damit nicht genug – auch gegen eine aus der Luft gegriffene Anklage wegen sexueller Belästigung einer Mitarbeiterin mußte er sich wehren. Clarence Thomas gelang es glücklicherweise, sich von jedem Anflug eines Verdachts zu befreien. Unglücklicherweise erholte sein Ruf sich nie völlig.

Im Laufe der nächsten vier Jahre wird der Republikaner George W. Bush zwei bis drei Richter an den Supreme Court berufen. Er wird darüber hinaus Dutzende von Positionen auf der niedrigeren Ebene der Bundesgerichtshöfe zu besetzen haben. So steht viel auf dem Spiel, und die Ashcroft-Hearings werden höchstens die Spitze eines Eisberges der Hetzerei sein.

Bürgerrechtsgruppen im US-Staat Florida haben am 10. Januar Klage gegen die Wahlbehörden wegen "institutionalisiertem Rassismus" eingereicht. Sie forderten nun ein neues Wahlverfahren, da vor allem Schwarze bei der Präsidentenwahl vielfach um die Chance betrogen worden seien, mit der Abgabe ihrer Stimme einen Einfluß auf die Politik des Landes zu nehmen. Kritisiert wurden insbesondere die gängigen Wahlmaschinen, die für Fehler anfällig seien, sowie die Gestaltung der Stimmkarten – das schaffe häufig "Verwirrung". Immerhin: Eine Anfechtung des Ergebnisses der Präsidentenwahl an sich wurde nicht beantragt.


 
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