© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
Die Welt ist schlecht
Botho Strauß rechnet zum zweiten Mal mit der Spaßgesellschaft ab
Angelika Willig

Künstler ist ja heute jeder. Jeder darf sich einen Bart wachsen lassen, bis mittags schlafen und den Wein anschreiben lassen. Und umgekehrt darf auch der Künstler es sich einfach machen und die gleichen Dummheiten und Plattheiten von sich geben wie irgendein Hochschullehrer oder Talk-Master.

Botho Strauß wäre ein Künstler, wenn es noch Künstler gäbe. Vielleicht war er sogar mal einer, immerhin hat man ihn in einem Atemzug mit Heiner Müller und Thomas Bernhard genannt. Der Dramatiker Strauß hat den Anspruch durch die Sprecher und die Sprecher durch ihre Sprache entlarvt. Nicht so gewaltsam wie Heiner Müller und nicht so eigensinnig wie Thomas Bernhard, aber mit einer neuen spätbundesrepublikanischen Eleganz. Dem fetten D-Mark-Deutschen eine Eleganz anzumessen, war schwer, aber Strauß schaffte es, und Edith Clever wirkte in seinen Stücken wie eine intrigante scharfzüngige Pariserin. Nur eben deutsch. Deutsch war das Ganze, wie bei Bernhard, wie bei Müller, wider Willen durch eine innere Notwendigkeit.

Sicher war Botho Strauß einsam, wie alle Künstler, sicher litt er, wie alle Künstler, an seinem Land und an seiner Zeit, sicher kamen Eleganz und Ironie aus blutendem Herzen. Thomas Mann vergleicht die Leichtigkeit der Formulierung mit der Anmut der Kleinen Meerjungfrau, die weiter tanzt, obwohl ihr der Schmerz wie mit Messern in die Füße schneidet.

Doch wie jeder muß sich der Dichter von Zeit zu Zeit so richtig auskotzen, ohne Rücksicht auf Stil und Originaltät. Bei Botho Strauß kommt der Ekel nur alle paar Jahre zum Ausbruch. Anfang 1993 erschien im Spiegel ein längerer Essay mit dem Titel "Anschwellender Bocksgesang". "O tempora o mores" hätte ein Römer begonnen, um die guten alten und die schlechten neuen Zeiten zu beklagen. Strauß bezog sich eher auf die Griechen, aber mit dem gleichen Tenor. In der Zeit vom 20. Dezember findet sich nun die Fortsetzung oder eher Wiederholung des "Bocksgesangs": "Wollt Ihr das totale Engineering?"

Ganz so peinlich wie dieser Titel ist der Aufsatz nicht. Aber es geht in die Richtung. "So wenig wie der gesammelte Tagesverstand ohne das Lose und Lösen des Traums ’kreativ‘ werden kann", schreibt Strauß, "so wenig kann das Überprüfbare ohne die Schwerkraft des Unüberprüfbaren Gewicht erlangen." Dieser Gedanke ist etwa so originell wie das Zitat aus der Sportpalast-Rede. Dann: Der Dichter fährt zur Expo. Daß da nichts los ist, hat Otto Normalverbraucher besser begriffen und bleibt vor dem häuslichen Computer sitzen. Doch damit wird Strauß nicht glücklich, denn: "Ich kann mir nicht verbergen, daß die Kommunikationsströme des Computers oder Internet sich nie mit dem heißen Untergrund, dem unruhigen Magma des Gewesenen, vereinigen werden." Vielleicht sollte er es mal mit den Kommunikationsströmen des Mobilfunks versuchen. Vielleicht kann das Handy sogar "unsere Entfernung von Gott" überbrücken, und die Käufer wüßten wenigstens, wen sie anrufen sollen. "Wir erleben jetzt die Stunde, die niemals kommt. Die Entwurfserfahrung ist der eigentlich virtuelle Gehalt der neuen Technik. Früher war, was der Fall ist. Heute ist, was wird. Proponieren, propagieren, prosperieren, projektieren – nur das Unvorstellbare kann hier contra geben."

Welchen Sinn hat diese Art von Kulturkritik, wem nützt sie und wem schadet sie? Gegeben hat es sie jedenfalls schon immer, und Goebbels, wenn er denn schon zitiert werden soll, hat diese Ewig-Unzufriedenen "Kritikaster" genannt und ihnen einen Maulkorb umgehängt. Also müssen sie wohl doch gefährlich bzw. nützlich sein, denn alles, was dem Nationalsozialismus gefährlich war, nützt automatisch uns. Hören wir einmal, was Botho Strauß zu den Glatzen sagt: "Wären die rechtsradikalen Jugendbanden wirklich rechts, so könnte man immerhin vermuten, daß sie von einem Grauen, einem Schwindel vor der Tiefe der ausgemerzten Vergangenheit ergriffen und zu ihren üblen Haßtaten enthemmt würden." In Wahrheit sind sie aber nicht rechts, sondern "nur ein Spätprodukt unserer sonst so hoch geschätzten Anti-Phasen-Kultur".

Da muß man erst mal eine Weile überlegen, was "Anti-Phasen-Kultur" heißen soll, aber es heißt wohl, daß unsere liberale Gesellschaft es duldet, wenn einzelne Gruppen meist von Jugendlichen eine Zeitlang nicht mitmachen, sondern sich am Aufbau eigener neuer Lebensformen versuchen. Davon hält Strauß nichts oder glaubt gar nicht an einen in Grenzen gehaltenen Protest, sondern wünscht sich eine vom Grauen ausgelöste und in Haß mündende Enthemmung. Leider sind die Rechtsradikalen dazu nicht in der Lage und daher nicht wirklich "rechts", sondern im Grunde auch nur Scheißliberale. Würde sich nun Goebbels über diese Auffassung freuen? Sicher nicht, denn Goebbels würde schnell durchschauen, daß es sich hier um einen dieser hochnäsigen Intellektuellen handelt, die im Unverbindlichen der Feuilletons vom Blutvergießen und enthemmten Haßorgien schwärmen, aber sofort zurückzucken, wenn es um eine konkrete politische Stellungnahme, geschweige denn Maßnahme geht. Warum? Gar nicht so sehr aus Feigheit, sondern weil es sich um einen Weltschmerz handelt, der weder politisch ist noch poetisch, sondern das übliche Gejammer des Gebildeten, der sich überflüssig vorkommt. Die Befürchtung ist unbegründet. Während eine linke oder rechte Revolution Begeisterung verlangt oder wenigstens Zustimmung, wünscht sich der von Strauß beklagte kommerzielle Globalismus genau das, was diese Kulturkritik liefert: die Kapitulation des Geistes vor dem Geld.

An einer Stelle dämmert es dem Dichter: "Das bißchen Zeit zwischen ihm, Hölderlin, und uns sollte es sein, das den radikalen Wesenswandel ausmacht, den wir seither erfuhren?" Nein, "das bißchen Zeit" ist es nicht, es ist der Unterschied zwischen einem Hölderlin, der die Zähne zusammenbeißt und desto schöner schreibt, je häßlicher ihm die Welt vorkommt, und einem Botho Strauß, der sich darin fügt, daß "meine Generation niemals aus kulturellem Einstweh etwas Bedeutendes hervorbringen" wird. Es gibt keinen "Wesenswandel" der Zeiten, sondern immer nur den Unterschied zwischen gut und schlecht, stark und schwach, gesund und krank. Denn obwohl Hölderlin im klinischen Sinne verrückt wurde, oder gerade deshalb, schreibt er aus einer künstlerischen Sicherheit heraus, die wie traumwandlerisch über alle Widrigkeiten hinweg unter die Sterne führt.

Wie Hölderlin an seiner eigenen Zeit und den eigenen Landsleuten gelitten hat, läßt sich noch im "Hyperion" nachlesen. Aber hier ist der Schmerz Ausgangspunkt und nicht Resultat. Jeder weiß, daß die Welt schlecht ist. Vom Künstler erwarten wir, daß er sie uns erträglich macht. Jeder Konservative kennt das aus Aristoteles. Aber Strauß ist kein Konservativer. Im Kern ist er der linksliberale Fortschrittsgläubige geblieben. Der wundert sich, daß die erhoffte "bessere Welt" sich nicht einstellt, sondern statt dessen eine "totale Mechanisierung". Den humanistischen Erwartungen gegenüber erscheint die Ernüchterung als Katastrophe.

Man wirft Strauß die Zitierung von Autoren wie Nietzsche und Jünger vor. In Wirklichkeit denkt er, wie viele seiner Generation, immer noch in den Strukturen von Adorno. Schon der hatte gesehen, daß es mit der Weltrevolution nichts werden würde, und aus Rache jeden geschichtlichen Fortschritt geleugnet, um seine eigene Utopie in die Kritik und in die Negativität zu verlegen. Allerdings war Adorno ein Theoretiker mit einem hervorragenden theoretischen Verstand. Strauß hingegen begibt auf ein fremdes Terrain. "Dichter und Denker sitzen auf verschiedenen Gipfeln", sagt Heidegger. Das ist der Unterschied zwischen Dichtern und Schriftstellern, daß Schriftsteller auf gar keinem Gipfel sitzen, sondern im Kulturbetrieb mitschwimmen und wie die Delphine ihre Kunststücke machen. Strauß hat es übernommen, den Bauch nach oben zu kehren und sich totzustellen. Es wirkt ziemlich echt.


 
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