© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
CD: Pop
Epigonales
Michael Wiesberg

So begnadet der 1971 in Berlin geborene Trompeter Till Brönner auch sein mag, seine aktuelle Scheibe "Chattin' With Chet" (Verve; VertriebUniversal Jazz) muß als mißlungen bezeichnet werden. Brönner versucht auf Biegen oder Brechen trendy zu wirken. Herausgekommen ist bei diesem Unterfangen eine Musik, die "Yuppies" als Unterhaltung dienen mag, die aber keinen höheren Qualitätsansprüchen mehr genügt. Befremdend wirkt bei dieser Hommage an den legendären Trompeter Chet Baker der Einsatz von Rhythmusmaschinen und die Verfremdung von Brönners Gesang mit allerlei elektronischen Effekten. Diese unangemessene Pseudo-Modernisierung großer Jazznummern aus Chet Bakers Repertoire kommt deren Vergewaltigung gleich. Allenfalls andeutungsweise zeigt Brönner, wozu er fähig ist. So zum Beispiel bei den konventionell gehaltenen Versionen von "She Was Too Good To Me", "When I Fall In Love"oder "My Funny Valentine". Hier deutet Brönner an, welche musikalischen Möglichkeiten er ausschöpfen könnte. Es bleibt zu hoffen, daß sich Brönner bei seinen nächsten Einspielungen wieder auf seine großen Fähigkeiten besinnt und sich von dem, was er für den Zeitgeist hält, löst.

Auch keine Offenbarung ist das neue Album des arrivierten Trios Keith Jarrett, Gary Peacock, Jack DeJohnette, das den Titel "Whisper Not" (ECM-Records 1724) trägt. Nach dem erstaunlichen Erfolg des Solo-Albums "The Melody At Night, With You" dokumentiert die Live-Aufnahme aus Paris "Whisper Not" Jarretts Rückkehr zum Piano-Trio-Format. Vorausgegangen war eine dreijährige Krankheit, die Jarrett hinderte aufzutreten. In dieser Zeit begann er sich mehr dem melodiösen als den improvisatorischen Aspekten der amerikanischen Standardschule zuzuwenden (wie "The Melody At Night, With You" dokumentiert). Mit Auswirkungen auch auf sein Trio: "Whisper Not" ist eine Zusammenstellung bekannter Stücke von Monks "Round Midnight" bis Strayhorns "The Chelsea Bridge". Die "differentia spezifica" zu den anderen Alben dieses Trios liegt in der Auswahl der Stücke. Jarrett dokumentiert hier eine Vorliebe für Bebop-Stücke der vierziger und fünfziger Jahre. Eine kreative Rezeption bleibt allerdings aus. Jarrett, Peacock und DeJohnette gehen nicht wirklich über die Errungenschaften der Pianisten Bill Evans oder Bud Powell und ihrer verschiedenen Jazz-Formationen hinaus. Trotzdem ist diese Doppel-CD jedoch noch hörenswert, auch wenn sie in Epigonentum und Oberflächlichkeit steckenbleibt. Man kann sich des Eindrucks nicht wehren, daß die drei verdienten Jazz-Matadore eine kleine Auszeit genommen haben und sich auf ihren Lorbeeren ausruhen.

Wieder erhältlich ist das Album "Eastern Sounds" des Tenorsaxophonisten Yusef Lateef, das dieser im September 1961 aufnahm (Original Jazz Classics; Vertrieb ZYX-Music Merenburg). Lateef legt Wert darauf, daß er nie Jazz gespielt habe. Seine Klangwelt bezeichnet er als "autophysiopsychische Musik". Der bis heute unterschätzte Musiker Lateef, ein amerikanischer Moslem, hat in den fünfziger Jahren als erster an einer Verbindung zwischen afroamerikanischer Improvisationsmusik und orientalischer Musik gearbeitet. Mit einem gewissen Recht kann er daher als Vater der heute sogenannten Weltmusik bezeichnet werden. Dabei blieb er stets ein Hardbop-Tenorist und ein versierter Vertreter des Blues, den er besonders gern auf der Oboe spielte. Ein Beispiel dafür liefert auf dem Album "Eastern Sounds" der Titel "Blues for The Orient". Mit dem Drummer Lex Humphries und vor allem dem begnadeten Pianisten Barry Harris, seinem alten Freund aus der Detroiter Jazz-Szene, gelang Lateef hier ein verträumtes Album, das mit exotischen Klängen vom ersten bis zum letzten Ton immer noch in seinen Bann zieht.


 
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