© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Gegenmodell notwendig
In Davos sprachen Experten und Politiker über die "Schöne neue Welt"
Manfred Ritter

Die Straßenschlacht fand diesmal nicht in Davos statt, weil man es entsprechend abgesperrt hatte, sondern in Zürich, das den radikalen Gegnern als Ersatzbühne für ihren medienwirksamen Auftritt dienen mußte. Deshalb konnten die mächtigsten Leute der Welt – Topmanager, Spitzenpolitiker, Wissenschaftler, Nobelpreisträger und Künstler – unbehelligt tagen und über die Weltwirtschaft und andere globale Probleme diskutieren.

Die vom Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum – WEF) organisierten sozialen Debatten seien nur vorgeschoben, um die Journalisten zu beschäftigen, erklärten die Gegner. In Wirklichkeit handle es sich um ein "Netzwerktreffen der Reichen".

Diese Aussage trifft zumindest insoweit zu, als internationale Konferenzen – ebenso wie Staatsbegräbnisse großer Politiker – die Kulisse darstellen, hinter der wichtige Gespräche und Verhandlungen von Staatschefs und Wirtschaftsführern stattfinden. Insoweit unterscheidet sich Davos nicht von anderen Prominenten-Treffpunkten. Es ist auch naheliegend, daß Topmanager und hochkarätige Politiker nicht nur zusammenkommen, um schöne Reden über eine "bessere Welt" zu halten oder anzuhören.

Für die Menschheit, deren Wohlergehen das erklärte Ziel internationaler Konferenzen ist, hängt Erfolg oder Mißerfolg derartiger Veranstaltungen entscheidend davon ab, ob im offiziellen Teil neue richtungsweisende Ideen oder Erkenntnisse vorgetragen werden und über die anwesenden Medien in die internationale Diskussion eingehen. Dann besteht zumindest die Hoffnung, daß sich eine gute Idee einmal durchsetzen wird. Die Frage ist allerdings, ob in Davos Meinungen zum Zug kommen, die nicht den Interessen des großen Kapitals entsprechen. Das WEF finanziert sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden der Großindustrie. Deshalb hat das WEF in der Vergangenheit die Globalisierung der Wirtschaft mit ihrem ungehemmten "globalen Wettbewerb" durch entsprechende Diskussionsrunden und Positionspapiere kräftig angeheizt. Erst in neuester Zeit waren – wohl unter dem Eindruck lauter werdender Proteste – kritischere Töne aus Davos zu hören. So wurde etwa eine "verantwortliche Globalisierung" beschworen.

Auch im Januar 2001 sucht man beim WEF Rezepte gegen die globale Spaltung zwischen Arm und Reich. Man will "Gräben überbrücken" und einen "Rahmen für die globale Zukunft" finden. Solche Formulierungen laden "Gesundbeter" aus aller Welt zu schönen "Sonntagsreden" geradezu ein. Sie erwecken den Eindruck – und stehen damit sogar ihren radikalen Gegnern nahe –, daß die Globalisierung vor allem ein Verteilungsproblem zwischen der nördlichen und der südlichen Erdkugel sei. Dann bedürfte es nur ausreichender internationaler Finanzhilfen, um das Ziel einer "Schönen neuen Welt" zu erreichen. Daher dürfte die Meinung, daß die Globalisierung zu einer existenziellen (wirtschaftlichen) Bedrohung der meisten Völker zu werden droht, bei den Forumsteilnehmern auf entschiedenen Widerspruch stoßen. Dies liegt auch deshalb auf der Hand, weil die in Davos versammelte Elite aufgrund guter finanziellen Absicherung wenig Verständnis für die Nöte des "kleinen Mannes" aufbringen wird, der um seinen Arbeitsplatz fürchtet. Er ist es in erster Linie, der dem Darwinschen Überlebenskampf des billigsten Arbeitskraftanbieters zum Opfer zu fallen droht.

Dieses Problem trifft die Hochlohnländer mit zunehmender Härte. Alternativen zur Globalisierung sind für sie deshalb lebenswichtig, falls das globale Modell scheitert. Die Organisatoren des Davoser Forums erklären, daß auch Globalisierungsgegner verstärkt eingeladen werden sollen. Eine telefonische Anfrage beim WEF, ob man auch bereit sei, über ein Gegenmodell zu diskutieren, das die Aufteilung der Welt in großräumige Schutzzölle abschirmbare Wirtschaftsregionen vorsehe und deshalb nicht im Sinne der "global players" liege, wurde immerhin positiv beantwortet. Soviel Toleranz gegenüber Ansichten, die vom "offiziellen" Meinungsspektrum abweichen, ist vor allem für einen Deutschen überraschend, der solche Liberalität bei unseren ideologisch weitgehend gleichgeschalteten Medien schon lange vermissen muß.

Die von der WEF in Aussicht gestellte Diskussion eines Gegenmodells wäre zwar zunächst auch nur ein kleiner Schritt. Er könnte aber bei einigen Entscheidungsträgern die Bereitschaft wecken, über Alternativen zur Globalisierung nachzudenken. Solange sich die "gesellschaftlich relevanten Kräfte" in den Hochlohnländern weiterhin weigern, über solche Alternativen zu diskutieren, setzen sie ihre Anpassungsfähigkeit in einer Existenzfrage aufs Spiel. Wenn sich die Globalisierung eines Tages als moderner "Turmbau zu Babel" erweisen sollte – wofür vieles spricht –, werden sie mangels "Einsatzreife" eines Gegenmodells keine Möglichkeit mehr haben, rechtzeitig umzusteigen. Man kann daher nur hoffen, daß das WEF diese Problematik erkennt und auf der Suche nach einer besseren Welt nicht alles auf die Globilisierungskarte setzt.

 

Manfred Ritter hat vergangenes Jahr zusammen mit Klaus Zeitler das Buch "Armut durch Globalisierung – Wohlstand durch Regionalisierung" (Leopold Stocker Verlag, Graz 2000, 143 Seiten, 29,90 DM) veröffentlicht.


 
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