© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Im Streit mit sich selber
CDU: Das zurückgezogene Renten-Plakat offenbart den Schlingerkurs der Union / Merkel, Merz und Stoiber rangeln um die Führungsposition
Paul Rosen

Noch einen Fehler, hatte der neue CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer bei der Übernahme des Amtes von seinem glücklos operierenden Vorgänger Ruprecht Polenz gespottet, könne sich die Parteichefin Angela Merkel nicht leisten. Den nächsten Fehler jedoch machte Meyer selbst, indem er das "Fahndungsplakat" mit Fotos von Bundeskanzler Gerhard Schröder veröffentlichte und beinahe genauso schnell wieder zurückzog. Der eigentliche Grund für den Schlingerkurs der Oppositionspartei ist jedoch die Rivalität zwischen ihren Spitzenpolitikern Merkel und dem Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz.

Das Fahndungsplakat hätte aus der Werkstatt des nordrhein-westfälischen FDP-Landesvorsitzenden Jürgen Möllemann stammen können. Der ideenreiche Liberale brachte im nordrheinwestfälischen Landtagswahlkampf Hitler auf die Wahlplakat. Schon bei der Vorstellung hagelte es Proteste. Möllemann war tagelang in aller Munde. Danach zog er das Plakat, das nie gedruckt und ausgeliefert worden war, wieder zurück.

Mit geringem Aufwand tagelang im Mittelpunkt der Debatte zu stehen, das wäre auch Meyer und Merkel beinahe geglückt. Denn in der Branche hat sich längst Möllemanns Grundsatz durchgesetzt: Tabus brechen und Grenzen (auch und gerade des sogenannten guten Geschmacks) überschreiten. Harte Plakate und Aussagen verwenden inzwischen beide Seiten. So wird der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber auf einer Homepage der Jungsozialisten als "Brandstifter" bezeichnet. Eine Postkarte mit montierten Fotos zeigt Stoiber zusammen mit jugendlichen Skinheads. Davon wollte sich SPD-Generalsekretär Franz Müntefering nicht distanzieren, sondern sprach von Plakaten, die umstrittene Äußerungen von Stoiber und vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein mit Ironie aufnähmen.

In der CDU gibt es viele widerstrebende Interessen

An Möllemann-Strategien hatte offenbar auch Meyer gedacht, als er kurz nach dem Rückzieher argumentierte, daß man jetzt wieder massiv über die Rentenreform der rot-grünen Koalititon diskutiere, dafür habe das Plakat sich gelohnt. Doch anders als bei der Möllemann-FDP, die mitten im Wahlkampf stand, gibt es in der Merkel-CDU viele widerstrebende Interessen. Als einer der ersten war Merz vor den Mikrophonen, der sofort feststellte, er habe das Plakat nicht zu verantworten, und sich über mangelnde Abstimmung in der CDU-Führung beklagte. Und in einem Hintergrundbericht der Deutschen-Presse-Agentur (dpa) über die Lage in der Berliner CDU-Zentrale war bereits von "Führungsschwäche" bei Frau Merkel die Rede.

Die ungelöste Führungsfrage, so freute sich Müntefering bereits, sei das Hauptproblem der CDU. Damit liegt der SPD-Mann genau richtig. Merkel und Merz belauern sich gegenseitig, warten ab, wer den ersten schweren Fehler macht, um selber daraus Vorteile ziehen zu können. Und in München wartet Stoiber als Dritter im Bunde auf seine Chance. Darunter leidet die Oppositionsarbeit.

Die Arbeit der rot-grünen Koalition böte genug Chancen, sich zu profilieren. Die noch von Polenz begonnene Kampagne der CDU gegen die Öko-Steuer kam jedoch nie richtig in Gang. Nachfolger Meyer gelang es bis heute nicht, den Benzinpreis wieder zum Thema zu machen, auch wenn der Liter Sprit derzeit schon wieder über zwei Mark kostet. Beispiel Bundeswehr. Das unausgegorene Konzept des unter starker Unterfinanzierung leidenden Verteidigungsminister Rudolf Scharping vermochte die Opposition nie richtig auseinanderzunehmen. Auch beim Thema Rentenreform konnte sich die CDU/CSU nicht in Szene setzen. Die Planungen der Koalition sind für Alte und Junge problematisch: Die jungen Leute müssen mit erheblich steigenden Beiträgen rechnen, den künftigen Rentnern drohen erhebliche Kürzungen ihrer Altersbezüge. Doch Frau Merkel zeigte sich schwankend. Erst stand sie an der Ablehnungsfront, dann schien sie der Reform der Regierung zustimmen zu wollen, um das Rententhema aus dem Wahlkampf heraushalten zu können. Erst sanfter Druck aus München brachte die CDU-Chefin dazu, sich wieder in die Reihe der Reformgegner einzureihen. Die Unentschlossenheit der Vorsitzenden trägt nicht dazu bei, die Umfragewerte für die CDU wieder deutlich steigen zu lassen, nachdem die Spendenaffäre langsam der Vergessenheit anheimfällt.

CSU-Chef Stoiber verstrickt sich in die BSE-Affäre

Selbst aus den Ministerrücktritten von Karl-Heinz Funke (Landwirtschaft), und Andrea Fischer (Gesundheit) wegen Fehlverhaltens im Zusammenhang mit dem erstmaligen Feststellen der Rinderseuche BSE in Deutschland konnte die Opposition keinen Honig saugen. Allerdings hatte hier Stoibers CSU für die Verwicklungen gesorgt. Die inzwischen auch zurückgetretene Münchner Sozialministerin Barbara Stamm hatte mit verbaler Militanz jahrelang von einer BSE-freien Bundesregierung gesprochen. Der Ankündigungen der neuen Berliner Agrarministerin Renate Künast, die Landwirtschaft radikal umbauen zu wollen, trat die Opposition nicht ernst genug entgegen. Die Landwirtschaftspolitiker zeigten sich ratlos, die CDU-Spitze desinteressiert.

Auch in der Debatte über die Vergangenheit der Bundesminister Joseph Fischer (Außen) und Jürgen Trittin (Umwelt), beide von den Grünen, kam die Opposition nicht über ein Scharmützel hinaus. Fischer, das ist gewiß, war in den siebziger Jahren in Frankfurt kein harmloser Demonstrant. Und Trittin war in der Göttinger Szene der Hausbesetzer und Berufsdemonstranten immer an vorderster Front. Daß solche Leute eines Tages ministrabel sein könnten, hätte in den siebziger Jahren wohl niemand für möglich gehalten. Doch beide Personen sind nur die bekanntesten Erscheinungen jenes Marsches durch die Institutionen, der Schule, Justiz und viele andere Bereiche von Staat und Gesellschaft sowie Kirchen völlig umwandelt hat. Dem Zusammenhang zwischen Fischer/Trittin einerseits und dem massiven Verlust von Werten, von Recht und Ordnung andererseits darzustellen, dazu hätte es einer großen Bundestagsdebatte gebraucht und nicht nur einer verlängerten Fragestunde.

So krebst die Union weiter vor sich hin. Stoiber, der bisher unbescholtene Hoffnungsträger aus Bayern, verstrickt sich zunehmend in die BSE-Affäre. Er hatte noch vor zweieinhalb Jahren davor gewarnt, Risikomaterial vom Rind wie Hirn zu verbieten – und sich über Brüssel empört, wo die EU-Bürokraten Rinderhirn nicht einmal mehr zu Tiermehl verarbeiten lassen wollten.

Wenn nicht alle Anzeichen täuschen, wird der CDU-interne Führungskampf in diesem Jahr in aller Schärfe ausbrechen, damit geklärt wird, wer in der Christenunion auf Platz eins steht. Gewinnt Merz, wird Stoiber Kanzlerkandidat. Gewinnt Merkel, fällt ihr auch die Kanzlerkandidatur zu. Die Wetten stehen allerdings nicht gut für Merkel, weil sie in dem entscheidenden Gremium, der Bundestagsfraktion, über einen zu geringen Einfluß verfügt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen