© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
"Wir sind die Rote Garde des Proletariats"
Zur Geschichte der kommunistischen Splittergruppen und ML-Bewegungen in der Bundesrepublik
Werner Olles

Der Beginn der marxistisch-leninistischen(ML)Bewegung markierte nicht nur einen entscheidenden Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte der radikalen Linken, er stellte darüber hinaus auch eine ideologische, intellektuelle und ästhetische Zäsur dar, von der sich zumindest die Achtundsechziger, möglicherweise aber die gesamte Neue Linke, nie wieder erholt haben. Dabei ist es gar nicht so leicht, eine genaue Datierung anzugeben, wann ein paar Theoretiker aus dem sich auflösenden "Sozialistischen Deutschen Studentenbund" (SDS) beschlossen hatten, der sogenannten "Randgruppen-Theorie", nach der die Arbeiter wegen ihres fehlenden Klassenbewußtseins für eine Revolution nicht mehr in Frage kamen und das Augenmerk daher auf Intellektuelle, Jugendliche und deklassierte Schichten gerichtet wurde, endgültig den Laufpaß zu geben. Unter der von der KP Chinas entliehenen Parole "Dem Volke dienen" beerdigten diese SDS-Funktionäre die von Herbert Marcuse empfohlene, aber ohnehin längst gescheiterte Organisierung und Erziehung des Marxschen "Lumpenproletariats" und wandten sich wieder dem klassischen "revolutionären Subjekt", der Arbeiterklasse, zu.

Die "Mutter" aller K-Gruppen war zweifellos die am 31. Dezember 1968 – genau fünfzig Jahre nach der Gründung der KPD durch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – in Hamburg von Ernst Aust gegründete "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML). Aust, ein ehemaliger Funktionär der 1956 verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD), gab seit 1953 die Zeitung Blinkfüer heraus und brach Ende 1966 mit der illegalen KPD. Ab Mitte 1967 erschien seine neue Zeitung Roter Morgen, in der er im Oktober 1968 zur Gründung einer "deutschen revolutionären marxistisch-leninistischen Partei" aufrief. Dazu schlossen sich die Gruppen "Roter Morgen" Hamburg, Karlsruhe und Mannheim, die "Freie Sozialistische Partei/Marxisten-Leninisten" und die "Revolutionären Kommunisten Nordrhein-Westfalens" zusammen.

"Schreibtischprodukte linker Professoren" attackiert

Mißtrauisch beäugte die sich nun KPD/ML nennende und etwa 800 Mitglieder starke Gruppe, die von der "Partei der Arbeit" Albaniens ausdrücklich als "Bruderpartei" anerkannt wurde, die Neuzulassung der "Deutschen Kommunistische Partei" (DKP) im gleichen Jahr durch Innenminister Gustav Heinemann (SPD). Als Sympathisant der chinesischen und albanischen Kommunisten, die den sowjetischen Staatssozialismus nach den Enthüllungen Chruschtschows über die Terrorherrschaft des Stalinismus auf dem XX.Parteitag der KPdSU als "bürokratisch", "revisionistisch" und "verräterisch" bekämpften, lehnte Aust die eindeutige Orientierung der DKP an der Sowjetunion und der DDR entschieden ab. Da der alte KP-Dissident die sowjetische Außenpolitik schon seit längerem als "Sozialimperialismus" kritisiert hatte und zudem den von den "Revisionisten" aus taktischen Gründen propagierten "friedlichen Übergang zum Sozialismus" völlig verwarf, war die Gründung der KPD/ML nur konsequent. Gleichzeitig lösten sich in fast allen westlichen Demokratien die maoistisch und antisowjetisch orientierten Kommunisten aus den alten KPs und gründeten sogenannte ML-Parteien.

In Frankfurt am Main – neben Berlin das Zentrum der Studentenbewegung – begann die ML-Bewegung inoffiziell am 22. Mai 1969 mit einem Flugblatt, das unter der Überschrift "Alle reden von Schulung" versehen mit einem Hammer-und-Sichel-Emblem dazu auffordert, Karate und die Schriften von Mao Tse-tung zu studieren. Man attackierte die "Schreibtischprodukte linker Professoren" und rief dazu auf, jene "Genossen zu studieren, die in den letzten 150 Jahren die proletarische Revolution erfolgreich geführt haben: Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao". Abschließend hieß es ziemlich großspurig: "Wir organisieren das Studium des Marxismus-Leninismus". Ideologietheoretisch sprang diesem plakativen Aufruf am 2. Februar 1970 in der Heidelberger Studentenzeitung Rotes Forum die polemische Abrechnung des SDS-Funktionärs Joscha Schmierer mit dem antiautoritären SDS-Flügel um den Frankfurter Bundesvorstand und Hans-Jürgen Krahl zur Seite: "Die theoretische Auseinandersetzung vorantreiben und die Reste bürgerlicher Ideologie entschieden bekämpfen – Die Kritische Theorie und die Studentenbewegung". Schmierer forderte hier nichts weniger als "eine richtige Anwendung der Organisationsprinzipien und der Ideen Maos und des Leninismus" und wies die Forderung der Antiautoritären, daß die Intelligenz zum kollektiven Theoretiker des Proletariats werden müsse, als "geschwätzig gewordene Resignation" zurück.

Von der KPD/ML spalteten sich bereits nach kurzer Zeit mindestens ein halbes Dutzend weitere ML-Parteien ab. Neben dem Original, das jetzt nach seinem Zentralorgan den Beinamen "Roter Morgen" trug, gab es nun u.a. eine KPD/ML-Rote Fahne mit Hauptschwerpunkt im Ruhrgebiet, eine schwäbische KPD/ML-Revolutionärer Weg und eine Berliner KPD/ML-Neue Einheit – wobei die Beinamen für die Titel der jeweiligen Zentralorgane standen –, die allesamt den Anspruch erhoben, die einzig authentische KPD/ML zu sein, was sie offensichtlich dazu berechtigte, gegen jedweden unliebsamen Konkurrenten notfalls auch mit Gewalt vorzugehen. Traf eine KPD/ML gar auf Trotzkisten, ging es ohne Verletzte kaum ab. Auf dem Höhepunkt dieser Amokläufe stach ein afghanischer Maoist in der Frankfurter Universität einen Trotzkisten nieder, der dabei lebensgefährlich verletzt wurde.

Einige dieser "Parteien", wie zum Beispiel die Berliner KPD/ML-Neue Einheit des wegen seiner Nichtbeachtung ständig beleidigte Briefe nach Peking schreibenden Vorsitzenden Klaus Sender, waren Ein-Mann-Unternehmen, andere kamen kaum über ein Dutzend Mitglieder hinaus. Lokale Spaltungen, wie zum Beispiel in Frankfurt, wo die Partei in diverse Grüppchen wie den "Frankfurter Kampfbund/ Marxisten-Leninisten" (FKB/ML) oder die gemeinsam mit der CDU/CSU und ausländischen konservativen, antikommunistischen Parteien antisowjetische Kongresse veranstaltenden "Marxististen-Leninisten Deutschland" (MLD) zerfiel, waren an der Tagesordnung. Die MLD trieben ihre politische Feindschaft gegen die Sowjetunion und die DKP dabei so weit, daß sie anläßlich einer Landtagswahl in Bayern in ihren Zeitungen Der Maoist und Die achtziger Jahre zur Wahl der CSU aufriefen. Aus der Erbmasse der Frankfurter KPD/ML fiel die parteieigene Druckerei an den FKB/ML, der dort sämtliche Stalin-Bände raubdruckte, und der Buchladen "Libresso" an die MLD. Indessen zerfiel auch der FKB/ML bereits nach wenigen Monaten, und seine Mitglieder verteilten sich proportional auf die DKP, die Jungsozialisten, den in Hanau aktiven "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" (AB) und den "Kommunistischen Bund" (KB), von dem später noch die Rede sein wird.

Als einzige K-Gruppe schmückte sich die KPD/ML mit einer angeblich höchst aktiven "Sektion DDR". Die Stasi ging hart gegen die Maoisten vor, die offenbar auch vor Aktionseinheiten mit neonationalsozialistischen Gruppen nicht zurückschreckten, und es kam zur Verhängung mehrjähriger Gefängnisstrafen. Diese rigide Unterdrückungspolitik führte schon bald zur völligen Zerschlagung der nach konspirativ-militärischen Regeln aufgebauten "Sektion DDR". In der Bundesrepublik gingen die traurigen Reste der KPD/ML in den neunziger Jahren gemeinsam mit der rechtstrotzkistischen "Gruppe Internationaler Marxisten" (GIM) in der "Vereinigten Sozialistischen Partei" (VSP) auf. Große bürgerliche Karrieren wurden in der KPD/ML im Gegensatz zu den anderen K-Gruppen nicht vorbereitet. Immerhin schaffte es einer der ihren, der Verleger Bernd Lunckewitz, später zum Multimillionär.

Anfang Dezember 1969 fand in West-Berlin eine Konferenz statt, an der etwa 60 West-Berliner und westdeutsche Gruppen mit insgesamt fast 200 Delegierten teilnahmen. Primär ging es dabei um den offen ausgebrochenen Kampf diverser Fraktionen der "antirevisionistischen Linken" um die Rote Presse Korrespondenz (RPK), der führenden Zeitschrift der Bewegung. Am Ende des Treffens erfolgte ein Aufruf, den Aufbau der Kommunistischen Partei als die gemeinsame Hauptaufgabe der Revolutionäre anzupacken und alle Kräfte auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Diese Linie wurde am 28.Februar 1970 mit der Gründung der "Kommunistischen Partei Ddeutschlands/Aufbauorganisation" (KPD/AO) durch die Berliner SDS-Funktionäre Christian Semler und Jürgen Horlemann fortgesetzt. Ein Jahr später erfolgte die Gründung des "Kommunistischen Studentenverbandes" (KSV) und der ersten Regionalkomitees außerhalb Berlins. Mit dem Umzug in die neue Parteizentrale in Dortmund im Frühjahr 1972 entfiel nun auch das Attribut AO, das der Partei in Spontikreisen den Spottnamen "KPD/A null" eingebracht hatte.

Im Gegensatz zur KPD/ML war die KPD eine reine "Studentenpartei". Trotzdem definierte sie sich selbst als "einheitliche Kommandozentrale des Proletariats" und "Teil der proletarischen Weltarmee und der kommunistischen Weltbewegung". Ähnlich wie Austs KPD/ML führte auch die KPD mit ihrem Zentralorgan Rote Fahne den "Hauptschlag gegen den sowjetischen Sozialimperialismus, den Hauptfeind des deutschen Volkes" und trat für ein "vereintes, unabhängiges, sozialistisches Deutschland" ein, was ihr prompt vom "antifaschistisch" ausgerichteten KB den Titel "Vaterlandsverteidiger" eintrug. In der Tat war die Verurteilung der politischen Linie von KPdSU, SED und DKP durch die KPD eindeutig: "Sozialistisch in Worten, faschistisch in Taten". Und zutreffend beschrieb Christian Semler die SED- und DKP-Führer als "Agenten einer imperialistischen Macht". Auch nachdem die KPD/ML in dieser Frage überraschend einen Kurswechsel vollzog, hielt die KPD weiter daran fest: "Der Sozialimperialismus ist der Hauptfeind für ganz Deutschland", während als militärpolitische Linie nach der China-Reise der KPD-Führung im Frühjahr 1975 nun "Bundeswehr und Nato als Bollwerke gegen die hegemonialen Großmachtinteressen der Sowjetunion" ausgegeben wurden. Dies war für eine linksextremistische Organisation gewiß etwas wunderlich, resultierte jedoch aus den wechselnden Einschätzungen der weltpolitischen Lage durch die jeweilige Pekinger Führung.

Viele frühere Mitglieder der KPD fanden nach der Auflösung der Partei den Weg zu den Grünen, manche gar zur SPD. Und mit Antje Vollmer schaffte es ein ehemaliges Mitglied der KPD und der "Liga gegen den Imperialismus", einer der "Massenorganisationen" der Partei, auf dem Ticket der Grünen sogar in ein hohes Staatsamt. Sie wurde mit Unterstützung der Union zur stellvertretenden Bundestagspräsidentin gewählt. Die alten Seilschaften aus der gemeinsamen Kampfzeit gegen den Sozialimperialismus funktionierten offenbar immer noch.

Aus der im Juni 1970 vom baden-württembergischen Inneministerium verbotenen letzten aktiven Hochschulgruppe des SDS in Heidelberg war dort die "Kommunistische Gruppe/Neues Rotes Forum" (KG/NRF) entstanden. Sie traf sich im Mai 1972 mit verschiedenen anderen örtlichen kommunistischen Zirkeln in Bremen, um zu beraten, ob und wie eine einheitliche nationale Organisation zum Wiederaufbau einer kommunistischen Partei in Westdeutschland geschaffen werden könne. Im September 1972 fand eine weitere abschließende Arbeitskonferenz zu diesem Thema statt, und auf der Gründungskonferenz im Juni 1973 wurden Programm und Statut verabschiedet und der neuen Organisation der Name "Kommunistischer Bund Westdeutschland" (KBW) gegeben. Zwar betrachtete man sich selbst noch nicht als Partei im marxistisch-leninistischen Sinne, ließ sich aber dennoch beim Bundeswahlleiter registrieren. Laut seiner Gründungserklärung betrachtete sich der KBW als "Parteiansatz", um auf der Grundlage seines Programms und seiner politischen Linie die "Kommunistische Partei Deutschlands" zu gründen. Als amtierender Sekretär des ZK fungierte seit der Gründung ununterbrochen Hans-Gerhard "Joscha" Schmierer, der ab Juni 1975 eine mehrmonatige Freiheitsstrafe wegen einer länger zurückliegenden Strafsache verbüßen mußte.

Der KBW war übrigens die einzige K-Gruppe, die mit einem Mandatsträger in einem Parlament vertreten war: Die Heidelberger Stadträtin Helga Rosenbaum weigerte sich den Schwur auf das Grundgesetz und die Landesverfassung abzulegen, und als sie es schließlich doch noch tat, erklärte sie öffentlich, diesen Schwur nur als "Eintrittskarte in den bürgerlichen Gemeinderat" zu betrachten, ihr Ziel sei weiterhin die ganze bürgerlich- kapitalistische Gesellschaft von innen heraus zu zerstören.

Es gelang Kadern, in höchste Staatsämter aufzusteigen

Selbst ein ausgewiesener Linker wie Klaus Theweleit bezeichnete diese wohlorganisierte Kadertruppe, die Abweichlern und politischen Gegnern gern mit der berühmt-berüchtigten "Fischmehlfabrik" drohte, die eigenen Leute mit Zählappellen beim Verkauf der Kommunistischen Volkszeitung (KVZ) und anderen kleinlichen Kontrollen schikanierte und die Reste bürgerlicher Ideologie in der Studentenbewegung mit Organisationsdisziplin, straffer, zentralistischer Leitung und einem Leistungsdruck bekämpfte, der in normalen Betrieben sofort die Gewerkschaften auf den Plan rufen würde, als "stalinistische Sekte mit terroristischer Gruppenstruktur".

Als der KBW sich 1985 auflöste, hinterließ er zwar jede Menge gescheiterter Existenzen und gebrochener Biographien, seine Führer kassierten jedoch noch schnell 30 Millionen Mark in Form des Bockenheimer Öko-Hauses für den Verkauf einer verrotteten Immobilie an die Commerzbank, die sie acht Jahre zuvor für ein Zehntel dieses Preises erworben hatten. Unter dem launigen Motto "Wir waren die ’Jeunesse dorée‘" feierte die KBW-Elite um Schmierer & Co. – getreu ihrer alten Parole "Die Kapitalisten mit dem Geldsack schlagen!" – auf diese Weise mit Champagner und Kaviar ihren Abschied von der Revolution.

Bereits 1980 hatte sich eine Gruppe unter dem ZK-Mitglied Martin Fochler abgespalten um als "Bund westdeutscher Kommunisten" (BWK) die revolutionäre Tradition des KBW fortzusetzen. Dieser Versuch hat jedoch vorläufig als Arbeitsgemeinschaft in der PDS sein wohlverdientes Ende gefunden. Neben Hans-Gerhard Schmierer, der vom ehemaligen 1. Sekretär des ZK des KBW zunächst zum Chefredakteur der Kommune, dann zum linksliberalen Grünen und schließlich zum Referenten im Planungsstab des Auswärtigen Amtes mutierte – wo er übrigens auf einen Genossen aus der KBW-Studentenorganisation KSB traf, den Chef des Planungsstabes und heutigen Botschafter in Chile, Georg Dick, gelang es auch weiteren KBW-Kadern in höchste Amter des ehemals so fanatisch bekämpften Staates aufzusteigen. Die neue Gesundheitsministerin Ursula Schmidt war, wie jetzt bekannt wurde, 1983 KBW-Bundestagskandidatin in Aachen und wurde damals vom Verfassungsschutz überwacht. Ralf Fücks, ein anderer hoher Funktionär, brachte es immerhin als Grüner in Bremen zum Senator für Umwelt und steht heute der parteieigenen "Heinrich Böll-Stiftung" vor. Der Historiker Gerd Koenen avancierte zum Autor mehrerer kritischer Bücher über die Linke – im Frühjahr erscheint der mit Spannung erwartete Band "Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution" – und publiziert jetzt unter anderem in der FAZ. Und selbst ein mittlerer lokaler Kader wie Nikolaus Münster schaffte es in Frankurt immerhin noch zum Leiter des städtischen Presse- und Informationsamtes unter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler (SPD) und wurde von Petra Roth CDU) umstandslos in dieser Funktion übernommen.

Aus Resten des "Sozialistischen Arbeiter- und Lehrlingszentrums" (SALZ) und des "Kommunistischen Arbeiterbundes/Marxisten-Leninisten" (KAB/ML) gründete sich 1970 in Hamburg der "Kommunistische Bund" (KB). Zu den Gründern gehörte unter anderen Jürgen Reents, der 1983 Abgeordneter der ersten grünen Bundestagsfraktion war. Ideologisch stand der KB zwischen den strikt antisowjetischen, dogmatisch-maoistischen K-Gruppen und der revisionistischen DKP. Mit seiner Zeitung Arbeiterkampf widmete er sich zunehmend dem antifaschistischen Kampf und fand, was ihm wegen seiner eher undogmatischen Haltung relativ leicht fiel, auch Bündnispartner in der nicht-kommunistischen Neuen Linken und in nicht-extremistischen Gruppen. Führende KB-Mitglieder wie Reents, Rainer Trampert, Thomas Ebermann und Ulla Jelpke beteiligten sich 1977 an der Gründung der "Bunten Liste" und drei Jahre später der Bundespartei "Die Grünen". Nach der Wende geriet die Organisation in eine schwere Krise. Während der Mehrheitsflügel um Reents und Jelpke dafür plädierte, den Aufbau der PDS zu unterstützen, blieb die KB-Minderheit ihrer alten Politik treu und rief dazu auf, die deutsche Einheit zu bekämpfen und den Nationalstaat zu zerstören, um an seiner Stelle eine multikulturelle Gesellschaft zu etablieren.

Vom ökosozialistischen Flügel der Grünen um den ehemaligen KB-Genossen Jürgen Trittin wechselte Reents zur PDS, deren Fraktionssprecher im Bundestag er 1991 wurde. Jürgen Trittin, der noch 1992 als niedersächsischer Bundesratsminister einen Polizeieinsatz gegen mit Stahlkugeln und Brandsätzen ausgerüstete Autonome als "unverhältnismäßig" bezeichnete und 1996 – er war immer noch Landesminister – bei einer vom Verfassungsschutz überwachten Veranstaltung der gewalttätigen Göttinger "Autonomen Antifa-M" über "Deutsche Innenpolitik" referierte, avancierte gar zum Bundesumweltminister der rot-grünen Koalition. Pikanterweise sollen – so jedenfalls die FAZ vom 22. Januar 2001 – Fotos eines vom Verfassungsschutz observierten Autonomentreffpunktes, auf denen auch Trittin zu sehen ist, existieren, die die Öffentlichkeit jedoch nie zu Gesicht bekam.

Wenngleich der KB unter den K-Gruppen der ML-Bewegung die am wenigsten zu einem verbiesterten Dogmatismus neigende Organisation war, gab es auch hier ein ziemlich hohes Gewaltpotential. So wurde zum Beispiel "rechten" politischen Gegnern schon mal nach IRA-Manier mit Knieschüssen gedroht.

Manch einer hungerte nach Autorität und Disziplin

Die letzte noch existierende ML-Partei ist die 1982 gegründete "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). Die etwa 1.500 Mitglieder halten bis heute unbeirrbar an den Ideen ihrer Lehrmeister Stalin und Mao Tse-Tung fest. Ihr Chefideologe war der inzwischen verstorbene Willi Dickhut, der seit den zwanziger Jahren in der KPD aktiv war. Wegen maoistischer Tendenzen in den sechziger Jahren aus der illegalen KPD ausgeschlossen, engagierte er sich kurzfristig in Austs KPD/ML und gründete dann den "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands" (KABD), eine Vorläuferorganisation der MLPD. Ihren ideologischen Führungsanspruch in der extremen Linken begründet die Partei in ihrem Zentralorgan Rote Fahne, das in einer gekürzten Ausgabe auch in türkischer Sprache erscheint, mit der "kleinbürgerlichen Denkweise dieser liquidatorischen Projekte und revisionistischen Organisationen". Die Arbeiterklasse und die werktätigen Zwischenschichten benötigten "eine proletarische, revolutionäre Führung", und das können natürlich nur die MLPD und der "Marxistisch-Leninistische Bund Intellektueller" (MLBI) sein.

Die ML-Bewegung gehört gewiß zu den schillerndsten Kapiteln deutscher Nachkriegspolitik. Daß sich gerade junge Akademiker den vor intellektueller Kümmerlichkeit nur so strotzenden K-Gruppen anschlossen, ist bis heute kaum erklärbar. Vielleicht hungerte manch einer nach Autorität und Disziplin, andere waren möglicherweise fasziniert von jener ML-eigenen Ästhetik der geschlossenen Reihen, über denen ein Meer roter Fahnen wehte. Über Jahre und teilweise Jahrzehnte hielten ihre Mitglieder und Sympathisanten unter den Porträts von Stalin und Mao trivialmarxistische Parolen brüllend das zerschlissene Banner des Marxismus-Leninismus hoch: ungebrochen, unbeirrt, unbelehrbar. Manche von ihnen sind heute hofierte Prominente in hohen politischen Ämtern, besitzen Verlage, schreiben Bücher und Artikel oder treten im Fernsehen auf.

Von den anderen, die von ihren Führern – deren Charisma vor allem darin bestand, daß ihr Narzißmus diesem Irrsinn unerschüttert standhielt – verheizt und ruiniert wurden, zu intellektuellen Blindgängern und charakterlichen Trümmerhaufen degenerierten oder unter dem gnadenlosen Gruppendruck psychisch zerbrachen, spricht heute niemand mehr. Das ist die eigentliche Tragik dieser Bewegung.

 

Werner Olles war in den siebziger Jahren zeitweilig Mitglied im "Frankfurter Kampfbund/ Marxisten-Leninisten" (FKB/ML).


 
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