© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Lehrer verkauft Verlobte
Oper: Albert Lortzings "Der Wildschütz" in Nürnberg
Werner Veith / Gabriele Dudek

Pünktlich zum 150. Todesjahr des liberalnationalen Komponisten Albert Lortzing inszeniert die Nürnberger Oper den "Wildschütz". Die unterhaltsame Verwechslungskomödie – passend zu den Faschingstagen – spottet über Landvolk und Aristokraten. Die Verwirrungen beginnen, als eine Baronin ihren potentiellen Hochzeiter zunächst einmal unerkannt begutachten möchte, weil "die Männer meines Standes heutzutage alle nichts taugen". Sie verkleidet sich als Student – und schon nimmt die Konfusion ihren Lauf. Aristokraten und Jäger folgen singend der "Stimme der Natur", also dem Kommando ihrer Sexualorgane.

In der Nürnberger Aufführung treffen sich Heinz Erhardt und Ludwig Erhard. Ein armer Dorfschullehrer im Stile von Heinz Erhardt paukt das ABC. Mit schwarzer Hornbrille, schiefem Kopf, hängenden Schultern und zappeligen Armen tappt er von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. Heinz-Klaus Ecker spielt die Rolle des trotteligen Paukers mit schauspielerischer Bravour. Als ihm der Baron seine Verlobte für 1.000 Taler abkaufen möchte, lehnt er dankend ab. Bei 5.000 Talern (laut Programmheft ungefähr 200.000 Mark) schwächelt er und singt: "Vor kurzem war ich noch ein rechter Lumpenhund; Nicht sehr viel mehr als Mensch und Christ, und nun auf einmal – Kapitalist!"

Ludwig Erhard grüßt das Publikum mal mit Haarfrisuren, Kostümen und Anzügen aus den fünfziger Jahren, dann wieder mit blauen Arbeitskitteln und gelben Plastikhandschuhen. Eine Fototapete vom Typ "Herbstwald" bildet den Bühnenhintergrund. Und das Landvolk empfängt den Grafen mit schnuckeligen Blumenkästen.

Doch was gewinnt Regisseur Claus Guth, indem er die Handlung in die Nachkriegsjahre verlegt? Paßt ein wildernder Dorflehrer wirklich besser in die fünfziger Jahre als in die Biedermeierzeit? Und hatten es Grafen und Barone in der Wirtschaftswunderzeit besonders aufs einfache Volk abgesehen?

Neben der angenehmen Baßpartie des Schulmeisters ist besonders Malin Byström als Baronin zu erwähnen. Die Stimme der Sopranistin war zweifellos das vokale Glanzstück der Premiere.

Die harmlos-naive Operettenmusik darf uns nicht zur Annahme verführen, daß in Lortzings Leben die Leichtigkeit regierte. Im Gegenteil: Die meisten seiner 13 Opern wurden zensiert, in seinen letzten Jahren war er taub, schließlich starb er mit 49 Jahren an Unterernährung. In den Jahren vor der Revolution 1848 zielte die Zensur besonders gegen die liberale Idee der nationalen Selbstbestimmung – und machte vor Lortzings Opern "Ali Pascha" (1828), "Der Pole und sein Kind" (1832) und "Andreas Hofer" (1833) nicht halt. In "Ali Pascha" geht es um die türkische Besetzung Griechenlands, in "Der Pole und das Kind" um einen Aufstand gegen die russische Zarenherrschaft.

Nicht nur in Lortzings Spieloper wird so mancher Rehbock geschossen, sondern auch von der Stadt Nürnberg. Die größte Fehlentscheidung war sicherlich die Entlassung und das Hausverbot gegen einen der besten jüngeren Dirigenten Europas: Christian Thielemann. Dessen werktreue (also nicht ironische oder subversive) Interpretation der deutschen Klassik und Romantik erboste besonders die Nürnberger Kulturdezernentin. Thielemann ist inzwischen Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, wo seine scharf gescheitelte Frisur gelegentlich für Aufregung bei linken Bildungsbürgern sorgt.

Ansonsten geht es aufwärts mit der Nürnberger Oper. Ihr französischer Stardirigent Philippe Auguin ist ab und zu weltweit tätig, zuletzt gefeiert an der Metropolitan Opera in New York mit Busonis "Doktor Faust". Dorthin wird ihn bald der Tenor Gerhard Siegel folgen. In Nürnberg glänzt Siegel in Richard Wagners "Meistersänger" und Franz Lehars letzter Operette "Giuditta". Wer ihn sehen möchte, bekommt immerhin 290 Mark geschenkt (und nicht 700 Mark, wie die Abendzeitung übermütig behauptete). So hoch ist die durchschnittliche staatliche Subvention eines Opernplatzes. Zum Vergleich: Der Zuschuß der Deutschen Oper Berlin beträgt 324 Mark, der Staatsoper Berlin 355 Mark pro Sitzplatz.

 

"Der Wildschütz" auf CD

Zur Vorbereitung auf Lortzings "Der Wildschütz" bietet sich die hervorragende Aufnahme mit Anneliese Rothenberger, Hermann Prey und Fritz Wunderlich an. Robert Heger leitet das Orchester der Bayerischen Staatsoper (EMI 5663672). Bemerkenswert ist auch eine Aufnahme mit Peter Schreier zu Beginn der achtziger Jahre. Zwar galt Albert Lortzing in der DDR als Vorkämpfer des Sozialismus – für die Plattenaufnahme hatte dies aber keinerlei Folgen. Digital perfekt überarbeitet, präsentiert der Musikverlag Edel die Silberscheiben mit der Staatskapelle Berlin, die heute Daniel Barenboim leitet. (Berlin Classics 11432BC).

 

Informationen: Karten für die Nürnberger Oper (Richard-Wagner-Platz 2-10, 90443 Nürnberg) unter Tel.: 0911 / 2 31 38 08 und im Internet unter http://www.oper.nuernberg.de  Die nächsten Aufführungen finden statt am 1., 19. und 24. Februar 2001.


 
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