© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
"Ich fordere Fischers Rücktritt!"
Jürgen Weber, der schwerverletzte Polizist der Frankfurter Straßenschlacht vom 10. Mai 1976, über den Anschlag, Joschka Fischer und das Leben mit dem Trauma
Moritz Schwarz

Herr Weber, Sie wurden als junger Polizeibeamter bei der Demonstration nach Tode von Ulrike Meinhof am 10. Mai 1976 in Frankfurt am Main von einem Brandsatz der Demonstranten lebensgefährlich verletzt. Was genau ist passiert?

Weber: Es war ein sonniger, heißer Maitag, und ich war als Fahrer des Hundertschaftsführeres der Einsatzbereitschaft der Frankfurter Polizei eingesetzt. Wir fuhren im Abstand von etwa fünfzehn bis zwanzig Metern direkt hinter den Demonstranten her. Als dann der Demonstrationszug verharrte, hielten wir an und meine Kollegen stiegen aus dem Fahrzeug. Plötzlich drehte sich die von uns aus weiter hinten stehenden Demonstranten um und warfen aus der Mitte des Blocks, Brandsätze auf mein Fahrzeug.

Sie waren überrascht?

Weber: Völlig. Ich sah die Molotowcocktails für Sekundenbruchteile heranfliegen, brüllte meinen ausgestiegenen Kameraden gerade noch ein Warnung zu, da explodierte auch schon die erste Brandflasche links neben der Fahrertür. Von dort schlug mir nun eine Feuerwand durchs offene Fenster entgegen, und so blieb mir als einziger Ausweg nur noch der Sprung durch die Beifahrertür. Unglücklicherweise verfing ich mich mit meinen Stiefeln in den Pedalen, da zerschellte auch schon der nächste Molotowcocktail am rechten Holmen des Fahrzeugs und ergoß sich ins Innere und über mich.

Das heißt, es war kein einzelner, blind geschleuderter Cocktail, sondern eine geplante Salve, die dem Gegner keine Chance zum Ausweichen lassen, sondern ihn gezielt treffen sollte?

Weber: Ja, die Ermittlungen ergaben einen abgestimmten Angriff mit sieben Brandflaschen. Für mich war es ein Hagel, gezielt und unentrinnbar.

Es wird hier und da behauptet, die Attacke sei eine Reaktion gewesen.

Weber: Ich weiß, da gibt es die absonderlichsten Behauptungen, etwa ich hätte versucht, mit dem Auto in die Menge hineinzurasen. Dann wieder wird es als Unfall dargestellt oder als Versuch, eine Barriere zwischen sich und der Polizei zu schaffen.

Was wäre gewesen, hätten Ihre Kameraden beim Aussteigen nicht zufällig die Türe offengelassen?

Weber: Dann hätte ich keine Chance gehabt. Der Molotowcocktail entwickelt, wie ich heute weiß, nach der ersten Stichflamme beim Aufschlag, eine Hitze von dreitausend Grad. Es hätte gereicht, wenn ich das eingeatmet hätte, mein Lunge wäre sofort verdorrt. Und wäre die Türe geschlossen gewesen, wäre ich völlig von der Brandwolke eingehüllt worden und noch im Auto ganz und gar verbrannt.

Ihre Kameraden zogen Sie brennend aus dem Auto und versuchten Sie zu löschen. Haben Sie all das mitbekommen, oder hatten Sie das Bewußtsein verloren?

Weber: Nein, ich kann mich an alles sehr genau erinnern, ich bin vom Moment des Treffers und Verbrennens bis zur Einlieferung ins Krankenhaus bei vollem Bewußtsein gewesen.

War Ihnen bewußt, daß Sie lebensgefährlich verbrannt waren?

Weber: Ja, obwohl ich das Ausmaß der Verletzung zum Glück nicht gesehen habe, da das Gesicht zufälligerweise verschont geblieben und stattdessen besonders der Rücken betroffen war. Sonst hätte ich wohl sofort alle Hoffnung verloren. Sechzig Prozent meiner Haut waren zweiten oder dritten Grades verbrannt. Erst als schließlich die Schmerzen zu groß wurden, verlor ich doch den Mut und flehte meine Kameraden an, mich zu erschießen.

Sind diese Schmerzen zu beschreiben?

Weber: Nein, ich wüßte nichts Vergleichbares. Das können Sie nicht ermessen, indem Sie etwa einfach eine Verbrennung beim Kochen "hochrechnen". Wer das noch nicht erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen. In diesem Moment glaubte ich tatsächlich sterben zu müssen. Erst auf dem Transport ins Krankenhaus faßte ich wieder Mut. Schließlich wurde ich betäubt.

Sie waren dennoch weiterhin in Lebensgefahr?

Weber: Ja, ich war der erste mit sechzig Prozent Verbrennung, den die Ärzte in der Spezialklinik in Ludwigshafen retten konnten. Die allgemeine Stimmung unter den Ärzten dort war zu Anfang: "Da brauchen wir gar nicht erst anfangen – der hat keine Chance." Doch dann schaltete sich die Landesregierung ein und bestand darauf, alles zu versuchen und so wurde ich zum Glück nicht einfach zum Sterben irgendwo hin geschoben.

Wann haben Sie angefangen die Ereignisse zu reflektieren?

Weber: In der Zeit als ich die Intensivstation verlassen und Besuch empfangen konnte.

Was haben Sie über die Demonstranten gedacht?

Weber: Ich hatte zuvor die Ansicht, daß es sich bei dieser Versammlung nicht um normale Demonstranten handelte, sondern um militante Chaoten, denen es einzig und alleine darum ging, dem Staat und seinen Vertretern möglichst großen Schaden zuzufügen. Normale Demonstranten haben irgendein Anliegen, diese hatten sich nur versammelt um zu zerstören. Die Ereignisse haben diese Sicht doch wohl bestätigt. Nennen Sie mir einen Grund, diese Ansicht im Krankenhaus dann zu revidieren?

Muß aber nicht auch hier unterschieden werden, zwischen denen, die nur "demonstriert", und denen, die Brandflaschen geworfen haben?

Weber: Doch, ich glaube, das sollte man, aber ehrlich gesagt fällt mir das schwer. Vor allem, wenn – wie ich jetzt aus der Presse erfahren habe – am Abend des selben Tages Feste gefeiert wurden, bei denen der brennde Polizist auf Transparenten noch verhöhnt wurde.

Unterscheiden Sie zwischen Steinewerfern und Brandflaschenschleuderern?

Weber: Nein, denn mit einem Stein können sie unter ungünstigen Umständen genauso viel Schaden anrichten wie mit einer Brandflasche.

Steinewerfen gilt in der gegenwärtigen Diskussion als Kavaliersdelikt oder Jugendstreich.

Weber: Der harte Kern hat das Steinwerfen geübt. Wir Polizisten waren damals noch nicht so gut ausgerüstet, wie heute: Wir hatten nur den runden Schild. Wenn dann die eine Reihe Demonstranten die Steine von unten warf, die andere von oben, konnten Sie sich aussuchen, ob sie am Kopf oder am Bein getroffen werden wollten.

Die Putzgruppe Joschka Fischers übte die Steine so zu schleudern, daß sie vom Boden abprallten und unter den Schilden durch die Polizisten trafen.

Weber: Dann waren eben unter Umständen die Beine gebrochen. Da hat es schwerste Verletzungen gegeben.

Joschka Fischer bekennt sich unbefangen dazu Steine geschleudert zu haben.

Weber: Ja, "aber nur in die Luft".

Wie wirkt diese Aussage auf Sie?

Weber: Sie macht mich sehr zornig. Ich habe das Gefühl, er macht sich lustig, wenn ich ihn so reden höre. Er verdrängt, was war.

Trägt er in Ihren Augen eine Mitschuld?

Weber: Offenbar war er bei der Versammlung am Vorabend, bei der die Aktion am 10. Mai geplant wurde, einer der geistigen Führer und hat auf jene, die den Einsatz der Molotowcocktails gefordert haben, nicht mäßigend eingewirkt.

Werfen Sie ihm nun die Anführerschaft vor, oder daß er nicht eingeschritten ist?

Weber: Letzteres.

Fischer streitet dies ab.

Weber: Das nehme ich ihm nicht ab. Der Spiegel zitiert einen Zeugen, der berichtet, Fischer habe schließlich bemerkt: Dann sei es eben so. Deshalb ist er für mich moralisch mitverantwortlich.

Diese Vorwürfe beruhen allerdings ausschließlich auf den in der Presse bekanntgewordenen Zeugenberichten.

Weber: Ja.

Sie können nicht sicher sein, daß sie wirklich zutreffen.

Weber: Ja, aber ich sehe doch, wie Fischer auf die Vorwürfe reagiert: Er verschweigt, er gesteht nur Häppchen für Häppchen und nur das, was ihm nachgewiesen wird. Er sitzt es aus. Er lebt von der Hoffnung, daß nichts mehr herauskommt.

Sie vermuten, es gibt noch weitere Flecken auf der Weste?

Weber: Ich glaube nicht, daß die ganze Wahrheit schon auf dem Tisch ist.

Sie sagen er verdrängt seine Vegangenheit – ist es nicht genau das, was er der Elterngeneration immer vorgeworfen hat und weswegen er unter anderem auf die Straße gegangen ist?

Weber: Aber natürlich! Er tut das, was er anderen immer vorgeworfen hat. Er mißt sich selbst nicht an den Maßstäben, die er aber bei anderen angelegt hat.

Er lehnt heute die Gewalt ab, aber dennoch rechtfertigt er den Kampf damals moralisch.

Weber: Es ist schwer hinzunehmen, wie viele Leute heute diesen Kampf als gerechtfertigt hinstellen: man habe ja etwas bewegen wollen. Aber es gab tatsächlich nie einen Grund zur Gewalt und der Mythos der Revolution dient allein deren Rechtfertigung. Sie waren so verbohrt und so voller Haß, daß sie selbst glaubten, was sie sich da so als Rechtfertigung zusammenreimten. Da blitzte der blanke Haß.

Was antworten Sie, wenn man Ihnen entgegenhält, die Studenten haben auch unter Polizeigewalt leiden müssen?

Weber: Natürlich gab es auch bei uns schwarze Schafe. Ich für meinen Teil habe während meiner zwölf Jahre Dienst bei der Polizei Frankfurt nie willkürliche Polizeigewalt erlebt. Aber sicher, zu sagen soetwas habe es nicht gegeben, ist natürlich Unsinn.

Was halten Sie von der Bewegung von 1968 bis 1977?

Weber: Die 68er kann man nicht mit den Siebzigern in einen Topf werfen. Die 68er präsentierten nachvollziehbare Anliegen und gingen bestimmt für das ein oder andere zu recht auf die Straße. Die Siebziger wußten nicht mehr, was tun, sie haben nur noch nach Anlässen gesucht, um Gewalt gegen den Staat zu üben.

Die Diskussion dreht sich alleine um Fischer.

Weber: Ja, mir geht es aber – das habe ich immer wieder betont – um all jene, die damals in den Reihen der Chaoten waren, geistig oder tatsächlich, und heute in Amt und Würden sind. Gerechterweise müßte die Diskussion auch über sie geführt werden.

Zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit?

Weber: Ja, zum Beispiel. Er war auch einer der geistigen Führer damals. Das gesteht er ja heute in gewissem Sinne auch ein.

Fordern Sie Fischers Rücktritt?

Weber: Ich fordere seinen Rücktritt! Wissen Sie, wenn ich mir hätte zuschulden kommen lassen, was Fischer sich hat zuschulden kommen lassen, dann wäre ich die längste Zeit bei der Polizei gewesen.

Wie würden Sie ihm begegnen, so er Sie darum bäte?

Weber: Überhaupt nicht. Ich lehne eine Begegnung mit ihm ab. Ich spreche hier von einem Mordanschlag gegen mich, und da ist es mit einer medienwirksamen Entschuldigung nicht getan. Auch wenn eines Tages feststehen sollte, daß er wirklich selbst nie geworfen hat.

Wie haben Sie seinen Werdegang beobachtet?

Weber: Mit Kopfschütteln. Von seinen Anfängen in Hessen bis ins Auswärtige Amt. Es ist für mich einfach unfaßbar.

Fischer ist heute laut Umfrage einer der beliebtesten Politiker – nach wie vor.

Weber: Ich empfinde die Menschen da als oberflächlich, nicht bereit, sich mit der Thematik einmal auseinanderzusetzen. Allerdings sage ich das ohne Verbitterung. Ich habe mich ja daran gewöhnt.

Hatten Sie vor dem Auftauchen der Röhl-Bilder noch Hoffnung, daß all dies noch mal zum Thema werden würde?

Weber: Ich hatte schon gar keine Hoffnung mehr. Aber heute glaube ich fest daran, daß nun doch noch eines Tages die Wahrheit an den Tag kommt und der Täter, der mir das angetan hat, noch ermittelt wird.

Sind Sie enttäuscht von der Gesellschaft, für die sie das alles gegeben haben und die Sie vergessen hat?

Weber: Nein, so ist das eben. Anderen Opfern geht es auch nicht besser. Ich habe es auch nicht anders erwartet.

Wie haben Sie damit all die Jahre gelebt?

Weber: Man hat versucht, zu verdrängen. Ich hatte ja in all den Jahren nie in irgendeiner Form psychologische Betreuung. Ich habe geglaubt, für mich meinen inneren Frieden gefunden zu haben. Aber das war wohl trügerisch ...

Es hat sie in Wirklichkeit nie losgelassen.

Weber: Eigentlich nicht ...

Kommt es nachts in Ihren Träumen?

Weber: Zeitweilig, jetzt zum Glück nicht mehr.

Fürchten Sie, daß Sie nach dem Medieninteresse wieder vergessen sein werden?

Weber: Mit Sicherheit. So ist das. Manchmal tröstet mich, daß obwohl ich für alle Zeiten gezeichnet bin, ich doch noch Glück gehabt habe: Denn es hätte mit dreiundzwanzig auch alles vorbei sein können.

 

Jürgen Weber, Polizeioberkomissar, geboren 1953 in Sontra/Hessen. Ab 1972 tat er bei der "Einsatzbereitschaft" in Frankfurt am Main Dienst. Nach seiner schweren Verletzung 1976 kehrte er 1977 peu à peu in den aktiven Polizeidienst zurück. Heute ist er als Verkehrssachbearbeiter der Polizei in Sontra tätig.

 

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