© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Finkelstein-Debatte
Offenheit ist nicht schädlich
Dieter Stein

Der Schriftsteller Rafael Seligmann, der sich vehement für die Veröffentlichung von Norman Finkelsteins Buch "Die Holocaust-Industrie" eingesetzt hat, äußerte sich nach den ersten Reaktionen besorgt. Er saß vergangenen Donnerstag auf dem Podium in der Berliner "Urania", wo der Piper-Verlag mit dem Buchautor eine Diskussion veranstaltete (siehe auch Meinungsbeitrag von Hans-Jörg von Jena auf Seite 2). Finkelstein sei wie ein Heilsbringer von Hunderten Leuten gefeiert worden, eine vernünftige Diskussion sei nicht möglich gewesen. Buhs und Jubelrufe lösten sich gegenseitig ab. Am Schluß gab es noch eine handfeste Schlägerei zwischen aufgeregten Zuhörern aus der linken und rechten Ecke.

Seligmann hatte in der Diskussion einen interessanten Satz gesagt. Er warf den nichtjüdischen Deutschen vor, sie sprächen von Juden nahezu immer nur als von Juden als Opfern von Auschwitz, von Juden als toten Juden. So wie ihr mit den Juden umgeht, so geht ihr mit euch selbst um, meinte Seligmann. Ich verstehe den Satz so, daß die Deutschen sich nicht nur immer aus der Perspektive der Toten, sondern der Lebenden betrachten sollten. Und da hat er zweifellos recht. Die Geschichte geht weiter und die Deutschen haben nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft.

In der Diskussion warnte Peter Steinbach davor, das Buch von Finkelstein lenke Wasser auf die Mühlen von Antisemiten. Das halte ich für falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Zunächst dokumentiert das Buch einen Beitrag zu einer innerjüdischen Debatte um die Rolle der jüdischen Dachorganisationen und den mutmaßlichen Mißbrauch ihrer Machtposition. Dann leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Entmystifizierung und Enttabuisierung. Es ist gerade eine antisemitische Stereotype, daß Kritik an jüdischen Organisationen nicht publizierbar ist. Daß da "der Deckel draufgehalten" wird, daß der Arm "der amerikanischen Ostküste" bis in Verlagsstuben reicht. Besser kann man Antisemitismus und dessen philosemitisch kostümierten Zwillingsbruder nicht den Boden entziehen, als daß dieses Thema der Entschädigungszahlungen kräftig durchlüftet und transparent gemacht wird. Nicht umsonst deshalb wird das Finkelstein-Buch – bei allen Abstrichen, die viele am Gehalt machen – von weiten Teilen der jüdischen Welt begrüßt, weil man der Tabus überdrüssig ist und die Bevormundungen durch Funktionäre satt hat.

Wer allerdings einen "Freispruch für Deutschland" oder die Entlastung des Hitler-Regimes vom Makel des Völkermordes erwartet, dem wird auch mit dem Finkelstein-Buch nicht zu helfen sein. Denn es stellt nicht das schändliche Verbrechen infrage, sondern prangert dessen unmoralische wirtschaftliche Ausbeutung an.

Über Rafael Seligmanns Gedanken, der vielleicht zwischen Buh- und Jubelrufen untergegangen ist, lohnt sich noch einmal länger nachzudenken. Deutschland ist nicht auf Gräbern gebaut und es gibt eine deutsch-jüdische Gegenwart und Zukunft ...


 
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