© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Industriestaat
Karl Heinzen

Da in den neuen Bundesländern Demokratie immer noch so verstanden wird, als hätte der Staat die Einstellung seiner Bürger zu akzeptieren, werden sie bis auf weiteres des Zuspruchs und der Anleitung aus den politischen reiferen Regionen unserer Republik bedürfen. Der niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer (SPD) überschreitet daher vielleicht seine Kompetenzen, handelt aber dennoch verantwortungsvoll, wenn er gegenüber dem "Handelsblatt" darauf hinweist, daß "die Menschen in Ostdeutschland" "einen Turbokurs in Weltoffenheit" benötigen, um mit dem, was sie schon erleben und vor allem mit dem, was sie noch zu erleben haben, in einer Weise fertig zu werden, die dem Geist der Verfassung und den Erwartungen der Investoren entspricht. Ein klein wenig unschuldig sind sie dabei natürlich schon an ihren mentalen Defiziten, die da drüben, das muß man wohl zugeben, fehlt es ihnen doch immer noch an einer Alltagserfahrung mit Fremden, die sich mit jener der Bewohner des Westens vergleichen ließe. Wie aber soll jemand, der gar keine Fremden kennt, seine Feindseligkeit, die er ihnen gegenüber empfindet, abbauen?

Die Politik ist also gefordert, aber sie hat es hier mit einem richtig- gehenden Teufelskreis zu tun, der nur schwer zu durchbrechen ist: Da es in den neuen Bundesländern so wenig ausländisch aussehende Ausländer bzw. ausländisch aussehende Inländer ausländischer oder auch inländischer Herkunft gibt, grassieren Haß und Gewalt. Da Haß und Gewalt grassieren, trauen sich nur inländisch aussehende Inländer ausländischer oder inländischer Herkunft und inländisch aussehende Ausländer zumeist ausländischer, mitunter aber auch sogar inländischer Herkunft in die neuen Bundesländer. Christian Pfeiffer aber weiß einen Rat, der wenigstens ihn nichts kostet: Die "ostdeutschen Betriebe" sollen ihren Mitarbeitern die Möglichkeit eröffnen, im Ausland Erfahrungen zu sammeln. Damit diese Reisen gegen rechts nicht ausgerechnet jene Betriebe zusätzlich belasten, die durch ihre fremdenfeindliche Belegschaft sowieso bereits in eine Schieflage geraten sind, sollten regionale Fonds die Finanzierung ermöglichen.

Man kann sich sicher daran stören, daß die zeitweilige Abschiebung Auf- oder Anfälliger ins Ausland diesen auch noch versüßt werden soll. Dem ist entgegenzuhalten, daß ihre Internierung im Inland auch nicht kostenlos zu haben wäre. Entlassungen in dem großen Stil, der möglicherweise erforderlich sein müßte, um den Sumpf trockenzulegen, sind wiederum nicht möglich, solange kein Ersatz an ausländischen Arbeitskräften zur Verfügung steht. Hier kehrt man vielmehr zum Kern des Problems zurück. Dessen Lösung privatwirtschaftlicher Initiative anzuvertrauen, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Der Bundesverband der Deutschen Industrie irrt nicht, wenn er durch den Ausfall anderer Institutionen die Unternehmen in die staatsbür- gerliche Pflicht genommen sieht. Es ist ja schließlich auch ihr Staat.


 
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