© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Gerechtigkeit für den Vielvölkerstaat
Vor 50 Jahren starb der österreichische Historiker Heinrich Ritter von Srbik
Heinrich F. J. Rathjen

Am 16. Februar jährt sich zum 50. Male der Todestag eines der bedeutendsten Historiker des 20. Jahrhunderts, des Hauptvertreters einer gesamtdeutschen Geschichtsauffassung: Heinrich Ritter von Srbik.

1878 in Wien geboren, stammte von Srbik väterlicherseits aus altösterreichisch-böhmischer Beamtenfamilie, mütterlicherseits als Enkel Wilhelm Heinrich Grauerts aus westfälisch-rheinischem Gelehrtengeschlecht. Auf die Bedeutung seiner Abstammung hat von Srbik selbst wiederholt hingewiesen, und dieses familiäre Umfeld war es auch, das den Grundstein legte für eine von altösterreichischem Patriotismus geprägte konservative, deutsch-nationale Werteordnung, die durch die Erfahrungen der Nationalitätenkämpfe um die Badenischen Sprachenverordnungen 1897 und eine jahrzehntelange Zugehörigkeit zur Burschenschaft Gothia gefestigt wurde.

Die akademische Laufbahn von Srbiks führte ihn von einer Assistenzstelle am Institut für österreichische Geschichtsforschung (1904–1912), der Habilitation im Jahr 1907, über die Berufung zum o. a. Professor (1912) zur Ernennung zum ordentlichen Professor der Neueren und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Graz 1917 und schließlich zum Ordinariat für die Geschichte der Neuzeit im Jahre 1922 an die Universität Wien. Seiner Geburtsstadt blieb er trotz mehrerer Rufe an reichsdeutsche Universitäten (Bonn, Köln, München, Berlin) bis zum Ende seiner akademischen Laufbahn im Jahre 1945 treu, als er von seinem Lehrstuhl und den weiteren akademischen Funktionen entbunden und vorübergehend in Ehrwald (Tirol) von der französischen Besatzungsmacht inhaftiert wurde.

Wirtschaftshistorische und sozialgeschichtliche Arbeiten wie die über den staatlichen Exporthandel Österreichs von Leopold I. bis Maria Theresia (Habilitation 1907) zur Geschichte des österreichischen Salzwesens (1917) oder über die Wiener Revolution des Jahres 1848 (1919) hatten nach der vornehmlich mittelalterlich ausgerichteten Ausbildungszeit zunächst im Zentrum von Srbiks Forschungstätigkeit gestanden.

Seine herausragende Stellung in der Historiographie des 20. Jahrhunderts sollte er dann jedoch erst durch seine Arbeiten zur politischen Ideengeschichte erlangen. Noch in die Grazer Zeit fällt die Studie über "Wallensteins Ende. Verlauf und Folgen einer Katastrophe" (1920). Sein Meisterwerk wird dann die einen neuen Typ der geistesgeschichtlich fundierten Biographie schaffende Arbeit über "Metternich, der Staatsmann und der Mensch", deren ersten beiden Bände 1925, ein dritter posthum 1954 erschienen, und in der das Denken und das System Metternichs vor dem ideengeschichtlichen Hintergrund der Zeit dargestellt wurden.

Die Befassung mit der Vormärz-Ära führte dann zwangsläufig zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis des alten, 1806 von Napoleon aufgelösten Reiches. Dies ließ von Srbik in der Folgezeit zum wichtigsten Theoretiker einer gesamtdeutschen Geschichtsbetrachtung werden die er am umfassendsten in seiner monumentalen vierbändigen Studie "Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz" (1935 – 1942) niederlegte.

Hierbei ging es ihm um die Überwindung des für die deutsche Geschichte so verhängnisvollen Gegensatzes zwischen großdeutsch-österreichisch und kleindeutsch-preußisch durch eine Betrachtung von der höheren Ebene des Gesamtvolkes in allen seinen staatlichen, aus dem "Heiligen Römischen Reich" erwachsenen Sonderungen. Dahinter stand die Überzeugung von der Existenz eines die verschiedenen landsmannschaftlichen Stämme umfassenden einigen deutschen Volkes und auch dessen Recht auf einen gesamtdeutschen Nationalstaat. Die Lösung der deutschen Frage erschien ihm Mitte der dreißiger Jahre durch eine zeitgemäße Abwandlung des Gagernschen Planes eines engeren und weitere Bundes aus dem Jahre 1848/49 als möglich.

Neben der rein wissenschaftlichen Tätigkeit nahm von Srbik seit Ende der zwanziger Jahre verschiedene politische Aufgaben wahr. Von Oktober 1929 bis September 1930 war er Bundesminister für Kultus und Unterricht im Kabinett Schober III. Von 1931 bis 1935 vertrat er Österreich im Comité International de Coopération Intellectuelle des Völkerbundes. Von 1938 bis 1945 stand er der Akademie der Wissenschaften vor und war als dessen Präsident zugleich Vertreter der österreichischen Wissenschaften im Großdeutschen Reichstag. Ein Angebot von Schuschniggs, als Vizekanzler und Vertreter der Nationalen in sein Kabinett einzutreten, hatte er 1937 abgelehnt.

Eine Zäsur im zeitgeschichtlichen Wahrnehmungshorizont Heinrich von Srbiks stellte die Auflösung Österreich-Ungarns und das Ende einer für unerschütterlich gehaltenen Ordnung im Jahre 1918 dar. Dieses Ereignis hat in ihm die Überzeugung einer nationalpolitischen Ehrenpflicht heranreifen lassen, dem vielgeschmähten Vielvölkerstaat historische Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Die durch die Verträge von Versailles, St. Germain-en-Laye, Trianon und Neuilly geschaffene Nachkriegsordnung und den damit unternommenen Versuch, den westeuropäischen Nationalstaatsbegriff auf Ost- und Südosteuropa zu übertragen, lehnte er nachdrücklich ab. Als Alternative formulierte er Reichs- und Mitteleuropa-Konzeptionen, die, über die Überwindung der Nationalitätenkämpfe hinaus, in der Ordnung des mittel-, ost- und südosteuropäischen Raumes eine deutsche Aufgabe sahen. Als Ideal eines das Nationale überwölbenden universalen Denkens im mitteleuropäischen Raum griff er dabei auf die Verwirklichung der alten Reichsidee des sacrum imperium zurück.

Der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich im März 1939 bereitete von Srbik, der die deutsche Einheit gerade nicht im Sinne einer einseitigen Unterordnung unter die Berliner Zentrale verstanden wissen wollte, erhebliche innere Konflikte. Gleichwohl lag es angesichts seiner gesamtdeutschen Grundüberzeugung außerhalb des Möglichen, die nunmehr erreichte Vereinigung der bedeutendsten deutschen Stämme nicht zu bejahen. Hiervon konnte ihn auch nicht abhalten, daß sein wissenschaftliches Werk gerade von der nationalsozialistischen Parteidogmatik wegen seines Universalismus und des darin zum Ausdruck kommenden österreichischen Traditionsbewusstseins mit Mißtrauen betrachtet wurde.

Was er in einem 1949 veröffentlichten Nekrolog auf den Kollegen Oswald Redlich schrieb, spiegelte ebenbildlich seine eigene Position wider: "Sein deutscher Sinn ließ ihn schließlich zu einem Anhänger des "Anschlusses" Rumpfösterreichs werden, ohne daß ...(er) die besondere Note seines Österreichertums opferte." Die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts durch das Anschlußverbot und die dadurch erschwerte Identitätsfindung Deutsch-Österreichs hatten dieser Generation den weiteren politischen Weg vorgezeichnet. Von Srbik hieraus den Vorwurf der politischen Manipulierbarkeit und inneren Nachbarschaft zum Nationalsozialismus zu machen, greift angesichts der beiden unverarbeiteten nationalen Traumata der Jahre 1806 und 1918/19 zu kurz, und dies um so mehr, als sein Deutschtum in eine universalabendländisch-europäische Traditionslinie eingebunden war, wie sie dann wohl letztmalig von Karl Anton Prinz Rohan noch hätte vertreten werden können.

In seinem letzten Willen schrieb Heinrich Ritter von Srbik: "Meine Liebe gehört bis zu meinem Tod meiner Familie, dem deutschen Volk, meiner österreichischen Heimat und meinen Schülern."

Ehre gebührt dem Angedenken eines Mannes, der nach dieser Maxime über alle Zeitläufe hinweg sein Leben zu führen vermocht hatte.


 
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