© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Kolumne
Kernfragen
von Klaus Motschmann

Die politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in Deutschland zielen mehr und mehr und immer offenkundiger bewußt am eigentlichen Kern der Probleme vorbei. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Verteidigung des sogenannten aganda-setting-Monopols der politischen und intellektuellen Linken, d. h.: Welches Thema von wem, wann und wo, vor allem aber in welcher Tendenz behandelt wird, wird maßgebend von ihr bestimmt. Daß dabei ein gewisser Spielraum für eigenständige weltanschaulich-politische Positionen beachtet wird, hat nichts mit Respekt vor der Meinungsfreiheit zu tun, sondern mit der Beobachtung dieser Positionen im Interesse der Beachtung der gesetzten Themen und Tabus.

Zu diesen Tabus gehört die Kritik an "den kleinen und ohnmächtigen Gruppen, die gegen das falsche Bewußtsein kämpfen ..., (deren) Fortbestehen wichtiger ist als die Erhaltung mißbrauchter Rechte und Freiheiten, die jenen verfassungsmäßige Gewalt zukommen lassen, die diese Minderheiten unterdrücken", so einer der intellektuellen Väter der 68er: Herbert Marcuse. Daraus folgt, "daß rückschrittlichen Bewegungen die Toleranz entzogen wird, ehe sie aktiv werden können, daß Intoleranz auch gegenüber dem Denken, der Meinung und dem Wort geübt wird.

Intoleranz vor allem gegenüber den Konservativen und der politischen Rechten". Was hat sich an dieser Einstellung bis heute geändert? Die sterile Aufgeregtheit im "Kampf gegen Rechts" ist der unwiderlegbare Beweis, daß sie inzwischen zur Leitlinie eines hemmungslosen Aktivismus maßgebender politischer und gesellschaftlicher Gruppen geworden ist.

Es ist eine schäbige und abstoßende Haltung, wenn die Auseinandersetzung um die 68er sich auf einige bekannte Aktivisten von damals konzentriert, während Tausende und Abertausende ihrer damaligen Kampf- und Gesinnungsgenossen in Schulen und Hochschulen, Parlamenten und Verwaltungen, Zeitungen und Sendeanstalten den Prozeß der Bewußtseins- und Gesellschaftsveränderungen unbehelligt vorantreiben und institutionell/gesetzlich absichern. Man gehe einmal wichtige politische Entscheidungen der vergangenen Jahre unter diesem Gesichtspunkt durch. Das sind die Kernfragen unserer Gegenwart und Zukunft, und nicht die Vergangenheit Joseph Fischers. Damit sollen die in Frage stehenden Straftaten nicht bagatellisiert werden. Es soll jedoch eine verantwortungsbewußte Reihenfolge der Argumentation beachtet werden. Sie sollte nicht so betrieben werden, als ob wir das Gedächtnis verloren hätten und nicht mehr wüßten, worum es den 68ern bis heute geht – bewußt oder unbewußt.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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