© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Dieser Zug zur Rebellion
Mit dem Tod der Schauspielerin Kristina Söderbaum endet ein Kapitel deutscher Filmgeschichte
Doris Neujahr

Es gab eine Zeit in Deutschland, da ließ Kristina Söderbaum auf der Leinwand Träume wahr werden. Die Fama behauptet, es seien die bösen Träume des Doktor Goebbels gewesen, die Träume von Rassenreinheit und totalem Krieg. Aber die das verbreiten, haben sich kaum einmal einen Söderbaum-Film von Anfang bis zum Ende angesehen. Sonst wüßten sie, daß es Träume waren, die mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun hatten. Die melancholische "Immensee"-Verfilmung (1943) zum Beispiel hat sich in das kollektive Gedächtnis eingesenkt, weil Elisabeth (K. Söderbaum) am Ende doch nicht Reinhard (Carl Raddatz), diesen erfolgreichen Künstler und Überflieger heiratet, sondern seinen viel schwächeren Freund Erich (Paul Klinger), einen Verlierertypen. Den deutschen Landsern, die Ende 1943 ahnten oder wußten, daß dieser verfluchte Krieg längst verloren war, bedeutete sie mit ihrer Entscheidung, daß sie gar nicht siegen mußten, um ihren Frauen daheim zu imponieren. Und die Frauen wollten sowieso nicht, daß ihre Männer sich an der Front todesmutig in irgendwelche Heldentaten stürzten, bloß heil nach Hause sollten sie kommen! Eben deshalb identifizierten sie sich mit Söderbaum.

Die Schauspielerlaufbahn von Kristina Söderbaum ist unmittelbar mit der Karriere des Regisseurs Veit Harlan (1899–1964) verknüpft. Harlan hatte die 24jährige Schauspielschülerin für die Hauptrolle seines Films "Jugend" (1937) ausgewählt. Ursprünglich war die 1912 geborene Schwedin 1936 nach Berlin gekommen, um Kunstgeschichte zu studieren. Sie kam aus gutem Hause, ihr Vater war Präsident der Schwedischen Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender des Nobelpreis-Gremiums. Fortan übernahm sie in allen Harlan-Filmen die weibliche Hauptrolle. 1939, nach seiner Scheidung von der Schauspielerin Hilde Körber, heiratete Harlan sie in dritter Ehe. Seine Eifersucht war sprichwörtlich, er war nicht bereit, seine Frau unter einem anderen Regisseur spielen zu lassen. Wegen des melodramatischen Endes, das ihre Figuren vielfach nehmen, apostrophierten böse Zungen sie als "Reichswasserleiche". Doch ihre Rollen in "Immensee", "Jugend", "Opfergang" oder "Die Reise nach Tilsit" sind auch ansprechende Charakterstudien von verhaltener Expressivität.

Nur selten gibt es Gelegenheit, die Harlan-Söderbaum-Filme auf der Leinwand zu sehen. Vor gut anderthalb Jahren wurde in einem Berliner Programmkino der Schwarz-Weiß-Film "Die Reise nach Tilsit" (1939) von Veit Harlan gezeigt. Das Kino war gut gefüllt, wobei nicht ganz klar war, ob das Publikum sich mehrheitlich aus Filmliebhabern oder aus Skandalsüchtigen zusammensetzte, die der Name des Regisseurs magisch angezogen hatte. Auf ihre Kosten kamen jedenfalls nur die Filmliebhaber. Vor der berückend schönen Landschaft der Kurischen Nehrung erlebten sie einen dramatischen Ehekonflikt zwischen Elske (Kristina Söderbaum) und Endrik (Frits von Dongen), der sich bis zu Mordplänen steigerte.

Spürbar waren auch die politischen Umstände, unter denen der Film entstanden war. In der literarischen Vorlage von Hermann Sudermann tragen die beiden Hauptfiguren noch die litauischen Namen Ansas und Indre. Bei Sudermann ist die Ehezerstörerin eine Magd, bei Harlan mußte es eine Ausländerin aus Polen sein. Doch der Künstler Harlan hat sich gegen diese – vermutlich angeordnete – politische Eindeutigkeit zur Wehr gesetzt. Am Ende beweist die Polin mehr Anstand und Größe als ihr Geliebter mit dem nunmehr nordisch klingenden Namen.

Der Film ist ein beeindruckendes Zeugnis der – gern hämisch verkannten – Darstellungskunst der Söderbaum, die als ewiges Kind, das nahe am Wasser gebaut hat, bespöttelt wird. Obwohl Elske von den Mordgedanken ihres Mannes mehr als nur eine Ahnung hat, steigt sie zu ihm ins Boot zur Tilsit-Reise über das Kurische Haff. Was Söderbaum da spielte, war das genaue Gegenteil naiver Schicksalsergebenheit. Aus ihrer Figur sprach die Bereitschaft, dem Schicksal nicht auszuweichen, sich ihm, nötigenfalls bis zur letzten Konsequenz, zu stellen, und ihren Mann zur offenen Entscheidung zu zwingen und auf diesem Wege das Schicksal – zu besiegen!

Beinahe jede ihrer Figuren trägt diesen Zug zur Rebellion in sich. Leider erhält das Publikum nur selten die Gelegenheit zur eigenen Urteilsbildung, denn über ihren Filmen liegt ein Bann. Um ihn zu erklären, genügt ein einziger Filmtitel: "Jud Süß".

Die dramatischen Ereignisse, die den Dreharbeiten zu diesem 1940 produzierten Hetzstreifen vorausgingen, sind vielfach geschildert, doch in der öffentlichen Urteilsfindung kaum berücksichtigt worden: Goebbels’ Ansehen bei Hitler ist zu diesem Zeitpunkt noch immer wegen seiner heftigen Liebesaffäre mit der Schauspielerin Lida Baarova auf dem Tiefstand. Hitler fürchtet um den Bestand der publikumswirksamen "arischen Musterehe" seines Propagandaministers. Bei Gelegenheit schnauzt er ihn an, daß der deutsche Film noch immer keinen rechten Beitrag zur weltanschaulichen Ertüchtigung des Volkes leiste. Um sich bei seinem "Führer" ins rechte Licht zu setzen, forciert der fanatische Judenhasser Goebbels das "Jud Süß"-Projekt, das seit geraumer Zeit auf den Schreibtischen der Filmstudios lustlos hin- und hergeschoben wird. Um es zum Erfolg zu führen, überträgt er es seinem besten Regisseur – Veit Harlan.

Die Künstler laufen Sturm gegen diesen Auftrag. Gustaf Gründgens, Intendant des Berliner Schauspielhauses, bittet sogar seinen Dienstherrn, den Preußischen Ministerpräsidenten Göring, ihn vor dem Film zu bewahren. Der teilt Goebbels tatsächlich mit, sein Intendant habe keine Zeit. Andere haben keine so hohe Protektion. Auch Harlan nicht, der sich sträubt und an die Front melden will. Kristina Söderbaum, noch nicht von einer schweren Schwangerschaft und einer Nierenbeckenentzündung genesen, bringt ein ärztliches Attest bei. Goebbels fegt alles vom Tisch und tobt, er werde jede Weigerung als Sabotage ahnden. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Kristina Söderbaum spielt die junge Dorothea Sturm, die von Jud Süß vergewaltigt wird und daraufhin Selbstmord begeht. "Gott allein mag wissen, wieviel Schuld wir alle, die wir an diesem Film beteiligt gewesen sind, auf uns geladen haben. Er hat uns nicht die Kraft eines Maximilian Kolbe, eines Dietrich Bonhoeffer und all der namenlosen Widerstandskämpfer gegeben. Er hat uns schwach sein lassen, feige gar, darum haben wir einen fürchterlichen Auftrag erfüllt. Möge also Gott urteilen, inwieweit Schwachheit Schuld ist", schrieb Söderbaum in ihrem Erinnerungsbuch "Nichts bleibt immer so". In den fünfziger Jahren können Harlan und Söderbaum wieder mit einigem Erfolg filmen, doch ihre Karriere, ihr Ruf, ihre Existenz sind durch "Jud Süß" zerstört.

Die Rolle der Elisabeth in "Immensee" war ihre wohl schönste Filmarbeit. Sie beweist, daß Söderbaum keineswegs einfach ein Kunstgeschöpf von Harlans Gnaden war.Hier fielen, was nicht immer der Fall war, ihr Alter und Typ mit dem der Filmfigur zusammen. Ihre verhaltene, zurückgenomme Darstellungsweise ist erst der Garant dafür, daß die exzessive Filmphantasien ihres Mannes das unverzichtbare Gran Glaubwürdigkeit und Bodenständigkeit erhalten. Storms zarte, fein komponierte Novelle, die Harlan als Vorlage wählte, ist von einer Ästhetik des Andeutens und Verschweigens gekennzeichnet. Das Drehbuch stülpt die innere Handlung nach außen, was ohne Vergröberungen nicht abgeht. Novelle und Film verhalten sich zueinander wie ein Streichquartett von Haydn zu einer aus den Fugen geratenen Mahler-Sinfonie. Die hinzuerfundene Italien-Handlung, das explizit beschworene Bündnis zwischen deutscher Musik und italienischer Baukunst wirken vordergründig und als Pendant zur norddeutschen Seenlandschaft, in der die Geschichte sonst abrollt, überdimensioniert. Die Zentrifugalkräfte würden den Film auseinanderreißen, wäre da nicht dieser eine ruhende Pol: Kristina Söderbaum.

Ihre rätselhafteste Rolle spielte sie als Aels in "Opfergang" (1944), einem Film von morbider Sinnlichkeit: Die Antwort Veit Harlans auf den Goebbels-Ruf nach dem totalen Kieg war offener Defätismus. Unvergeßlich, ja süchtigmachend, ist die Schlußsequenz mit Aels’ Sterbeszene, in der sie ein Zwiegespräch mit ihrem Geliebten Albrecht (Carl Raddatz) führt. Zwar sind sie räumlich getrennt, aber die Realität bedeutet nichts mehr. Überblendungen und Sphärenmusik führen sie zusammen und erzeugen eine magische Stimmung, die seither nie wieder im deutschen Film erreicht wurde.

Fließendes Wasser symbolisiert die verrinnende Lebenszeit und ergießt sich schließlich durch ein sich öffnendes Gartentor, das dem "Friedhofseingang" von Caspar David Friedrich nachgestaltet ist: Eine Bilderfolge, die in ihrem Ineinander von Weltentrückheit, Todessehnsucht, emotionalem Überschwang und Vergeblichkeit im Diesseits alle Chancen hat, als eine deutsche Schlüsselsequenz identifiziert zu werden.

Nach Harlans Tod 1964 auf Capri war Söderbaum mittellos. Sie begann eine Karriere als Fotografin. 1974 kehrte sie für Hans Jürgen Syberbergs Film "Karl May" vor die Kamera zurück. Zuletzt wirkte sie in dem amerikanischen Film "Night Train to Venice" (1992) mit. Ein Jahr später drehte Hans-Christoph Blumenberg mit ihr das Porträt "Die Reise nach Schweden". Kristina Söderbaum starb am 12. Februar. Ihr Tod ist der Schlußpunkt unter ein Kapitel deutscher Filmgeschichte. Es war nicht das schlechteste.


 
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