© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Karneval: Die Narrenmetropole Mainz feiert in diesem Jahr den hundertsten Umzug
Die Wahrheit hinter dem Spaß
Günter Schenk

Für Mainz ist die Fastnacht die wichtigste Visitenkarte. Höhepunkt des Festes ist der Rosenmontagszug. Seit 1838 steht er auf dem Festkalender der Stadt. Doch Kriege und wirtschaftliche Not zwangen die Mainzer immer wieder, auf ihren Zug zu verzichten. Dieses Jahr aber hat die närrische Parade Jubiläum. Unter dem Motto "Schon hundert tolle Narrenjahre ertönt in Mainz die Zugfanfare" feiert die Stadt am 26. Februar den hundertsten Rosenmontagszug.

"Herbei! Herbei!" hatten ein paar engagierte Bürger 1838 alle Mainzer per Zeitungsanzeige aufgerufen, "auf daß der Zug, in aller Pracht, jedem große Freude macht". Es war der Appell an die Bürger, einen Fastnachtszug zu gestalten. Eine Huldigungsfeier für Prinz Karneval, wie sie Köln und andere rheinische Städte bereits erfolgreich vorgeführt hatten. Ein paar hundert Narren folgten damals dem Aufruf der Fastnachtsreformer, schneiderten Kostüme und schmiedeten Texte. Wenig später zogen Harlekins und Kolumbinen in die närrische Schlacht, Hanswurste und allerlei Schelme. Eine Spaßmacher Truppe, die sich der Pflege von Gemeinschaftsgeist und Familiensinn verschrieben hatte. Reich und Arm sollten sich freundschaftlich begegnen, für ein paar Stunden alle Standesunterschiede vergessen lassen.

Auf bunten Fahnen stritten sich Hanswurste aus Köln und Aachen ums Mainzer Rad. Damit war klar, wem Mainz künftig Konkurrenz machen wollte. Wie in den anderen rheinischen Hochburgen stand auch in Mainz Prinz Carneval im Mittelpunkt des Zuges, der mit großem Hofstaat aufgezogen war. Bewunderer aber fand auch die Ranzengarde, eine Bürgerwehr in schmucker Uniform, die Militärisches parodierte. So wie der Regimentsarzt Dr. Leberthran, der seine Patienten mit Wein betäubte. Morgens gegen zehn war die närrische Gesellschaft aufgebrochen und den ganzen Tag unterwegs. Anders als heute, wo die Organisatoren wegen der Fernsehübertragungen den rund zehntausend Zugteilnehmern keine Pause gönnen, hatten die Narren damals keine Eile. Mit närrischem Straßentheater, das dem Unterhaltungsbedürfnis des frühen Biedermeier entsprang.

Inszenierte man den ersten Rosenmontagszug als Huldigungsfeier für den neuen Prinzen, hob ihn mit großem Pomp auf den Thron, gab man ihm im zweiten Jahr der Narrheit eine Frau zur Seite. Dunkelheit lag schon über der Stadt, als Prinz und Prinzessin nach ihrer Hochzeit 1839 schließlich in die Flitterwochen reisten und damit das Motto für den nächsten Zug vorgaben: die Geburt des Hanswursts.

Mit der Zeit wurde die Fastnacht politischer, der Rosenmontagszug zum Spiegel gesellschaftlicher Umwälzungen. So persiflierten die Fastnachter 1842 Vereinswut und Klatschsucht, Kastengeist und Geldgier. Im Zug, meinten die Chronisten, "Erkennt man, daß die Mainzer Carnevalhelden mit ihren Narrenstreichen noch andere Zwecke verfolgen als momentan zu belustigen. Hinter dem burlesken Spaß steckt die bittere Wahrheit…". Niemand wunderte es deshalb, daß der Zug, der anfangs ohne politische Konfrontationen verlaufen war, schon bald ins Visier der Behörden geriet. Anlaß war ein Leserbrief, der anno 1845 nach Aschermittwoch in der Kölnischen Zeitung erschien. Ein Wiesbadener Handwerker hatte dort eine Narren-Gruppe denunziert, welche die Großherzogin, die Landesmutter also, wegen ihrer russischen Herkunft verspottet hatte. Dem Innenminister genügte dies, die Mainzer Ordnungshüter anzuhalten, dem Zug künftig mehr "amtliche Tätigkeit und Wachsamkeit" zu widmen.

Keine guten Rahmenbedingungen für das größte Mainzer Volksfest waren das, an große Züge war kaum mehr zu denken. Die gescheiterte März-Revolution verschärfte die Lage zusätzlich.

Mehr und mehr spiegelte sich der Zeitgeist in den Fastnachtszügen, bis Anfang der siebziger Jahre der Krieg erneut zur närrischen Pause zwang. Erst Mitte der 1880 Jahre war wieder an größere Umzüge zu denken. Der Wirtschaft ging es besser, überall in der Stadt war der Aufschwung sichtbar. Zeit auch, den Rosenmontagszug gründlich zu reformieren. Bestimmten zuvor noch kostümierte Gruppen auf kleinen und großen Wagen sein Bild, kamen jetzt mobile Großplastiken in Mode. Mottowagen, von Architekten entworfen und Handwerkern gefertigt. Große Karnevalskarossen, die das neue Selbstbewußtsein der angehenden Großstadt Mainz dokumentierten. Auch der Jubiläumszug 1888, der ein halbes Jahrhundert organisierter Narretei markierte, war mehr bürgerliche Selbstdarstellung als Hort bissiger Satire. Schon bald aber geriet das Fest erneut in eine Krise. Immer häufiger rümpften Politiker über den Karneval die Nase, ermahnten Lehrer ihre Schüler, sich an den Fastnachtstagen ja nicht zu maskieren.

"Der Carneval", analysierte die Presse kurz vor der Jahrhundertwende die Lage, "kann kein Voksfest mehr sein, weil wir gar kein Volk mehr haben, sondern sich feindlich gegenüherstehende Stände und Klassen". Zur Jahrhundertwende mußte der Rosenmontagszug gar einem Sommer-Fest Platz machen. Das Gutenberg-Jubiläum war den Stadtvätern wichtiger als die angestammte Fastnacht. Vom Feiern aber ließen sich die Menschen nicht abhalten. Bei Straßenschlachten bewarfen sie sich gleich tonnenweise mit Konfetti und Frisch-Obst.

Der Erste Weltkrieg zwang zur nächsten großen Narrenpause, erst 1927 trauten sich die Karnevalisten in der jetzt französisch besetzten Stadt wieder auf die Straße. In den dreißiger Jahren geriet der Rosenmontagszug ins nationalsozialistische Fahrwasser. Wie ein Hohn klingt heute das Motto für den Rosenmontagszug 1934 "M’r könne wieder lache". Freilich ahnte damals kaum einer, daß vielen das Lachen bald vergehen sollte. Dabei hätte schon ein kurzer Blick auf den ersten Zugteil genügt, wo riesige Kehrmaschinen auffuhren, die unter dem Motto "Es werd’ weiter gesäubert!" unverhohlen nationalsozialistische Propaganda machten. 1936 war die Fastnacht endgültig gleichgeschaltet. Drei Jahre später zwang der Zweite Weltkrieg die Mainzer zur längsten Pause in ihrer Rosenmontagsgeschichte.

Erst 1950 regte sich zwischen Trümmern wieder närrisches Leben. "Lachen spende, Trübsal wende" hieß das Nachkriegs-Motto. Der Zug war Auftakt zu fünfzig weiteren Zügen, welche bis heute die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik humorvoll begleiteten. Nur einmal noch mußte der Rosenmontagszug pausieren. 1991 ließ der Golfkrieg keine rechte Feierstimmung aufkommen.

Inzwischen ist der Zug, der seit 1950 auch im Femsehen übertragen wird, die wichtigste Visitenkarte der Stadt. Höhepunkt der närrischen Saison, die Mainz 15 Prozent des touristischen Umsatzes beschert. Ein Millionengeschäft, hinter dessen Kulissen ein paar Tausend Helfer agieren. Hundertschaften der Polizei zum Beispiel, die für den reibungslosen Ablauf des Verkehrs sorgen. Vor allem aber auch dafür, daß der närrische Hexenkessel nicht überkocht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen