© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Schnee von gestern
von Bernd-Thomas Ramb

Nahezu klammheimlich sind die fünfzehn Außenminister der Europäischen Union mal eben kurz nach Nizza gejettet, um in einer kurzen und möglichst unspektakulären Zeremonie einen Vertrag zu unterzeichnen, der schon jetzt allgemein als Schnee von gestern eingestuft wird. Im letzten Dezember war am gleichen Ort nach langen Ringen eine "Reform" der Union beschlossen worden, die über eine Umverteilung und Neuorganisation der Stimmrechte der anstehenden Osterweiterung der EU den Weg öffnen sollte. Die Peinlichkeit des nationalistischen Gebarens Frankreichs, das damals sogar die Präsidentschaft der EU innehatte, wirkt heute ebenso heftig nach, wie das Stückwerk der getroffenen Vereinbarung die Vorbereitung einer neuen Vertragsformulierung beschleunigt. Schon 2004 soll eine Re-Reform des jetzt in den einzelnen Mitgliedsstaaten noch zu ratifizierenden Nizza-Vertrags vorgenommen werden.

Wahrscheinlich sind bis zu diesem Zeitpunkt ohnedies nicht alle Ratifizierungsverfahren abgeschlossen. Nicht nur die EU-kritischen Parlamentarier dürften sich fragen, ob sie ihre Zeit nicht sinnvoller verwenden können. Schon jetzt werden Rufe laut, dem vorliegenden Machwerk die Zustimmung zu verweigern. Die Hinhaltetaktik Frankreichs in der Frage der Osterweiterung geht damit vollständig auf. Ob aber dieser Skandal zur verstärkten Erkenntnis in der Öffentlichkeit führt, daß sich die Entwicklung der Europäischen Union vollends in eine Sackgasse verrannt hat, bleibt abzuwarten.


 
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