© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Schwejk in der Nato
Carl Gustaf Ströhm

Unmittelbar nach der Wende galt die aus der zerfallenen Tschechoslowakei entstandene Tschechei unter den postkommunistischen Staaten Mittelosteuropas als demokratischer Hoffnungsträger – handelte es sich doch um das einzige ehemalige Ostblock-Land, das vor dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie einen Parlamentarismus und moderne wirtschaftliche Entwicklung gekannt hatte.

Hinzu kam noch der legendäre Ruf des ersten Präsidenten Václav Havel, der als Intellektueller in der westlichen high society gerne gesehen war. Mit den Jahren allerdings begann der Lack vom "goldenen Prag" abzublättern. Zwar ist die Stadt an der Moldau immer noch die vielleicht schönste Metropole Europas – aber hinter den zauberhaften Kulissen des Hradschin knistert es in den Fugen. Es sieht so aus, als bekomme der neue Pluralismus den Tschechen – zumindest ihrer tonangebenden politischen Klasse – nicht sehr.

Die nicht immer geglückte Privatisierung hat die sozialen Gegensätze verschärft und erstaunlicherweise der KP verstärkten Zulauf gebracht. Die linke Regierung des Sozialdemokraten Milos Zeman wird auf absonderliche Weise von der rechtsliberalen ODS des Parlamentspräsidenten Václav Klaus gestützt. Der jüngste "Fernsehkrieg", der einen monatelangen Streik der Redakteure und Techniker gegen den an sich gesetzeskonform eingesetzten Intendanten – einen Klaus-Vertrauten – auslöste, brachte Hunderttausende für ein "demokratisches Fernsehen" auf die Straße. Zwar endete das Ganze mit der Absetzung des ungeliebten Direktors Jirí Hodac – aber der Vorgang selbst ist kein Signal für stabile Verhältnisse. Viele Tschechen sind von der "samtenen Revolution", welche Ende 1989 die "Wende" brachte, enttäuscht.

Mit welchen Schwierigkeiten die Nato in Böhmen und Mähren konfrontiert ist, erlebte jüngst der Nato-Generalsekretär, der Brite Lord George Robertson, bei seinem Besuch in Prag. Von den 130 Verpflichtungen, welche die Tschechei gegenüber der Nato erfüllen muß, sind bisher nur 26 verwirklicht worden. In der Armee des neuen Nato-Mitglieds (seit 1999 gemeinsam mit Polen und Ungarn im Bündnis) wabert noch der Geist (oder Ungeist) des Warschauer Pakts. Viele Offiziere – um von den Mannschaften zu schweigen – haben keine oder nur rudimentäre Kenntnisse der Nato-Sprache Englisch. Zum Teil überraschen die tschechischen Militärs und Politiker ihre neuen westlichen Bündnispartner mit Aktionen, die an den "braven Soldaten Schwejk" des Jaroslav Hasek erinnern. Dieser tschechische Soldat der alten k.u.k.- Armee hat die Befehle seiner Vorgesetzten stets so wörtlich befolgt, daß sie sich ins Gegenteil des Beabsichtigten verkehrten.

So stellten die jetzigen Schwejk-Nachfolger dem westlichen Bündnis einen Luftlandeverband für die schnelle Nato-Eingreiftruppe zur Verfügung. Der Schönheitsfehler war nur: die Luftlande-Soldaten hatten keine Fallschirme. Eine weitere Schwejkjade ist die beabsichtigte Anschaffung von 36 Überschall-Kampfflugzeugen, die ein gewaltiges Loch in den Staatshaushalt reißen müßte. Das alles geschieht nicht aus militärischen, sondern aus vordergründig wirtschaftlichen Gründen: man hofft auf große Investitionen des westlichen Flugzeuglieferanten.

Der britische Lord ermahnte die Tschechen, solchen Nonsens bleibenzulassen und lieber in einsatzbereite Bodentruppen zu investieren. Die jetzige Armee sei zu groß und zu wenig effektiv. Die Geschichte vom braven Soldaten aus Böhmen ist also noch nicht abgeschlossen. Das neueste Kapitel lautet: "Schwejk in der Nato".


 
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