© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Ohne Opposition
Warum die CDU auf der Stelle tritt und was sie von Schröder lernen könnte
Fritz Schenk

Nichts ist zur Zeit auch nur annähernd vergleichbar mit der innenpolitischen Situation von vor zwei Jahren. Obwohl damals die Niederlage der Union bei den Bundestagswahlen 1998 kaum richtig ins Bewußtsein der Bevölkerung gedrungen war – vom Schock innerhalb der Union ganz zu schweigen –, ging die Partei beherzt in die Regionalwahlen 1999. Das Ergebnis ist bekannt, Erfolge auf der ganzen Linie: Erhalt und Festigung der Regierungsmehrheiten in Sachsen und Thüringen, Zugewinn der Regierungsverantwortung in Hessen und dem Saarland, geradezu sensationelle kommunale Stimmengewinne in Nordrhein-Westfalen – und das bei in manchen Regionen fast schon erdrutschartigen Niederlagen von SPD und Bündnisgrünen.

Das war nicht nur das Ergebnis des miserablen Starts der rot-grünen Bundesregierung Schröder/Fischer. Es war vielmehr der Tatsache zuzuschreiben, daß die Union eben dieses Chaos auch als solches deutlich beschrieb und es dem Wähler ebenso eindeutig wie einmütig vor Augen geführt hatte. Dann kam der für die CDU verheerende Spenden- und Finanzskandal, und seitdem ist der Faden gerissen.

Nur für wenige Monate im Frühsommer 2000, nach der Neuordnung der Parteispitze mit Angela Merkel als Vorsitzender und Friedrich Merz als Fraktionsvorsitzendem im Deutschen Bundestag, sah es so aus, als könne die CDU ohne Kohl und Schäuble wieder Tritt fassen und verlorengegangenes Terrain zurückerobern. Doch bereits mit dem Fehlgriff Ruprecht Polenz als Generalsekretär fing ein neues Desaster an, das nun allein der neuen Vorsitzenden angerechnet werden muß. Inzwischen ist das zu einem Debakel für die gesamte Union geworden.

Seinen öffentlichen Ausdruck findet das in den Debatten um den Kanzlerkandidaten (oder die -kandidatin) der Union und – davon flankiert – in den ständig wiederkehrenden Veröffentlichungen von Umfrageergebnissen, welche die Union seit Monaten im unteren Dreißig-Prozent-Bereich zeigen. Und obwohl wir zur Zeit in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Landtagswahlkämpfe haben und in Hessen Kommunalwahlen anstehen, spürt man auch nicht annähernd die gleiche Angriffslust und Aufbruchstimmung der CDU (und in ihr) wie 1999. Die CDU scheint alle Fehler und taktisch-organisatorischen Irrtümer der SPD aus deren Oppositionszeit wiederholen zu wollen.

Längst sind sich alle Analytiker darüber einig, daß die SPD mit ihren damaligen "Mehrfach"-Spitzen: Parteivorsitzender/Fraktionsvorsitzender/Kanzlerkandidat (womit sich die Namen Brandt, Schmidt, Wehner, Vogel, Rau, Engholm, Lafontaine und Scharping verbinden) nie zum Erfolg gekommen wäre. Und wie heute die Union, so hat sich auch die SPD um die innerparteiliche Entscheidung mit der Ausrede (denn ein Argument ist es eigentlich nie gewesen) herumzutricksen versucht, die Entscheidung über den Herausforderer des Regierungschefs werde erst ein halbes Jahr vor der nächsten Wahl getroffen. Das kann eine Partei (vielleicht) so handhaben, wenn die innerparteilichen Verhältnisse einigermaßen klar sind und es im Grunde über den nächsten Spitzenkandidaten keine großen Zweifel gibt, weil vor allem auch die politisch aufgeweckte Öffentlichkeit sich über den Herausforderer des Regierungschefs im klaren ist. Jetzt aber ist die CDU herausgefordert. Das Thema "Kanzlerkandidat" ist ihr gewiß zunächst von außen aufgedrängt und eingeredet worden. Inzwischen ist es jedoch auch ein herausragendes innerparteiliches geworden, wie das tägliche Herumschwadronieren und -spekulieren der vielen Möchtegernparteigrößen zeigt. Auch das ist ja aus den Oppositionszeiten der SPD noch gut in Erinnerung. Für die gesamte Union ist es zu einem aktuellen Thema aber vor allem deshalb geworden, weil es der Parteivorsitzenden Merkel nicht gelungen ist, an die erste Stelle in der CDU eine konsequente inhaltliche Debatte zu setzen. Die Ansätze dazu waren seit ihren Parteitagen von Leipzig, Erfurt und Bremen ja gar nicht schlecht. Mit der Konkretisierung dieser (nicht einmal nur theoretischen) Überlegungen zu einem geschlossenen Oppositionsprogramm, womit man in der täglichen Arbeit dieser Regierung hätte ans Leder gehen und sie vor sich hertreiben können, wäre ihre Reputation in der Öffentlichkeit (trotz aller Bemühungen der rot-grünen Regierungsparteien, den Spendenskandal wachzuhalten) schneller als durch alle anderen kurzlebigen Aktionen (wie etwa die Plakatpleite!) wieder hergestellt worden.

Aber da ist den wichtigsten Protagonisten Merkel und Merz plötzlich die Puste ausgegangen. Statt einer konsequenten Oppositionspolitik haben sie in die fruchtlosen Debatten über Koalitionen mit den Grünen, gar über Zusammenarbeiten mit der PDS eingestimmt.

Wenn die Union nach innen wie nach außen wieder als einheitliche Kraft erscheinen und entsprechend auftreten will, wird sie um eine schnelle Klärung sowohl der Kandidatenfrage wie um die Formulierung eines deutlichen Oppositionsprogramms nicht herum kommen. Dann muß es auch den Kandidaten (oder eben die Kandidatin) geben, die das vertritt und unzweifelhaft als der Herausforderer des Kanzlers wahrgenommen wird. Das ist übrigens das einzige, was die Union von Gerhard Schröder lernen könnte und sollte: Als der 1997/98 seine Chance gegen Kohl erkannt hatte, ließ er sich durch nichts und niemanden von seinem Ziel, Kanzler zu werden zu wollen, mehr abbringen.

 

Fritz Schenk war von 1971 bis 1988 Co-Moderator, zuletzt Redaktionsleiter des ZDF-Magazins, danach bis zu seiner Pensionierung 1993 Chef vom Dienst der Chefredaktion des ZDF.


 
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