© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Rechter Streit nutzt dem Linksblock
Frankreich: Die Kommunalwahlen könnten zum Waterloo der Gaullisten werden
Charles Brant

Am 11. und 18. März finden in Frankreich in zwei Runden Kommunalwahlen statt. Das Ergebnis dieser Wahlen droht die Aussichten Jacques Chiracs bei den Präsidentschaftswahlen in dreizehn Monaten noch weiter zu verschlechtern. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf Paris. Kippt die Hauptstadt nach links, würde das mehr bedeuten als eine Wachablösung. Für Chirac könnte es der Anfang vom Ende sein. Immerhin galt Paris seit nunmehr einem halben Jahrhundert als rechte Hochburg.

Aktuelle Umfrageergebnisse bescheinigen der von Bertrand Delanoë angeführten sozialistischen Liste einen Vorsprung. Diesem gelang es kürzlich bei einer Fernsehdebatte, erhebliche Schwächen seines Rivalen, des rechten Kandidaten Philippe Séguin, aufzuzeigen. Überraschend war das nicht, denn Séguin ging von jeher die Statur eines wahren politischen Siegers ab. Verständlich wird diese Fehlbesetzung erst im Zusammenhang mit der blindwütigen Entschlossenheit der RPR-Spitze, den amtierenden Pariser Bürgermeister Jean Tibéri um jeden Preis abzusetzen. Bis jetzt ist die Rechnung nicht aufgegangen: Der Parteiausschluß brachte dem einstigen Chirac-Schützling Tibéri sogar noch Sympathien ein, so daß seiner parteilosen Kandidatur durchaus Erfolg beschieden sein könnte.

In diesem abscheulichen Klima sind den Sozialisten Flügel gewachsen, mit denen sie nie gerechnet hätten. Es hat sogar einem ganz und gar farblosen Mann wie Delanoë eine gewisse Glaubwürdigkeit verleihen können, so daß sich Jean-Marie Le Pen zu der Einschätzung hinreißen ließ, Delanoë dürfte als Bürgermeister keine schlechte Figur machen ... Die Präsidentin des RPR, Michèle Alliot-Marie, hält dagegen, daß ein Linksruck – wenn es dazu kommt – vor allem als empfindliche persönliche Niederlage Chiracs zu werten wäre. Dessen Aussichten bei den Präsidentschaftswahlen würden dadurch schwer beeinträchtigt. Das hat der Präsident schon begriffen. Als moralische Verstärkung stellte er Philippe Séguin seine Frau, Bernadette Chirac, zur Seite. Ein amüsanteres Eingeständnis, daß er die Lage nicht mehr im Griff hat, hätte man sich kaum wünschen können.

Ein Unglück kommt selten allein. Lyon droht ebenfalls an die Sozialisten zu fallen, nachdem der amtierende Bürgermeister Raymond Barre sich gegen eine erneute Kandidatur entschieden hat. Auch hier ist die parlamentarische Rechte zutiefst zerstritten. In Toulouse sieht die Lage nicht viel besser aus. An sich sollte es dem UDF-Politiker Philippe Douste-Blazy ein Leichtes sein, die Nachfolge Dominique Baudis’ anzutreten, der kürzlich an die Spitze des Fernseh- und Rundfunkrates berufen wurde. Aber Douste-Blazy hat seinen politischen Ehrgeiz in letzter Zeit zu eindeutig über alles andere gestellt und sich damit bei den Bürgern nicht gerade beliebt gemacht. Anlaß genug für die Sozialisten, eine Chance zu wittern und mobil zu machen. Toulouse ist ihnen wichtig genug, ihre nationale Starbesetzung – Lionel Jospin, François Hollande und Robert Hue – zu einer Kommunalveranstaltung zu schicken. Trotzdem sind nicht alle der insgesamt 36.763 französischen Kommunen nach drauf und dran, der Linken in die Hände zu fallen.

In Marseille etwa ist die Rechte unter der gemeinsamen Führung von Jean-Claude Gaudin (Republikanische Partei – PR) und Renaud Muselier (RPR) vereint, während die Linke seit dem Tod Gaston Defferres zerstritten und unmotiviert auftritt. Auch die hartnäckige Präsenz des Front National (FN) und seiner Absplitterung, der von Bruno Mégret angeführten MNR-Liste, dürfte kaum eine Gefahr bedeuten. Gaudin und Muselier haben allerdings alle Hände voll zu tun, um die südfranzösische Hafenstadt aus der Stagnation und ihrem Ruf als Verbrechensmetropole zu führen. In Bordeaux gilt Chiracs Ex-Premierminister Alain Juppé als unschlagbar. Seit er Jacques Chaban-Delmas als Bürgermeister ablöste, hat Juppé sich unersetzlich gemacht, indem er der verfallenen Stadt neues Leben einhauchte.

Dagegen werden der Rechten so gut wie keine Chancen eingeräumt, traditionelle linke Hochburgen zu stürmen. Daß Martine Aubry in Lille die Nachfolge Pierre Mauroys antreten wird, gilt als sicher. Mit genau diesem Ziel vor Augen schied sie im letzten Jahr aus ihrem Regierungsamt aus. Dünkirchen wird sein sozialistischer Bürgermeister erhalten bleiben. Michel Delebarre, der ebenfalls als Nachfolger Mauroys gehandelt wurde, scheint sich in der alten Seeräuberstadt wohlzufühlen. Und auch Mülhausen bleibt seinem amtierenden Bürgermeister, Jean-Marie Bockel, treu – einem unkonventionellen Sozialisten, der begriffen hat, daß seine Stadt christdemokratische Werte höher schätzt als sozialistische. Aber was wird aus Straßburg, der rechten Stadt, in der die Linke regiert? Die brennenden Autos der Silvesternacht lassen Böses ahnen für die linientreue Sozialistin Catherine Trautmann. Ob es ihr gelingen wird, sich sowohl gegen Kritiker in den eigenen Reihen als auch gegen eine heterogene Rechte durchzusetzen, die die Sicherheitsfrage in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt hat, steht keineswegs fest.

Für die Kommunisten geht es wieder einmal darum, möglichst viele ihrer Bastionen zu halten. Diese befinden sich hauptsächlich im Pariser Großraum, wo sie schon seit über fünfzig Jahren an der Macht sind. Gleichzeitig werden diese Wahlen dem FN schwarz auf weiß bescheinigen, daß die Zeit seiner kommunalen Erfolge vorbei ist. Mit einer Wiederwahl Jean-Marie Le Chevalliers und Cathérine Mégrets als Bürgermeister von Toulon und Vitrolles ist kaum zu rechnen; einzig Daniel Simonpierri hat in Marignane Aussichten, in seinem Amt bestätigt zu werden.

Zwanzig Jahre nach dem Wahlsieg des Sozialisten François Mitterrand hat sich die französische Rechte noch immer nicht von dem Schock erholt. Bleibt zu hoffen, daß der Verlust der Hauptstadt Chirac aufrütteln und ihm endlich klarmachen würde, wo seine Wählerschaft zu finden ist: auf der Rechten.

Zusätzliche Verwirrung stiftete im Vorfeld der Wahlen die im letzten Jahr vom Parlament verabschiedete Frauenquote von 50 Prozent der Kandidaten, die für alle Gemeinden mit über 3.500 Einwohnern gilt.


 
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