© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Eine koloniale Normalität
Sprachwissenschaftler wollen kein Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache / Viele Sprachen sterben aus
(JF)

Die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft hat sich gegen ein Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache vor Überfremdung ausgeprochen. "Ich finde solche sprachpuristischen Vorschläge unangemessen", sagte die Verbandsvorsitzende Angelika Redder der Nachrichtenagentur dpa am Rande der Jahrestagung der rund 1.000 Mitglieder zählenden Gesellschaft vergangenen Donnerstag in Leipzig. Der Sprachschutz sei mit juristischen Mitteln nicht zu bewirken. Sprachen lebten von Sprachkontakten und Begegnungen. Lateinische, griechische und französische Fremdwörter hätten die deutsche Sprache in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder bereichert. "Und jetzt ist es eben die englische Sprache", sagte Frau Redder.

In den vergangenen Wochen war von verschiedenen Seiten Kritik an einer zunehmenden Überfremdung der deutschen Sprache durch Anglizismen und Amerikanismen laut geworden. Berlins CDU-Innensenator Eckart Werthebach verlangte sogar ein Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache .

Angelika Redder wandte sich gegen Vorhaben an Hochschulen, die deutsche Sprache durch Englisch zu ersetzen. Es gebe Bestrebungen, Englisch als dominante Wissenschaftssprache zu etablieren und Vorlesungen nur noch in englisch zu halten. "Deutsch muß als Wissenschaftssprache erhalten bleiben", forderte sie. Wenn Englisch sich in Europa als zentrale Sprache durchsetzen sollte, verwandelten sich die Nationalsprachen in Dialekte. "Sonst sprechen wir die Muttersprache nur noch in der Familie.", sagte sie. "Dann haben wir eine Situation, wie sie in ehemaligen Kolonialländern normal ist."

Nach Angaben von Hans-Jürgen Sasse von der Universität Köln ist bereits mehr als die Hälfte von ehemals 15.000 Sprachen ausgestorben. "In 100 Jahren wird von den derzeitigen 6.000 Sprachen nur noch jede Zehnte überlebt haben", sagte Sasse. "Wir haben viele Sprachen, die nur noch von zehn Menschen gesprochen werden, die auch schon meist älter als 60 Jahre sind", sagte er. Besonders bedroht seien Indianersprachen, australische Sprachen und europäische Dialekte.

In einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt stellte der führende britische Linguist David Crystal fest, daß durchschnittlich "alle zwei Wochen eine Sprache" sterbe. Ein derartiger Vorgang sei in der Geschichte bislang einmalig, so der Wissenschaftler. Zwar seien Sprachen schon immer gestorben, "aber noch nie so viele so schnell".

Besonders der "globale Trend zur kulturellen Anpassung", aber auch Naturkatastrophen und Epidemien sind laut Crystal für diese Entwicklung verantwortlich. Betroffen seien alle Gebiete der Erde. "Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Russisch, Chinesisch und Arabisch können andere Sprachen schnell niederwalzen. Sie bieten oft einen höheren Lebensstandard. Viele Regierungen stehen Minderheitensprachen feindlich gegenüber". (JF)


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen