© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Zeitschriftenkritik: Maskenball
Liebevolle Sittengemälde
Werner Olles

Es sind zumeist die kleineren Projekte, die im immer undurchschaubarer werdenden Literaturzeitschriften-Dschungel für ein ungetrübtes Lesevergnügen sorgen oder zumindest zur Nachdenklichkeit anregen. Beim Maskenball, einem monatlich in einer Auflage von 400 Exemplaren im DIN A 5-Format erscheinenden Magazin, das dem Leser auf über fünfzig Seiten "Texte, Essays, Stories, Lyrik und mehr" präsentiert, sind es vor allem die Gedichte und Essays, mit denen die Autoren Umrisse von Bildern entwerfen, die einen in ihrer präzisen und gänzlich unsentimentalen Lakonie faszinieren.

Natürlich gibt es auch andere, nicht minder faszinierende und erstaunlich reife Werke. Die Erzählung "Begegnung" von Gabi Scharf, ein Text über Einsamkeit und Distanz, Heimatlosigkeit und Selbstfindung, gehört dazu. Oder Kathrin Montags Gedicht "Gedanken eines Ungeborenen", in dem sich wie in stummer Anklage unendlicher tiefer Schmerz spiegelt und nach dessen Lektüre die Schwermut wie ein Mantel gegen die Herzenskälte noch lange über einem liegt.

Daß manche Kurzgeschichten ein paar läßliche Schwächen aufweisen wie Edda Gutsches "Auf dem Turm oder Ein Lebenslauf mit Lücken" oder Maren Nienstedts "Schmeckts?", nimmt man gerne hin, auch wenn versöhnliche Akzente, Momente der Sanftheit oder Harmonie hier eher selten zu finden sind. Aber es sind kleine deutsche Sittengemälde über alltägliche Befindlichkeiten, die der Maskenball seinen Lesern bietet, und das ist nicht gering zu schätzen. Wie beispielsweise die Geschichte "Die Feder oder fit for fun" von Nele Mint, die den Auf- und Ausbruch einer jungen Frau aus einer trostlosen Beziehung mit einem narzistischen Egomanen sehr phantasievoll, witzig und liebevoll schildert.

Dagegen wirkt der Text "Drei Finger" von Markus Kastenholz geschmäcklerisch, und das kurzbiographische Porträt des Schriftstellers Erich Kästner ist in seiner Fehlerhaftigkeit ärgerlich. Es ist zwar richtig, daß der Dichter unter den Nationalsozialisten Schreibverbot erhalten hatte, aber er konnte dank der Unterstützung des Reichsfilmintendanten Fritz Hippler, der sich beim Propagandaminister Goebbels für Kästner stark gemacht hatte und deswegen später selbst in Schwierigkeiten geriet, mit einer Sondererlaubnis nach jahrelangem Publikationsverbot für die UFA zwei Drehbücher schreiben: "Münchhausen" und "Der kleine Grenzverkehr". Ende 1942 widerrief Hitler diese Erlaubnis, und die beiden Filme erschienen ohne jede Autorenangabe. Solche Fakten sollte man schon kennen, wenn man glaubt, sich ein Urteil erlauben zu müssen.

Die Maskenball-Lektüre wird jedoch dadurch insgesamt keineswegs getrübt. Auch daß die kleine Zeitschrift durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wird, schadet ihrer Unabhängigkeit nicht. Und daß die Beiträge der Künstler nicht der Meinung und Weltanschauung der Redaktion entsprechen müssen, macht sie sogar noch sympathischer.

Anschrift: "Maskenball", c/o Martina Faber & Jens Neuling, Postfach 12 61, 63514 Rodenbach. Das Einzelheft kostet 5 Mark, das Jahresabo 60 Mark.


 
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