© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Ende eines Höhenfluges
Eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl steckt Rot-Grün tief in einer Finanzkrise
Bernd-Thomas Ramb

Anders als beim Untergang der Titanic sind die Eisberge diesmal früh und deutlich erkennbar. Der Bundeskanzler kann also nicht behaupten, von unerwarteten Ereignissen überrascht worden zu sein, wenn das Staatsschiff in Kollision mit den Wirtschaftsdaten gerät. Selbst regierungsfreundliche Wirtschaftsauguren warnen immer stärker vor dem bevorstehenden Konjunkturabschwung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Das deutsche Wirtschaftswachstum wird sich demnach weit unterhalb der Prognosen für das Jahr 2001 entwickeln. Selbst die Bundesregierung hat bereits Abstriche von den bisherigen Erwartungswerten in Höhe von drei Prozent und mehr vorgenommen und rechnet nur noch mit 2,75 Prozent Zunahme des Bruttoinlandsprodukts. Aber das ist noch viel zu hoch gegriffen, rechnen die ernsthaften Konjunkturprognosen nunmehr eher mit einem Anstieg zwischen ein und zwei Prozent. Wie bei einem solchen Wirtschaftsrückgang die ehrgeizigen Arbeitsmarktziele erreicht werden sollen – gemeint ist hierbei nicht der fantasievolle Versprecher Schröders mit einer Arbeitslosenzahl unter drei Millionen, sondern die korrigierte Plangröße von 3,5 Millionen – bleibt eines der Rätsel rot-grüner Wirtschaftspolitik. Im Gegenteil dürfte es schon als Erfolg anzusehen sein, wenn die derzeitige Arbeitslosenzahl nicht weiterhin ansteigt, wie im vergangenen Monat bereits geschehen.

Den dritten Eisberg bildet die deutlich anziehende Inflation. Sie wird schon jetzt für dieses Jahr auf mindestens zwei Prozent geschätzt. Mit Korrekturen nach oben ist in den nächsten Wochen zu rechnen, wenn der Ölpreisanstieg und die Kosten der BSE-Krise und der Maul- und Klauenseuche voll durchschlagen. Die rot-grüne Regierung steuert mit dem Blickwinkel auf das eisige Bermuda-Dreieck verringertes Wirtschaftswachstum, weiterhin hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Geldentwertung den gleichen Kurs, den die rot-gelbe Regierung vor mehr als 25 Jahren unter Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher eingeschlagen hat: über den wirtschaftlichen Niedergang zum Verlust der Regierungsgewalt.

Frappierend ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Macht verspielt wird. Wozu die erste SPD-dominierte Regierung mehr als zwölf Jahre benötigte, dazu braucht die zweite gerade eine einzige Legislaturperiode. Insbesondere scheint die klassische Methodik der politischen Ökonomie nicht zu greifen oder nicht ergriffen worden zu sein, nach der die Wirtschaft tunlichst im Wahljahr in einer Aufschwungphase begriffen sein sollte, um den Machterhalt dem Wähler schmackhaft zu machen. Das Steuer jetzt noch entscheidend herumzureißen, ist bei der Trägheit der deutschen Wirtschaft, noch dazu eingebunden in den Wirtschaftsdirigismus der Europäischen Union, nahezu unmöglich. Dazu wäre schon ein fundamentaler Gesinnungswandel der rot-grünen Regierung notwendig. Schröder zeigt dazu aber weder Anzeichen der Absicht noch Ausprägungen eines Realisierungsvermögens. So kann er nur noch auf den Vulkanausbruch im Polarkreis hoffen.

Wenn der Bundeskanzler in seiner bisherigen Amtszeit wahrnehmbare Erfolge aufzuweisen hatte, lagen die Effekte eher im medialen Bereich, wie die Hilfe für den Holzmann-Konzern oder der GreenCard-Gag. Sobald es um handfeste wirtschaftliche Strukturveränderungen ging, hat er dagegen versagt. Die Steuerreform verschlechtert die Situation der mittelständischen Unternehmen drastisch und mit Langzeitwirkung. So werden sich beispielsweise die reduzierten Abschreibungssätze für Investitionsgüter in einigen Jahren finanzpolitisch rächen, wenn die betroffenen Güter zwar noch mit einem Buchwert versehen sind, aber wegen des realen Totalverbrauchs einer sofortigen Komplettabschreibung unterzogen werden. Die Ökosteuer ist dem Kanzler schon jetzt sichtbar unangenehm, nur läßt sie sich nicht so schnell wieder aus der Welt schaffen. Die Rentenreform steht vor der verfassungsrechtlichen Überprüfung und würde selbst nach dem Passieren dieser Hürde kaum zur dauerhaften Rettung des staatliche Altersversorgungssystems beitragen. Der Verkauf der staatlichen Besitztümer Telefon, Bahn, Post und Immobilien erweist sich als zunehmend schwieriger, weil deren Altlasten den Kauf für die Bundesbürger unattraktiv machen. Die verfassungsrechtlich zwingend verlangte Familienentlastung kommt nicht voran. Im Gegenteil, der Bundesfinanzminister warnt schon jetzt vor der Erwartung, die Bundesregierung würde ihr Wahlversprechen einer erneuten Erhöhung des Kindergeldes einhalten.

Die Hoffnungen insbesondere der deutschen Wirtschaft, eine SPD-geführte Regierung wäre willens und in der Lage, die notwendigen Strukturreformen durchzuführen, die der vorangegangenen CDU-Regierung durch die Obstruktionspolitik der damaligen rot-grünen Opposition verwehrt waren, haben sich nicht erfüllt. Der wirtschaftliche Abschwung ist daher nicht zuletzt auch ein Ausdruck der Resignation. Denn nun ist auch der Zeitpunkt verpaßt, zu dem die erforderlichen schmerzhaften Eingriffe hätten durchgeführt werden können, ohne die Wiederwahl zu gefährden. Die Auswahl der jetzt noch verbleibenden Instrumente wird von Tag zu Tag geringer. Um den Wirtschaftsumschwung mit zinspolitischen Maßnahmen zu erreichen, bedürfte es einer stärkeren Einflußnahme auf die Europäische Zentralbank. Die aber hat mit dem Verfall des Außenwertes des Euros zu kämpfen. Eine für die Ankurbelung der Konjunktur hilfreiche Zinssenkung würde nicht nur diesen Kampf erschweren, sondern auch noch die inflationäre Entwertung des Euro weiter verstärken. Und dies alles kurz vor dem Zeitpunkt, zu dem das nationale Bargeld in die ungeliebten europäischen Münzen und Banknoten umgetauscht werden muß.

Der fehlende Wirtschaftsaufschwung wäre leichter zu verkraften, wenn wenigstens die Staatsfinanzen in Ordnung blieben. Die Regierung hat jedoch ihren Ausgabenplan auf den unrealistischen Wachstumszahlen ausgerichtet. Jeder Prozentpunkt weniger bedeutet einen Steuereinnahmenverlust von zehn Milliarden Mark. Sollten sich die Wachstumsprognosen von unter zwei Prozent bewahrheiten, fehlten dem Bundeshaushalt in diesem Jahr bis zu 20 Milliarden Mark. Um dieses Finanzloch zu stopfen, bleibt der Bundesregierung bei ihren geringen Neigungen und Möglichkeiten einer Ausgabenkürzung nur noch das sozialdemokratisch vertraute Mittel der Steuerhöhnung. Vorrangiger Kandidat dürfte die Mehrwertsteuer sein. Ihre Erhöhung geht schnell und problemlos, soweit der Bürger aus dieser Betrachtung ausgeklammert wird. Oder wird der Finanzminister am Ende doch noch auf seinen Ruf als Sparminister verzichten und die Staatsverschuldung erhöhen?


 
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