© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Mitleid mit Morris
Drogenhandel: Bundesgerichtshof befand Strafe für afrikanischen Dealer als zu hoch
Klaus Kunze

BGH hat Mitleid mit Rauschgift-Händler", tobte die Bild-Zeitung – wann tobte sie nicht? "Deutschland, ein Dealer-Paradies", räsonierte Deutschlands Oberräsonnementblatt weiter: "Findet sich mal ein mutiger Richter in Halle, der ein Zeichen setzt, heben die Höchstrichter in Karlsruhe den Zeigefinger: Um Gottes Willen, man kann doch die armen Rauschgifthändler nicht so hart bestrafen!"

Sieben Jahre Haft hatte Richter am Landgericht Jan Stengel dem Liberianer Morris J. aufgebrummt, doch der Bundesgerichtshof fand die verhängten Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe "unvertretbar hoch". Wieso zu hoch? Hatte die Bild-Zeitung womöglich einmal recht, der BGH etwa unrecht? Auch der Hallenser CDU-Stadtrat Wolfgang Kupke kritisierte den BGH. Er habe der Stadt bei der Verteidigung des Titels "Drogenhauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt" tatkräftig geholfen. – Wieso geholfen? Muß ein Obergericht nicht am besten wissen, was im Einzelfall Recht und Unrecht ist? Muß es nicht. Es kannte nur die staubigen Akten, nicht den leibhaftigen Täter und schon gar nicht die unzähligen Opfer seiner Drogen. Warum die Strafe unverhältnismäßig hoch sei, hat der BGH mit keinem Wort näher erläutert oder begründet. Ob eine Strafe angemessen hoch ist, läßt sich aus der Distanz nur selten seriös behaupten, das gilt auch für Presse und Öffentlichkeit. Je stärker Straftaten die Öffentlichkeit bedrohen, desto mehr muß der generalpräventive Aspekt in den Vordergrund treten. Bei Körperverletzungsdelikten läßt sich diese Tendenz feststellen, seit die prügelnden Täter nicht mehr "Ho Chi Minh" schreien und Polizisten verhauen, sondern "Ausländer raus" brüllen und auf Schwarze eindreschen. Ob jemand eine Strafe "verhältnismäßig" findet oder nicht, spiegelt auch seine eigenen Ängste und ideologischen Präferenzen wider. Sieben Jahre seien übertrieben für einen Drogenhändler – das läßt tief blicken, was in unseren Bundesrichtern vorgeht.

Der in Halle verurteilte Liberianer hatte die ganze Drogenpalette im Angebot: Kokain, Heroin und was immer auf dem Markt nachgefragt wird. Von über 900 ursprünglich vorgeworfenen Verkäufen verfolgte die Staatsanwaltschaft nur 234 Einzeltaten, darunter 49 Heroinverkäufe. Den Stoff bunkerte er in dem Asylbewerberheim, in dem er aus Sozialhilfemitteln lebte.

Die 234 nachgewiesenen Taten ließ der BGH trickreich auf vier zusammenschrumpfen, indem er frei spekulierte, vermutlich habe der Täter den Stoff bei vier Anlässen gekauft. Doch sollte das für das Strafmaß belanglos sein. Der zu über 50 Prozent von Ausländern begangene Drogenhandel ist eines der Übel unserer Zeit. "Sie stehen an Straßenbahn-Haltestellen, in Kaufhauspassagen, vor der Schule", wußte die Bild-Zeitung. "Sie haben keine Skrupel, ihr Gift sogar an Kinder zu verkaufen – Hauptsache, es bringt fette Gewinne." Was wahr ist, ist wahr, selbst wenn es in der Bild-Zeitung steht.


 
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