© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Die große Koalition der Regierungsgegner
Landtagswahl in Wien: Gewinne für SPÖ und ÖVP erwartet / FPÖ leidet unter dem rigorosen Sparkurs der Bundesregierung
Philip Plickert

Am 25. März wählt die österreichische Hauptstadt ihren Gemeinderat und zeitgleich einen neuen Landtag. Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), der seit 1994 an der Spitze der Stadt steht, kämpft mit der Parole "Wien ist anders" gegen den bundesweiten schwarz-blauen Trend. Die Chancen der SPÖ, ihre dramatischen Verluste der letzten Kommunalwahl zumindest teilweise wettzumachen, stehen nicht schlecht. 55 Jahren lang regierten die Sozialisten ununterbrochen die Stadt, bis in die achtziger Jahre hatten sie stets satte absolute Mehrheiten und stellten alle sieben Bürgermeister nach dem Krieg. 1996 stürzte die ewige Rathauspartei um 8,6 Prozentpunkte auf ein historisches Tief von 39,2 Prozent ab. Die bürgerliche ÖVP, die über Jahrzehnte zumindest 30 Prozent der Stimmen hielt, taumelte auf 15,3 Prozent. Schuld an diesem Einbruch der ehemaligen Staatsparteien war die FPÖ, die 27,9 Prozent der Stimmen ergatterte. Die Grünen und das erstmals angetretene Liberale Forum (LIF) zogen mit jeweils 7,9 Prozent ins Rathaus ein. Nach diesem Desaster mußte die SPÖ eine Koalition mit der ÖVP eingehen.

Bei der kommenden Landtagswahl erwarten die Freiheitlichen Verluste, SPÖ und ÖVP hoffen auf leichte Zuwächse, Grün wird in den Umfragen hoch gehandelt und das sieche LIF der Heide Schmidt vermutlich den Gnadenschuß erhalten. Insgeheim hegt mancher die Hoffnung, der blaue Koalitionspartner werde bei einer Niederlage die Nerven verlieren und die Wenderegierung sprengen, doch Jörg Haider ist sich der Gefahr bewußt und hält schön still. Tatsächlich hat der Wiener Wahlkampf mit der "Mutter aller Schlachten" soviel zu tun wie Häupl mit Saddam.

Bürgermeister Häupl, ein enger Freund des Bundespräsidenten Thomas Klestil, hat in den sechs Jahren seiner Amtszeit als persönliches Spielfeld die "Stadtaußenpolitik" entdeckt. Zunächst waren es Reisen nach Prag, Budapest und Pressburg, dann mischte er sich in Israel und Palestina ins Weltgeschehen ein. Innenpolitisch betrachtet er als Hauptgegner die FPÖ. Gerade in den traditionellen SPÖ-Arbeiterbezirken mit Ausländeranteilen bis zu 40 Prozent hatte die FPÖ mit der Forderung "Stopp der Überfremdung" 1996 ihre größten Erfolge.

Der Juniorpartner der Rathauskoalition, Bernhard Görg (ÖVP), konzentriert sich im Wahlkampf auf wirtschaftliche Themen. Er wirbt für die Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe, womit er eine verstärkte Technologieförderung finanzieren möchte. Über den Verdacht, heimliche Sympathien für die FPÖ zu haben, ist Görg als Exponent des linken Flügels seiner Partei erhaben. Er und sein Vertrauter Peter Marboe (ÖVP) gelten bis heute als Gegner der schwarz-blauen Wende. Marboe fördert als Kulturstadtrat mit Vorliebe linke Protestprojekte gegen Schwarz-Blau, etwa das Spektakel des Christoph Schlingensief, und ist Liebling der fortschrittlichen Kulturschickeria. Ein Verein wie "Ecce Homo", der durch eine Plakatserie mit geschmacklosen Beleidigungen der Regierung auffiel, erhält weiterhin reichlich städtische Subventionen. Auch im Falle eines Ausscheidens der ÖVP aus der Rathauskoalition dürfte er weiterhin Kulturstadtrat bleiben, hat die SPÖ bereits versprochen.

Für den arg ramponierten Wiener FPÖ-Chef Hilmar Kabas ist Anfang des Jahres als FPÖ-Spitzenkandidatin die beurlaubte Richterin Helene Partik-Pablé eingesprungen. Partik-Pablé hat sich als mutige Aufklärerin der AKH-Affäre, eines Korruptionsskandals mit Millionenschaden, einen Namen gemacht. Auch Morddrohungen konnten sie nicht aufhalten, die schuldigen SPÖ-Funktionäre zu insgesamt 40 Jahren Gefängnis zu verurteilten, wofür sie vom Magazin trend 1981 zur Frau des Jahres gekürt wurde. Seit 1983 sitzt sie im Parlament für die FPÖ und ist sicherheitspolitische Sprecherin der Partei. Der Plakatspruch "Ausländer – Ich verstehe die Sorgen der Wiener" trug ihr eine Rüge des Helsinki-Komitees ein.

Die Grünen mit ihrem Spitzenkandidaten Christoph Chorherr, dem Sohn des konservativen ehemaligen Presse-Herausgebers Thomas Chorherr, vertreten in der Ausländerpolitik die andere Extremposition. Die Alternativen, aber auch Bürgermeister Häupl, sind für eine schrittweise Öffnung der Gemeindebauten, also der staatlichen Sozialwohnungskomplexe, für Ausländer. SPÖ und Grüne favorisieren das Modell einer multikulturellen Gesellschaft. In den letzten Wochen vor der Wahl malte die FPÖ das Schreckgespenst einer rot-grünen Koalition an die Wand. "Rot-Grün: Drogen freigeben" und "Rot-Grün: Wien braucht mehr Ausländer", heißt es in Blockbuchstaben auf Plakaten, die kaum als solche der FPÖ zu erkennen sind. Dem Überraschungseffekt dieser Kampagne verdankt es die Partei, in den Umfragen wieder mit deutlichem Abstand vor der ÖVP auf Platz zwei zu liegen.

In Wien entscheidet sich am 25. März nicht das Schicksal der schwarz-blauen Koalition. Einen wahrscheinlichen Sieg der SPÖ darf man nicht als eine Trendwende nach links überbewerten. Erst kürzlich veröffentlichte die SPÖ eine Statistik zur Mitgliederentwicklung: Im ersten Oppositionsjahr gab es einen kleinen Zuwachs auf 390.000. Man bedenke, daß ihr Ende der siebziger Jahre noch über 720.000 eingeschriebene Genossen angehörten! Den Charakter einer Staatspartei, der Herrscherin über die "rote Reichshälfte" hat die SPÖ unwiederbringlich verloren. Fast die Hälfte der Mitglieder sind desertiert, und die Partei sitzt auf einem Berg von 290 Millionen Schilling Schulden. Ein Ergebnis von 43 Prozent in Wien, welches die Umfragen jetzt prognostizieren, hätte vor zehn Jahren keinen Jubel, sondern Katzenjammer ausgelöst.


 
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