© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Die Unveränderbarkeit der Grenzen
Carl Gustaf Ströhm

Ändern die USA unter George W. Bush ihre Balkan-Politik? Auf einer Konferenz amerikanischer think-tanks in New York – veranstaltet vom US-Army War College, dem East Central European Center und der Columbia University – kam es zu einem Disput zwischen Vertretern der Linie des State Departments (Außenamt) einerseits und des Pentagon sowie der CIA andererseits.

So traten US-Brigadegeneral Keith W. Dayton vom vereinigten Generalstab der Streitkräfte und der Dozent an der Verteidigungsakademie, Steven E. Meyer (früher bei der CIA-"Balkan Task Force") mit deutlicher Kritik an der Balkanpolitik Washingtons hervor. Sie erklärten, die US-Präsenz im Kosovo hätte dort kein einziges Problem lösen und kein einziges politisches Ziel der USA verwirklichen können. Das Ziel, Bosnien zu einem multikulturellen Land zu machen, sei verfehlt worden. Nur auf dem Papier sei es noch ein einheitlicher Staat – in der Realität sei es längst geteilt. Dayton vermutete, Bush werde bereits in einem Jahr mit dem Rückzug der US-Truppen aus Bosnien beginnen.

Die Konferenzteilnehmer außerhalb des State Department vertraten den Standpunkt, daß das Dayton-Abkommen über Bosnien nicht funktioniere und daß der Vertrag neu definiert werden müsse. Deshalb sei es notwendig, eine internationale Konferenz einzuberufen – man sprach sogar von einem neuen "Berliner Kongreß" wie 1878, bei dem "alle Karten auf den Tisch" gelegt werden sollten.

In diesem Zusammenhang griffen Militär- und Abwehrexperten, welche den Republikanern nahestehen, die bekannte und bisher dogmatisch allein gültige These von der "Unveränderbarkeit der Grenzen" auf und stellten die Frage, ob es nicht an der Zeit sei, diese These kritisch zu überprüfen. Die USA und die internationale Staatengemeinschaft, so hieß es dort, müßten sich mit der Tatsache vertraut machen, daß die Nachbarn auf dem Balkan nicht in guten Beziehungen zueinander lebten und daß sie deshalb getrennt voneinander viel besser und sicherer leben könnten als in einer von außen aufgezwungenen künstlichen Einheit. Sehr scharfe Kritik üben maßgebliche Teilnehmer an der Balkan-Politik der Clinton-Ära. Diese US-Politik habe die "ethnische Säuberung" in Bosnien institutionalisiert. Ein anderes Beispiel sei Montenegro: "Wir Amerikaner haben im vergangenen Jahr die Führung der Republik Montenegro ermutigt, für die Unabhängigkeit ihres Landes zu kämpfen. Heute sagen wir ihnen, daß wir gegen ihre Abtrennung von Serbien sind!"

Das Kosovo sehen die US-Analytiker als "Pulverfaß, das jederzeit mit ungeahnten Folgen in die Luft fliegen könne". Kosovo könne in Zukunft nicht mehr als Teil Serbiens betrachtet werden. Auch in Bosnien funktioniere die dortige moslemisch-kroatische Föderation nicht. Die meisten US-Experten waren der Meinung, daß die Bewohner Bosniens über ihre Zukunft selbst entscheiden sollten – was als klare Absage an den Interventionismus der "hohen Repräsentanten" von EU, OSZE und Uno verstanden werden muß. Als Fazit wurden neun ungelöste Probleme definiert: Erstens – das Kosovo; zweitens – die bosnisch-herzegowinische Frage, ob Bosnien als einheitliches Gebilde erhalten werden kann; drittens – "Groß-Albanien", also der Zusammenschluß mehrheitlich albanischer Gebiete; viertens – der Prozeß der Gebietsteilungen (Bosnien, Kosovo, Mazedonien) oder deren Integration; fünftens – die Selbständigkeit Montenegros; sechstens – die "Verkleinerung" Serbiens, wobei es zwei Denkschulen gibt: eine sieht Serbiens als Stabilitätsfaktor, eine zweite meint, daß nur eine Reduzierung Serbiens zu Stabilität auf dem Balkan führe; siebtens – die Frage der Wirtschaft, weil etwa in Bosnien die Bevölkerung nur von humanitärer Hilfe lebe und Korruption sowie Verbrechen weit verbreitet seien; achtens – die Frage der Flüchtlinge; neuntens – eine Strategie des "Auswegs" für die USA aus diesem Raum.


 
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