© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Auferstanden aus Ruinen
Der deutsche Nachkriegsfilm zwischen 1946 und 1956 ist besser als sein Ruf
Werner Olles

Die gespenstischen Ruinenstädte Deutschlands lieferten nach dem Krieg den Stoff zu einer ganz neuen Filmart, dem sogenannten Trümmerfilm. So entstanden einige Filme, die sich offen zu einer Wiedererrichtung der persönlichen Freiheit bekannten. Der erste deutsche Nachkriegsfilm, Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" mit der jungen Hildegard Knef – 1946 in der Ostzone von der DEFA produziert –, war noch düster und pessimistisch in seiner Warnung vor einem in den Ruinen weitervegetierenden Nationalsozialismus.

In der Westzone begann die Produktion mit Helmut Käutners "In jenen Tagen" (1947). Dem Neorealismus verpflichtet, erzählte dieser Episoden-Film vorwiegend in Außenaufnahmen die eng mit dem Schicksal einiger Menschen im Deutschland des Dritten Reiches verbundene Geschichte eines Autos. Seine menschliche Wärme und unbeirrbare Wirklichkeitsdarstellung lebendiger Zeitgeschichte im Spiegel individueller Erlebnisse machten den Film zu einem der bedeutendsten der Nachkriegsepoche.

Auch in Wolfgang Liebeneiners "Liebe 47" (1949) nach Wolfgang Borcherts Drama "Draußen vor der Tür" zeigte sich, daß nach dem Elend des Krieges und den schweren Schicksalsschlägen, die die Menschen in dieser Zeit durch Ausbombung, Gefangenschaft, Flucht und Vertreibung erleiden mußten, die Rettung nur in einer neuen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau (Karl John und Hilde Krahl) zu suchen war. Ganz anders gestalteten dagegen Regisseur R.A. Stemmle und Drehbuchautor Günther Neumann ihre "Berliner Ballade" (1948), deren kühn abweichende Form Aufsehen erregte. Der Film sollte die Gemütsverfassung des "Trümmermenschen" und seinen unbeugsamen Lebenswillen hervorheben. Dazu bediente man sich expressionistischer Kameraeinstellungen, um das fast surrealistische Dasein der von Hunger, Kälte, Wohnungsnot und durch die Wunden des Krieges geschlagenen und geplagten, aber dennoch nicht verzweifelnden Nachkriegsberliner glaubhaft zu dokumentieren. Held dieser unheroischen Ballade war Otto, der Normalverbraucher (Gert Fröbe), der in allen Widerwärtigkeiten auch das Komische und Lächerliche sah. Nur den Scherz konnte er ernst nehmen, wie es einem ansteht, der mit dem Strick um den Hals zum Tanzen geht.

Trotz des Ausfalls prominenter Schauspieler – Heinrich George war 1946, Paul Wegener 1948, Emil Jannings 1950 und Albert Bassermann 1952 gestorben – entstand gerade in den ersten Nachkriegsjahren eine Reihe künstlerisch wertvoller Filme, wie die DEFA-Produktionen "Affaire Blum" von Erich Engels und Kurt Maetzigs "Ehe im Schatten" (beide 1948). In Engels’ Film – mit dem großartigen Hans-Christian Blech in der Hauptrolle – wird ein unschuldig des Raubmordes angeklagter jüdischer Geschäftsmann in letzter Minute vor einem Justizirrtum gerettet. Maetzig ging dagegen von einem tatsächlichen Geschehnis aus, dem Freitod des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner jüdischen Gattin, die es vorzogen, im Tod vereint zu bleiben, statt ihre Ehe auf Geheiß der Nationalsozialisten aufzulösen.

Auf westdeutscher Seite behandelte man die jüdische Tragödie in Josef von Bakys "Der Ruf" (1949) mit Fritz Kortner, der vor den Schwierigkeiten und Enttäuschungen eines aus dem Exil heimgekehrten jüdischen Professors stand. Mit eigenem Buch und eigener Regie stellte Peter Lorre seinen Film "Der Verlorene" (1951) dem deutschen Publikum zur Diskussion. In der Ostzone widmete man sich zur gleichen Zeit schon dem farbigen Kostümfilm. Paul Verhoeven inszenierte mit Geist und Phantasie Wilhelm Hauffs "Das kalte Herz" (1951), während Arthur Pohl seinem Farbfilm "Pole Poppenspäler" (1953) Theodor Storms gleichnamige reizvolle Geschichte zugrunde legte. Wichtig im Sinne eines sozialen Realismus war auch Wolfgang Staudtes Verfilmung von Heinrich Manns "Der Untertan" (1951), eine umstrittene Satire mit Werner Peters als servilem Bourgeois der Kaiserzeit.

In Westdeutschland vollendete Leni Riefenstahl ihren im Dritten Reich begonnenen Opernfilm "Tiefland" (1953), und Gustav Ucicky startete seinen ersten deutschen Nachkriegsfilm "Bis wir uns wiedersehn" (1952) mit Maria Schell und O.W.Fischer. Rudolf Jugert drehte im gleichen Jahr mit Hans Albers und Hildegard Knef "Nachts auf den Straßen", zu dem Helmut Käutner das Drehbuch schrieb. Mit "Kinder, Mütter und ein General" (1955) unter der Regie von Laslo Benedik knüpfte der frühere berühmte UFA-Produzent Eric Pommer wieder an seinen alten Ruf an. Ein großer Erfolg wurde auch Willi Forsts sensationslüsterner Film "Die Sünderin" (1951) mit Hildegard Knef in der Titelrolle, der allein durch seine in die deutsche Filmgeschichte eingegangene (Halb)Nackt-szene mit der Knef in den noch relativ prüden frühen fünfziger Jahren für einen Skandal sorgte und gleichzeitig die erwartungsvollen Zuschauer massenhaft ins Kino lockte. Ein Gegenstück dazu bildete Harald Brauns "Nachtwache" (1949). Hier standen sich zwei Lebensanschauungen gegenüber – die rationalistischen Zweifel des Atheismus und der sicherere Gottestrost des Christentums, verkörpert durch eine Ärztin (Luise Ullrich) und einen Priester (Hans Nielsen). Auch Brauns Film "Herz der Welt" (1952), ein ergreifendes Pathos über die Friedenskämpferin Bertha von Suttner, beanspruchte mehr als Unterhaltungswert.

Die höchsten Besucherzahlen jener Jahre verbuchten neben Hans Deppes "Schwarzwaldmädel" (1950) mit Sonja Ziemann Brauns Meisterwerk "Nachtwache" und Paul Mays burleske Satire auf die Himmelstoßmentalität der deutschen Wehrmacht "08/15" (1954).

Mit Peter Pewas "Straßenbekanntschaften" (1947/48), einem Film über Prostitution und Geschlechtskrankheiten im Nachkriegs-Berlin, zu dem Arthur Pohl das Drehbuch schrieb, Kurt Maetzigs "Die Buntkarierten" (1949) und Erich Engels Verfilmung von Gerhard Hauptmanns "Der Biberpelz" (1949) stellte die DEFA am Ende der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre zwei Produktionen vor, die auch in den Westzonen mit großem Erfolg liefen. Der aus Hollywood nach West-Berlin zurückgekehrte Robert Siodmak bewies mit seiner Inszenierung von Hauptmanns "Die Ratten" (1955) mit Maria Schell, Curd Jürgens und Gustav Knuth in den Hauptrollen, daß man auch ohne "aufklärerische" und "volkspädagogische" Töne gute, realistische Filme machen konnte. Siodmak verlegte die Handlung des Films in die Gegenwart, was dem Stoff zusätzlich eine eindringliche Aktualität verlieh.

Zu einem internationalen Begriff wurde der deutsche Film wieder durch Helmut Käutners "Die letzte Brücke" (1954). Ohne theatralischen Beigeschmack, spontan und vorbehaltlos, schilderte er mit einem sicheren Gefühl für Stimmungen jene Zeit im besetzten Jugoslawien, in der die deutsche Wehrmacht in blutige und für beide Seiten äußerst verlustreiche Partisanenkämpfe verstrickt war. Die Kämpfe um die Brücke waren sowohl von der Regie her als auch in der Montage außergewöhnlich dynamisch inszeniert und ließen spüren, wie stark Käutner vom italienischen Neorealismus eines Roberto Rossellini oder Vittoria de Sica beeinflußt war. Nach "Himmel ohne Sterne" (1955), einem dramatischen, aber taktvoll balancierten Ost-West-Grenzfilm, wurde auch Hollywood auf den Regisseur aufmerksam.

Von der politischen Zensur in der Ostzone deprimiert, ging Peter Pewas ("Straßenbekanntschaften") Anfang der fünfziger Jahre in den Westen und drehte hier "Herbstgedanken" (1951), ein Filmfeuilleton über einen Vers von Rilke, für das er den Deutschen Kritikerpreis erhielt. 1955 stieß Pewas auf den katholischen Autor und Produzenten Gerhard T. Buchholz und dessen mit erhobenem Zeigefinger geschriebenes Drehbuch "Viele kamen vorbei", die Geschichte eines Frauenmörders, der, hoffnungslos seinen Trieben ausgeliefert, seinen Opfern am Rande der Autobahn auflauert. Buchholz, dessen Talent im ungekehrtem Verhältnis zu seinen Ambitionen stand, wollte unbedingt die impressionistische Samurai-Saga "Rashomon" (1950) des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa einholen, wenn nicht überbieten.

Tollkühn entschlossen, den merkwürdigen Stoff in den Griff zu bekommen, inszenierte Pewas einen Film, dessen nicht integrierte, noch heute erregende Teile dem Umstand zu danken sind, daß die Erfüllung der herrschenden ästhetischen Normen an ihrer mangelnden Finanzierbarkeit scheiterte. "Viele kamen vorbei" (1955/56) ist ein Film über die Bundesrepublik, über die fünfziger Jahre, die nicht nur die Geburtsära dieses Landes, sondern ein Teil seines Wesens sind. Der Film hat einen Off-Kommentar (Autor: jener Gerhard T. Buchholz), dessen skurriler Moralismus, dessen Bigotterie, dessen schwüles Raunen über die Abgründe unserer Existenz es mit jedem afterphilosophischen Machwerk aufnehmen können. Und es finden sich Bilder in diesem Film (Kamera: Klaus von Rautenfeld), Bilder von den Randzonen der Autobahnen in Adenauers Jahrzehnt, von den Raststätten und ihren Menschen – Wirklichkeitssignaturen, deren Authentizität heute den Atem stocken läßt: wie vieles ist seitdem anders geworden, wie wenig hat sich verändert. Robert Siodmak sagte über "Viele kamen vorbei" zu Peter Pewas: "Was machen Sie nur für revolutionäre Bilder? Wer sind Sie überhaupt?"

So paradox es klingt, aber mit dem Neuen Deutschen Film in den sechziger Jahren (Faßbinder, Herzog, Wenders, Schlöndorff, Schroeter, Kluge, Schaaf) hörte Deutschland als Filmland zu existieren auf. Zum Heros des deutschen Medienkonformismus und seiner Verdummungsästhetik avancierte der von den Aufklärungsmedien zu "unserem Balzac" (Frankfurter Rundschau) mythologisierte Rainer Werner Faßbinder. In ihm suchte und fand Deutschlands Stammheim-Generation auf dem Weltmarkt der Moderne, in der Medien-Provinz einer Hollywood-Kolonisation ohne geistige Innovation und individuelle Identität endlich ihren Mythos.


 
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