© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Gerechtigkeit
Karl Heinzen

Alle guten Gedanken sind in diesen Tagen bei Alan Greenspan, dem Chef der US-Notenbank. Wird es ihm wiederum gelingen, für eine weiche Landung der amerikanischen Konjunktur zu sorgen? Oder wird der Wohlstand der Wohl-habenden für eine Weile weniger rasant wachsen? So viel steht für die Menschen auf dem Spiel. Schon ist der Glaube an ein Wachstum ohne Krisen dahin, und es regen sich Undank und Begehrlichkeit. Das Vertrauen in die eigene Kraft schlägt wieder einmal, so materialistisch können Arbeitnehmer sein, in panische Besitzstandswahrung um. Eine Marktwirtschaft, deren Nimbus des Erfolges angekratzt ist, kann halt nicht auf die Solidarität der Massen bauen.

Uns geht das alles wenig an, weil wir in einer interdependenten Welt leben, die sich nicht beeinflussen läßt. Für die deutsche Konjunktur ist sowieso Optimismus angesagt, weil uns Pessimismus nicht weiterhilft. Wir können Wachstum nie gegen, sondern immer nur mit Europa erreichen. Erst recht kein Grund zur Besorgnis ist das dramatische Geschehen an den Börsen der Welt. Wer Kurseinbrüche als Kapitalvernichtung denunziert, offenbart sogar ein unterentwickeltes Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes. Die Wirtschaftssubjekte müssen das Recht haben, Fehler zu begehen, aus denen sie zu lernen versuchen – anderenfalls könnte man die Ökonomie ja gleich unter staatliche Kuratel stellen.

Um auf die Idee zu kommen, daß ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen, die Unternehmen aktuell oder in Perspektive erzielen, und ihrer Bewertung am Markt besteht, benötigte man allerdings noch nie besonders viel Erfahrung oder gar Insiderwissen. Wenn Kurse nur noch steigen, weil genügend Akteure meinen, daß sie noch weiter steigen könnten, darf es niemanden enttäuschen, wenn andere auf Nummer Sicher gehen und verkaufen, bevor eine Talfahrt das Fortgelten ökonomischer Gesetze inmitten der New Economy signalisiert. Sogar Gründer einstiger Börsenlieblinge des Neuen Marktes sollen kein Risiko in der Rechtsauslegung gescheut haben, um heimlich, aber rechtzeitig durch Anteilsverkäufe zu einem rationalen Anlegerverhalten zurückzufinden.

Mitleid mit den Verlierern ist vielleicht im Fußball angebracht, aber nicht an der Börse. Verlusten, die einige heute erzielen, gehen üblicherweise Gewinne anderer voraus und folgen wiederum Gewinne noch ganz anderer: Diese Umverteilung ist legitim, da sie durch den Markt und nicht durch den demokratischen, also einer neidischen Mehrheit verpflichteten Staat vorgenommen wird.

Manche mögen nun so tun, als bestünde wegen des Vermögenseffektes auf die Konsumnachfrage ein öffentliches Interesse an wachsenden oder wenigstens stabilen Aktienkursen. Dies sind aber bloß Ausflüchte schlechter Verlierer. Es ist nicht zu kritisieren, wenn ökonomischer Sachverstand sich an jenen bereichert, die diesem trotzen. Die Börse ist eine Bastion der Gerechtigkeit.


 
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