© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Mit Holzgewehr und Plastikschwert
Bundeswehr: Zahlreiche Kürzungen bringen die Bundeswehr in Bedrängnis / Soldaten klagen gegen mangelhafte Bezahlung / Attraktivität der Truppe gefährdet
Alexander Schmidt

Mit der Veröffentlichung des Wehrbeauftragtenberichts für 2000 wird jetzt amtlich, was Angehörige der Bundeswehr und Oppositionspolitiker immer wieder bemängelt haben: der desolate Zustand der deutschen Streitkräfte und die daraus resultierende schlechte Stimmung in der Truppe.

Ein Vergleich mit der Halbzeitbilanz des Verteidigungsministers Scharping (SPD) aus dem Jahr 2000 überrascht. Während Scharping von Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung spricht, die künftig höhere Besoldung von Soldaten hervorhebt und von neuanzuschaffenden Aufklärungssystemen schwärmt, liest sich der Bericht des Wehrbeauftragten Wilfried Penner (SPD), ernüchternd.

Material- und Ersatzteillage, Sanitätsdienst, Bezahlung von Soldaten und die Infrastruktur sind nach Aussagen Penners die Schwachstellen der Truppe. Bereits im Januar lag die Summe der eingegangenen Verpflichtungen für die Materialerhaltung bei der Luftwaffe über dem Verfügungsbetrag aufgrund der Vorbelastungen aus 2000 und den bereits eingegangenen Verpflichtungen aus 2001. Mit der Reduzierung der Flugzeugzahlen wurde ein geringerer Bedarf an Materialerhaltungsaufwand geschaffen und gleichzeitig die Untergrenze des möglichen Erreicht. "Weitere Abstriche sind ohne Eingriffe in das erforderliche Fähigkeitsprofil nicht möglich", heißt es in einem Papier aus dem BMVg. Dennoch fehlen der Luftwaffe 218 Millionen Mark.

Erreichen deutsche Luftwaffenpiloten nicht mehr die nötige Zahl an Flugstunden, können sie an Nato-Einsätzen nicht mehr teilnehmen, die Bundeswehr müßte internationale Verpflichtungen gegenüber den Verteidigungsbündissen nach unten korrigieren und so ihre außenpolitische Glaubwürdigkeit riskieren. Unvorhergesehene Posten – wie die Instandsetzungsarbeiten am Airbus A 310 – verschärfen die Situation.

Auch im Heer ist das sprichwörtliche Ende der Fahnenstange erreicht und neben einer Deckungslücke von 110 Millionen Mark ein Gesamtmehrbedarf von 154 Millionen Mark nötig. Die Materialerhaltung in diesem Bereich ist inzwischen mit 45 Millionen Mark überbelastet. Da das Aufstocken des Haushaltes in diesem Punkt der Zustimmung des Parlamentes bedarf – und die desolate Lage so öffentlich bekannt würde –, wäre ein Weg der Finanzierung die kreative Buchhaltung. Der Haushalt für 2002 wird im voraus belastet. Die Konsequenzen aus den massiven Unterfinanzierungen können voraussichtlich schon in diesem Jahr bemerkbar werden.

Aufgrund der Verwendung von Gerät in Auslandseinsätzen kam es beim Dienst in der Heimat häufig zu Lücken: Die Fernmeldeausbildung in einem Regiment konnte beispielsweise wegen fehlender Ausbilder und im Auslandseinsatz befindlichen Gerät nur noch anhand von Fotos durchgeführt werden.

Der seit Jahren problematische personelle Engpaß in der sanitätsdienstlichen Versorgung führte auch im vergangenen Jahr wieder zu Problemen.

In Scharpings ominösem "Bündel zur Attraktivitätssteigerung", das immer wieder Erwähnung findet, sind grundlegende Dinge wie die Truppenunterbringung offenbar nicht berücksichtigt worden. Penner mahnt den Abbau des Renovierungsstaus von Kasernen in den alten Bundesländern an und spricht von der "Verwaltung eines Mangels". "Zahlreiche Eingaben aus den Berichtsjahr belegen, daß unzumutbare Zustände in den Unterkünften und Wirtschaftsgebäuden nicht nur die Motivation beeinträchtigen, sondern zunehmend auch eine Gesundheitsgefährdung darstellen", so Penner. Unter anderem ist von Truppenküchen die Rede, die aufgrund von schwerwiegenden hygienischen Mängeln geschlossen werden mußten. Auf einem Schnellboot wurde beklagt, daß eine Frischwasseranlage seit eineinhalb Jahren wiederholt von Keimen befallen worden sei. Weiterer Anlaß vieler Klagen war ebenso die unregelmäßige Bezahlung Grundwehrdienstleistender und im Auslandseinsatzland dienender Soldaten.

Entgegen Scharpings Ankündigungen einer verbesserten Finanzordnung für die Bundeswehr bleibt wohl auch hier alles beim alten. Zwischen ost- und westdeutschen Soldaten bestehen weiterhin Ungleichbehandlungen in der Besoldung von künftig 11,5 Prozent des Westlohns, eine Verringerung der Differenz von 1,8 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Dagegen wird die Fallschirmspringer-Zulage um 100 Mark monatlich gekürzt. Neu im Gespräch ist die Kürzung des Auslandszuschlages der Soldaten im Einsatzgebiet um etwa 1.000 Mark monatlich.

Der Unmut in der Bundeswehr wächst. "Wenn die glauben, daß das so ein angenehmer Job ist, dann sollen die ihn doch selbst machen", so ein Bundeswehr-Offizier.

Deshalb ist die von Penner aufgeworfene Zukunftsfrage der Nachwuchsgewinnung für die Bundeswehr nicht grundlos, die Attraktivität der Truppe ist durch die aktuelle Situation bedroht.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping steht unter noch größerem Druck als bisher, da mehr und mehr klar wird, daß die von ihm gemachten Ankündigungen nicht realisierbar sind und die Reform letztlich zur Demontage der Bundeswehr führen wird.


 
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