© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Eine Volkspartei auf der Anklagebank
Flandern: Das belgische Königreich versucht sich mit juristischen Mitteln des Vlaams Blok zu entledigen
Mina Buts

Als wir die Sanktionen der EU-14 gegen die schwarz-blaue Regierung in Österreich mitinitiiert hatten, wollten wir ein Alarmsignal an ganz Europa senden: Man dient nicht der Demokratie, wenn man sich mit ihren Feinden ins Bett legt!" Das sagte vergangene Wocher der derzeitige Ministerpräsident Walloniens, Professor Hervé Hasquin, bei der Eröffnung einer Ringvorlesung des Institutes für Zeitgeschichte an der Universität Wien. "Österreich ist eine Vorreiterrolle für die neuen Demokratien in Ostmitteleuropa zugedacht, die sich beim Aufbau von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft an westlichen Modellen orientieren. Um aber als Modell glaubwürdig zu sein, müssen wir zuerst vor der eigenen Türe kehren. Und wir dürfen keine Parteien in Regierungen hoffähig machen, die selbst mit einer Reihe von demokratischer Prinzipien größere Probleme haben", so der 58jährige Historiker weiter, der wie Belgiens Außenminister Louis Michel Mitglied der wallonischen Liberalen (PRL) ist.

Was man in Belgien unter "vor der eigenen Türe kehren" versteht, zeigt der Umgang mit der stärksten Oppositionspartei in Flandern: Nur drei Tage nach den belgischen Kommunalwahlen im Oktober vergangenen Jahres flatterte dem überraschten Wahlsieger, dem für die Selbständigkeit Flanderns eintretenden Vlaams Blok, ein Strafantrag ins Haus. Gerade hatte die flämische Regionalpartei in jenen Städten, in denen der Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung besonders hoch ist – wie zum Beispiel in Antwerpen und Mechelen –, die relative Mehrheit der Stimmen errungen. Als Quittung dafür wurde er nun dem Vorwurf ausgesetzt, eine "rassistische Vereinigung" zu sein.

Insbesondere drei der tragenden Säulen der Partei, die "Vlaams Concentratie", die "Nationale Omroep Stichting" und das "Nationalistische Vormingsinstitut", so die Anklage, verstießen permanent gegen Artikel 3 des Antirassismusgesetzes des Landes, indem sie "ihre Mitwirkung einer rassistischen Organisation gewährten". Zwar könne den drei Vereinigungen konkret keine einzige Straftat nachgewiesen werden, aber allein ihre Zusammenarbeit mit dem Vlaams Blok sei gesetzeswidrig.

Für den Strafantrag hatte Pater Leman, der Vorsitzende des "Zentrums für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung" 138 Seiten mit Zitaten aus Parteibroschüren zusammengetragen – wegen seines Arbeitseifers eilt ihm bisweilen der Ruf eines "Großinquisitors" voraus. Unterstützt wird er von der "Liga für Menschenrechte" unter Paul Pataer, die sich unlängst ins Gespräch brachte, als sie dem inhaftierten Kinderschänder und mutmaßlichen Mörder Marc Dutroux kostenfrei einen Anwalt stellte. Dieser sollte die Haftbedingungen des vielleicht bekanntesten Belgiers unserer Tage auf ihre "Menschenwürde" hin überprüfen, konnte aber aufatmen: Dutroux darf sich nach der Drohung eines Hungerstreikes jeden Mittag sein Wunschessen bestellen, bereitet Salate selber zu und hat im Gefängnis bereits 15 Kilogramm zugenommen.

Nicht ganz so besorgt um die Grundrechte geht die Liga mit dem Vlaams Blok um. Während Pater Leman öffentlich zugab, daß es ihm bei der Anklage vor allem darum gehe, eine Grundlage für den Ausschluß aus der Par-teienfinanzierung zu schaffen, merkte Paul Pataer in einem Interview mit dem belgischen Nachrichtenmagazin Knack an, daß es sich um einen politischen Prozeß handele, an dessen Ende das Parteienverbot stehen solle. Der erste Prozeßtag fand am 9. Februar statt. Die Ankläger, vertreten unter anderem durch den belgischen Staranwalt Verstraeten, erhoben den Vorwurf, das Bestreben des Vlaams Blok sei es, die bestehenden Gesetze zu ändern, um "legal" eine Diskriminierung von Immigranten zu schaffen. Dies jedoch sei strafbar. Per se sei das Bemühen der Partei, ein "kulturhomogenes Land" zu schaffen, als ungesetzlich zu betrachten.

Schon heute sind die Mandatsträger und bekennenden Mitglieder der Partei heftigen Repressalien ausgesetzt. Der bislang nahezu lückenlos funktionierende Cordon Sanitaire, der die Partei von jeder politischen Mitarbeit und jeder positiven Berichterstattung in den Medien ausschließt, wirkt oftmals bis ins Privatleben hinein: So verweigerte ein Pfarrer aus Genk (Provinz Limburg) die Jubiläumsmesse für ein Ehepaar seiner Kirchengemeinde, das seine goldene Hochzeit begehen wollte, da beide Mandatsträger des Vlaams Blok seien und bei der gewünschten Messe mit einer größeren Anzahl von unerwünschten Parteifreunden zu rechnen sei. Falls die Partei nun vor Gericht unterliegen sollte, so befürchtet die Parteiführung, ist mit weiterem Druck zu rechnen: Jedes Engagement für die Partei könnte dann als Verstoß gegen das Antirassismusgesetz geahndet werden. Am 5. April wird dem Vlaams Blok Gelegenheit zu seiner Verteidigung gegeben. Es wird dabei um die grundsätzlich Frage gehen, ob es sich tatsächlich "nur" um eine Privatklage wegen des Rassismusvorwurfs handelt oder ob man das Verfahren nicht viel eher, wie die vielen öffentlichen Meinungsäußerungen im Vorfeld nahelegen, als einen politischen Prozeß einzustufen hat, für den dann allerdings eine "Volksjury" zuständig sein müßte.

Wasser auf die gegnerischen Mühlen waren die unbedachten Äußerungen des Partei-Vizechefs Roeland Raes in einer niederländischen TV-Sendung. Eigentlich geladen zu einem Gespräch über Literatur, sah er sich unvermittelt mit Fragen zu seiner Meinung über die nationalsozialistische Judenverfolgung konfrontiert. Der 65jährige Raes ging so weit, in seiner Antwort eine systematische Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg zu bezweifeln. Der dadurch ausgelöste Pressewirbel führte dazu, daß er sein Amt als stellvertretender Parteivorsitzender niederlegte, um "die Partei nicht in Mißkredit zu bringen". Auch Parteifreunde waren ungehalten: "Wir müssen Disziplin und Selbstbeherrschung fordern angesichts der besonderen Lage, in die man uns bringt", sagte Vlaams Blok-Chef Frank Vanhecke der Zeitung De Standaard.

Anfang März legte Raes auch seine übrigen Parteiämter sowie sein Amt in der Verwaltung der Genter Universität nieder. Ob dies Schritte allerdings den Ausgang des Prozesses positiv beeinflussen kann, ist mehr als fraglich.


 
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