© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Leider auf der Höhe ihrer Zeit
Den Ideenhistoriker Wolfgang Bialas beunruhigen "Intellektuelle im Nationalsozialismus"
Wolfgang Müller

Der Berliner Religionsphilosoph Jacob Taubes schrieb kurz vor seinem Tod: "Irgendwas verstehe ich von dem Nationalsozialismus nicht, wenn ich nicht verstehen kann, wieso Schmitt und Heidegger von ihm überhaupt angezogen werden." Um die Dechiffrierung dieses Faszinosums geht es auch dem Potsdamer Ideeenhistoriker Wolfgang Bialas, wenn er im einleitenden Essay zu dem von ihm und Manfred Gangl editierten Band über "Intellektuelle im Nationalsozialismus" äußerst beunruhigt den Tatbestand festhält: Zu begreifen sei nun einmal, daß Anhänger des Nationalsozialismus theoretisch gehaltvolle Texte hätten schreiben können. Angesichts der Krisenphänomene des 20. Jahrhunderts, die sich mit den Koordinaten von Masse, Technik und Ideologie bestimmen ließen, hätten sich Philosophie und Politik des Nationalsozialismus sogar auf der Höhe ihrer Zeit bewegt. Mit einer Skandalisierung der "Fälle" Heidegger, Schmitt, Gehlen oder Jünger sei es keineswegs getan. Dem kann der Rezensent nur zustimmen, nicht ohne zu beklagen, daß Bialas diese verheißungsvolle Fragestellung kaum erprobt. Was er uns zu Arnold Gehlens NS-Nähe mitteilt, ist zwar gehaltvoller als ein Aufsatz des Neomarxisten Gerwin Klinger in diesem Band, erreicht aber nicht das Niveau der Ausgangsfrage.

Auch sonst enttäuscht diese Sammlung, weil nur wieder die "üblichen Verdächtigen" traktiert werden: Carl Schmitt (in gleich vier Beiträgen!), Martin Heidegger, Arnold Gehlen und als Kontrapunkte Hannah Arendt nebst der unvermeidlichen Ausfälle Richard Fabers in Sachen "Faschismus, Katholizismus, Totalitarismus". Mehr Freude macht nur der Beitrag von Ursula Wolf, die sich wie schon in ihrer Frankfurter Dissertation ohne moralisierende Aufregung den politisch-weltanschaulichen Positionen deutscher Historiker widmet.

 

Wolfgang Bialas/Manfred Gangl (Hg.): Intellektuelle im Nationalsozialismus, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. 2000, 363 Seiten, 78 Mark


 
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