© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Pankraz,
Smith und der Schutz vor den Verbrauchern

Bisher gab es den Muttertag, den Internationalen Frauentag, den Tag des Kindes, den Tag der Liebenden (Valentinstag), den Tag der Internationalen Solidarität. Jetzt wird alles überstrahlt vom "Welt-Verbrauchertag" (15. März). Jegliches menschliches Treiben, die Liebe, das gegenseitige Sichhelfen, das Kinderaufziehen, schnurrt merkwürdig zusammen, findet seinen Abschluß und seine Krönung im Verbrauch. Schlimmer konnte es kaum kommen.

Als Verbraucher darf sich auch der letzte Dummkopf, der größte Faulenzer, der zynischste Halunke fühlen. Man hinterläßt Dreck, das genügt, um eingereiht zu werden in die edle Schar der Endverbraucher, der Otto-Normalverbraucher, die "Rechte" haben und denen alle Fürsorge des Staates und der Industrie gehört.

Der Verbraucher muß umschmeichelt und mit optimalen Verbrauchsanweisungen versorgt werden, damit er beim Verbrauch ja nicht selbständig nachzudenken braucht. Und er muß extra noch "geschützt" werden, weshalb die ehemaligen Landwirtschaftsministerien heute Ministerien für Verbraucherschutz heißen. "Ich als Verbraucher" – die Phrase genügt, um im Gespräch jedes interessante Argument niederzubügeln und Beifall von den hintersten Hinterbänken auf sich zu ziehen.

Wirklich, es fällt schwer, über den Verbraucher irgend etwas Positives oder auch nur Entlastendes zu sagen. In früheren Zeiten, als die Verbraucher noch nicht Verbraucher hießen, weil sie meistens auch die Produzenten dessen waren, was sie verbrauchten, achtete man darauf, daß niemals total verbraucht wurde. Es mußte etwas übrig- bleiben, das sich erneuern konnte, es mußte den Göttern ein Opfer gebracht werden. Damit ist es schon lange vorbei, und niemand ist dafür verantwortlich zu machen.

Durch die moderne Entwicklung hat sich die Schere zwischen Produktion und Verbrauch weit geöffnet, faktisch niemand verbraucht mehr das, was er selbst hergestellt hat, und diese Konstellation macht natürlich ratlos, erfordert eine eigene Verbrauchertechnik, die erlernt werden muß. Aber der auftrumpfende, auf seine "Rechte" pochende Endverbraucher von heute weigert sich gerade, Verbrauchertechniken einzuüben, er will alles vorgekaut kriegen. Er führt sich wie ein Schnullerbaby auf, ohne jede Niedlichkeit.

Neben den Massen aus Fleisch, Schaumgummi und Drahtsteckern, die er in den Regalen vorfindet, erwartet er wie selbstverständlich die ingeniösesten Verbrauchsanweisungen, die jedem Analphabeten die schwierigsten Zusammenhänge auf Anhieb erklären. Und er erwartet absolute Ehrlichkeit. Selber kleinen Betrügereien durchaus nicht abgeneigt, gerät er sofort in Rage, wenn er entdeckt, daß ein Anbieter kleine Beschönigungen vornimmt. Er denkt immer gleich, daß man ihn absichtlich vergiften oder ihm "für mein gutes Geld" Schrott und Ausschußware andrehen will.

Nie und nimmer käme er auf den Gedanken, daß er selbst es ist, der die BSE-Krise und ähnliche Katastrophen ausgelöst hat. Und doch ist es so. Allen Exzessen der überredenden Werbung zum Trotz – der Produzent ist strikt verbraucherorientiert, die "Quote" ist ihm das Heiligste, was es gibt. Er unterhält ganze Armeen von "Meinungsforschern", die dem Verbraucher Tag für Tag den Puls fühlen und auch noch seine letzte, schmutzigste kleine Sehnsucht aufdecken, damit sie umgehend bedient werde. Zusätzlich gibt es, außer den staatlichen Auflagen, eine ganze riesige Industrie der Produktkontrolle: Test-Stiftungen, Markenvergleiche allerorten, Verbraucher-Magazine. Es ist völlig klar: Der Produzent ist der Diener, der Verbraucher der König. Das hat ja schon der alte Adam Smith, Vater aller Nationalökonomen, erkannt gehabt.

Wenn man den Produzenten etwas zum Vorwurf machen kann, dann dies, daß sie selber vom Stamme der Verbraucher sind oder sich so aufführen. Statt ihren Produkten Solidität und Dauer zu verleihen, drücken sie ihnen ein möglichst frühes Verfallsdatum auf, legen es von vornherein auf Totalverbrauch an, und zwar auf massenhaften Totalverbrauch. Und das gilt nicht nur für Schweinshaxen oder Videorecorder, nicht nur für Hardware, sondern mehr noch für Software, für Meinungen, Überzeugungen, Haltungen.

Ein Geistesprodukt, das nicht sofort ohne Rest und Komma verbraucht, das heißt durchschaut und in billigsten Augenblicks-Genuß, beziehungsweise zu Talkshow-Phrasen umgewandelt werden kann, wird heute gar nicht erst mehr in den gesellschaftlichen Verkehr eingespeist. Bestenfalls landet es in der Ablage von Bibliotheken, respektive in den kahlen Räumen der Museen für moderne Kunst, üblicherweise bleibt es Einfall und bloße Möglichkeit, mit der man in unbewachten Denkmomenten spielt.

Fast muß man lachen: Nicht im Hörsaal, sondern in der Kantine bahnt sich vielleicht eine Wende an. Die BSE-Krise hat den Verbraucher gewissermaßen kalt erwischt, an der Basis seines Verbrauchertums, nämlich beim Essen und Verdauen, und das hat Folgen. Ausgerechnet dort, wo es in originärer Weise um Verbrauch, um die organische Verwandlung von Qualität, von "Klasse", in schlichte Masse geht, ertönt jetzt der Ruf nach "Klasse statt Masse". Die Lebensmittelindustrie soll nicht mehr in Hinblick auf bloßen Verbrauch optimieren, sondern in Hinblick auf die Erhaltung, beziehungsweise Wiederherstellung kulturell geprägter Eßstandards.

Eine Schwalbe macht freilich noch keinen Sommer. Noch ist der Verbraucher im wesentlichen unbelehrt, noch bezieht er alles auf sich, noch realisiert er nicht, daß weder die Eßbarkeiten noch sonstige Vorhandenheiten dazu da sind, verbraucht zu werden, wenigstens nicht in erster Linie, daß es darauf ankommt, etwas übrigzu- lassen und manches grundsätzlich nicht anzuknabbern. Was wir brauchen, ist nicht der Verbraucherschutz, sondern der Schutz vor den Verbrauchern.


 
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