© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Marianne Birthler
Berliner Standhafte
von Werner H. Krause

Vor nunmehr sechs Monaten übernahm Marianne Birthler das Amt der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, das – von ihrem Vorgänger geprägt – als Gauck-Behörde in das Alltagsvokabular einging. Von einer Birthler-Behörde spricht bis heute niemand, doch desto mehr ist von ihr selbst die Rede. Dies hat mit der Unbeirrbarkeit zu tun, mit der sie ihre Aufgabe angegangen ist.

So mancher, der diese Behörde nicht gerade in sein Herz geschlossen hat, glaubte wohl anfänglich, mit ihr leichteres Spiel zu haben als mit Joachim Gauck, der für sein unerbittliches Festhalten an Prinzipiellem auch "Pfarrer Gnadenlos" genannt wurde.

Marianne Birthler, die gern und viel lacht und den Eindruck einer Frau vermittelt, die dem Leben viel Freude abgewinnt, ist indessen keineswegs eine Sanftmütige. So scheut sie sich niemals, das auszusprechen, was sie als die Wahrheit ansieht. Konzessionen macht sie da nicht, auch wenn dies den Verzicht auf Posten oder Karriere bedeuten könnte. Als sie im Oktober 1992 als brandenburgische Bildungsministerin zurücktrat, stellte dies ihre Art des Protestes gegen die Stasi-Kontakte Manfred Stolpes dar. Sie mochte nicht länger einem Regierungskabinett angehören, dessen Chef in ihren Augen zutiefst politisch diskreditiert war.

Marianne Birthler, die 1948 in Berlin geboren wurde, hatte nach dem Abitur eine Tätigkeit im Außenhandel der DDR aufgenommen. Doch dann entschloß sie sich, noch einmal ganz von vorn anzufangen, begann eine fünfjährige Ausbildung zur Katechetin und Gemeindehelferin in der evangelischen Kirche, wurde Jugendreferentin im Berliner Stadtjugendpfarramt. In der gleichen Gemeinde, in welcher der Konsistorialpräsident Stolpe wirkte und von hier aus seine Ausflüge in den Dunstkreis der Stasi unternahm, ging Birthler den aufrechten Gang. In der "Initiativgruppe für Frieden und Menschenrechte" machte sie keinen Hehl aus ihrer oppositionellen Haltung gegenüber dem Staat. In der letzten DDR-Volkskammer trat sie als Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen in Erscheinung und gehörte bis zu den ersten gesamtdeutschen Wahlen dem Deutschen Bundestag an.

Kaum hatte sie ihre Büroräume in der Glinkastraße bezogen, geriet sie in heftige Turbulenzen. Altbundeskanzler Helmut Kohl lief Sturm gegen ihre Absicht, Abhörprotokolle der Stasi der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bundesinnenminister Otto Schily hätte die standhafte Dame am liebsten wieder vom Brett geholt und drohte ihr mit ministeriellen Eingriffen, sofern sie nicht parieren würde. Gekuscht hat sie nicht, sondern sich – schweren Herzens wohl – einen Kompromiß abringen lassen, wonach Personen der Zeitgeschichte künftig vorher von dem Begehren der Journalisten, Einblick in sie betreffende Aktenstücke zu nehmen, in Kenntnis gesetzt werden sollen.


 
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